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Wo ist das Reiseland Österreich?

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Uber den Stillstand unseres sommerlichen Fremdenverkehrs ist in diesen Monaten genug geschrieben worden. Richtiges und Falsches. Wenn der Anstieg der Deviseneinnahmen aus dem Fremdenverkehr im ersten Halbjahr 1967 gegenüber dem Vorjahr trotz des sommerlichen Wetters lediglich 0,6 Prozent ausmachte, dann sollte dies allein nicht Anlaß zu düsteren Prognosen sein. Glücklicherweise ist gegengleich zur Dienstleistungsbilanz aus dem Fremdenverkehr unsere Handelsbilanz in der ersten Hälfte 1967 um nicht weniger als 1,5 Milliarden besser geworden, so daß sich die Zahlungsbilanz sogar wieder aktiv gestaltete.

Für Anspruchslose?

Eine Analyse der Fremdenverkehrsbilanz ließ erkennen, daß weni-

ger die Gewerbebetriebe, sondern vor allem die Vermieter von Privatquartieren in der Sommersaison erhebliche Einbußen erlitten haben.

Was die oft herausgestellten typischen Ursachen des ohnedies geringfügigen Rückganges des Fremdenverkehrs anlangt, scheint es leider so zu sein, daß ein Teil der betroffenen Gewerbetreibenden einfach keine Absicht hat, auf die ihnen jedes Jahr gemachten Vorhalte zu hören, und davon ausgeht, daß die „anspruchslosen“ Bundesdeutschen (die anspruchsvollen suchen sich ohnedies meist andere Länder als Österreich aus) weiterhin gewillt sind, die bereits handbuchreifen Mankos im österreichischen Leisfungsanbot für Fremde willig hinzunehmen — sogar bei steigenden Preisen.

Tiefere Ursachen

So fehlen weiterhin vereinzelt die westlichen Standards in der Hygiene, es gibt beispielsweise fast nirgends ein Bruttopreissystem (Steiermark geht hier mutig voran!) und daher keine Preiiseindeutigkeit, es gibt kein Kindermenü und der vielgerühmte Charmie der bedienenden Geister entspricht auch nicht immer den „literarischen“ Vorstellungen der Gäste.

Nun gibt es aber auch andere Ursachen als die geschilderten, geeignet, die Bedeutung Österreichs als Fremdenverkehrisland zu verringern.

Die Reaktion der Nachfrage auf

Preisänderungen nimmt mit einer Verflachung des durchschnittlichen persönlichen Einkommens in den Herkunftsländern der Fremden stark zu. Wenn sich das Einkommen um ein Prozent vermindert, wird die Nachfrage nach Brot gleich bleiben, nicht aber die Nachfrage nach Dienstleistungen im Fremdenverkehr. Ein Gleichbleiben des nominellen Einkommens veranlaßt viele bisher Reisewillige, zumindest die hohen Anreisekosten zu vermeiden und näher gelegene Urlaubsorte aufzusuchen.

Nicht wenige Betriebe des öster-

reichischen Fremdenverkehrs bedachten nicht, daß nur die Angehörigen bestimmter Einkommensschichten gewillt sind, das Herdengefühl des Massentourismus zu ertragen, und daß es sich dabei um die gleichen Menschen handelt, die sehr rasch bereit sind, auf „non-essen-tials“ zu verzichten, wenn sich ihr Einkommen vermindert. Nun gehört aber das Reisen für die Mehrheit der Menschen zu den „non-essentials“, und diese Mehrheit ist in einem besonderen Maß empfindlich sowohl gegen Preis- als gegen Einkommensänderungen.

Die Tatsache, daß unsere Fremdenverkehrsbetriebe nur etwa vier bis fünf Monate des Jahres ausgelastet sind und überdies die Einkommensstarken des internationalen Reisepublikums von unserem Land unzureichend angezogen werden, gehört zu den bedenklichen Erscheinungen im Fremdenverkehr unseres Landes. Die Ursache für diesen Sachverhalt ist nicht allein der klimabestimmte Wetterrhythmus, sondern unter anderem auch das Fehlen einer attraktiven Infrastruktur, wie sie das Fremdenverkehrsgewerbe etwa in England und Frankreich (bedingt auch noch in Italien) zur Verfügung hat.

Der diskontinuierlichen Nachfrage nach Leistungen im Fremdenverkehr entspricht auch eine ebenso diskontinuierliche Nachfrage der Betriebe nach Arbeitnehmern. Das hat zur Folge, daß — von einem kleinen Stock Stammpersonal abgesehen —

meist nur Angehörige der Randschichten des Arbeitsmarktes und „Second Workers“ (dazuverdienende Hausfrauen und ähnliches) bereit sind, das Risiko einer nur kurzfristigen Beschäftigung auf sich zu nehmen, Personen also, die einerseits wenig Betriebserfahrung haben und anderseits oft sachlich und nicht selten menschlich ungeeignet sönd.

Wien, Wien, nur du allein ...

In den westlichen Ländern bricht dagegen der Fremdenverkehr nicht so abrupt ab wie etwa bei uns im September. Was Österreich zum Unterschied von westlichen Ländern, die keineswegs gleich gute klimatische und landschaftliche Bedingungen haben, fehlt, ist eine ausreichend große Zahl von attraktiven städtischen Regionen, ist jene städtische Kulturlandschaft, die beispielsweise London und die englischen Städte auch noch bei Nebel zum Reiseziel machen. Österreich hat einen Namen als Erholungsland, keineswegs aber als Reiseland in der kühlen Jahreszeit.

Die Zerstörung der historischen Baukerne unserer Städte schreitet fort. Unser Land, und die Stadt Wien vor allem, haben zwar eine vielbesungene Vergangenheit, sie schämen sich aber dieser Vergangenheit. Diese Scham reflektiert sich in einer gegen die historischen Stadtkerne gerichteten krankhaften Zerstörungswut.

Wieviel Ist vom baulichen Glanz der Stadt Wien geblieben, von jenem Glanz, der einmal mit Recht besungen wurde und, wenn noch vorhanden, heute geeignet wäre, Fremde immer wieder nach Wien zu führen? Auch eine barmherzige Abendbeleuchtung vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, daß sich die in Lied und in Prospekten besungene Stadt Wien, von einem kleinen Kernraum abgesehen, nur mehr in einem schäbigen „sozialen Grau“ zu präsentieren vermag.

Ab 1918?

Man hat sich mit Erfolg bemüht, die Stadt Wien auf eine uninteressante Häusersammlung zu reduzieren, um zu dokumentieren, daß die Geschichte erst mit 1918 in diesem Land zu beginnen hat.

Eine peinliche anarchische Polit-Ideologie hat die Stadt Wien, die nun einmal für die große Welt unser Land entscheidend mitrepräsentiert, dem Architektengeschlecht der „de Molira“ und der „Po-Lira“

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