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Wonnefabrik Gehirn

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Rund 1.000 Stoffe, so schätzt man, stimulieren direkt und indirekt die Glückszentren im Gehirn. Davon sind etwa 100 derzeit erforscht. Und obwohl das, was sich zwischen den rund 100 Billionen Nervenzellen abspielt, noch voller Rätsel steckt, haben Neurobiologen, Psychologen und Demoskopen das Dunkel rund ums Glück etwas erhellt. Die aufregendste Erkenntnis aus der Befragung von weltweit mehr als einer Million Menschen zum Thema Glück ist: Glück ist keine Glückssache.

Der amerikanische Glücksforscher David Myers fand heraus, daß für die meisten Menschen Glück die „anhaltende Wahrnehmung des eigenen Lebens als erfüllt, sinnvoll und angenehm" ist. An diesem umfassenden Glücksmodell orientiert sich nun auch die neuere Psychologie. Sie entwickelte dazu erfolgversprechende „Rezepte", deren wissenschaftliche Anerkennung jedoch noch aussteht.

Am Anfang standen die Fragen: Wann fühlt sich jemand glücklich? Aus. den Antworten kristallisierten sich folgende Merkmale und Faktoren des Glücks heraus: Glückliche Menschen etwa empfinden sich nicht „als Spielball des Lebens". Sie nehmen ihr Leben aktiv in die Hand und gestalten es nach ihren Vorstellungen. Sie akzeptieren, daß Glück oder Wohlbefinden auch zeitweilig einen negativen Zustand bedingen können.

Läuft einmal nicht alles nach Wunsch, betrachten sie das als Herausforderung und verfallen nicht in Selbstmitleid. Glückliche Menschen sind aktive Menschen. Sie stehen damit im Gegensatz zu vielen, die von einem Leben ohne Arbeit träumen, freilich ohne zu wissen, daß sie gerade bei der Arbeit ihre beglückendsten Stunden erleben.

Das ergab eine Untersuchung, in der 80 Personen über einen längeren Zeitraum ihren Tagesablauf aufzeichneten. Unabhängig von der Art der Arbeit erlebten die Testpersonen überraschend mehr positive Situationen (16,4 Prozent) als negative (2,2 Prozent). Im Gegensatz dazu ist die von den meisten hochgeschätzte FreiWarum ist jemand

glücklich? Wissenschaftlern ist es gelungen, das rätselhafte Phänomen ein wenig zu erhellen.

zeit für viele Menschen eher eine Quelle für Streß, Langeweile und enttäuschten Erwartungen, berichtet Muna El-Giamal, Assistentin am Lehrstuhl für Klinische Psychologie der Universität Freiburg, Schweiz. Glückliche Menschen investieren viel Zeit und Energie in ihre sozialen Beziehungen. Sie glauben, daß andere Menschen sie schätzen und mögen.

In nahezu allen Untersuchungen zeigt sich, daß Menschen dann am glücklichsten sind, wenn sie mit anderen Menschen zusammen sind. Die Glücksforscher sehen daher in funktionierenden zwischenmenschlichen Beziehungen ein Gegenmittel zu den Zeitkrankheiten Depression, Angst und Einsamkeit. Glückliche Menschen sind optimistisch, kommunikativ und haben ein ausgeprägtes Selbstwertgefühl. Sie sind Realisten, wenn es um die Einschätzung ihrer Ziele und Möglichkeiten geht.

Der kunstvolle Balanceakt Glück ist eine Gratwanderung zwischen dem, was wir haben, und dem, was wir wollen. Wenn wir alles haben können, was wir wollen, erlahmen Kreativität und Neugier, die zwei wichtigsten Glücksfaktoren. Glück entsteht daher aus der geglückten Balance zwischen Ansprüchen und Möglichkeiten. Sinnlos ist es auch, dem großen Glück nachzujagen. Es setzt Gelassenheit voraus, Verzichten- und Aufschieben- können. Vor allem aber die Fähigkeit, sich nicht unablässig als Nabel der Welt zu betrachten.

Eine Studie zur sogenannten „Relativitätstheorie des Glücks" zeigt, daß sich Menschen sehr schnell an das Glück und - wie beruhigend - auch an das Unglück gewöhnen. Nach einem ersten Hoch der Gefühle, zum Beispiel nach einem Lotto-Sechser, pendelt sich die Glückseinschätzung

auf dem „alten" Niveau wieder ein. Andererseits können Menschen auch dann glücklich sein, wenn ihnen großes Unglück zugestoßen ist. Erklärt wird dieses Phänomen mit der unglaublichen Anpassungsfähigkeit der menschlichen Psyche - sie reguliert ihr Anspruchsniveau entsprechend den objektiven Lebensumständen. Daß Geld beruhigt, aber nicht glücklich macht, wird ebenfalls von den Glücksforschern bestätigt.

Der Politikwissenschaftler Ronald Inglehart von der University of Michigan ortete sogar einen „überraschend schwachen Zusammenhang" zwischen der Höhe des Einkommens und den empfundenen Glücksgefühlen. Auch die Milliarden Dollar,

die für Kleidung, Kosmetik oder Schlankheitskuren ausgegeben werden, verschaffen nach den Erkenntnissen der Psychologieprofessoren David Myers und Ed Diener den US-Bürgern nur wenig mehr an Glücksgefühl.

Die wohl aufregendste und zugleich praktikabelste Vorgehensweise, das Glück zu fassen, hat Mihaly Csikszentmihalyi, Psychologieprofessor aus Chicago, gefunden. Mehr als 20 Jahre jagte er optimalen Erfahrungen hinterher. Aus über 100.000 Aussagen, wie Menschen sich fühlen, wenn sie glücklich sind, entwickelte der Forscher die „Theorie des Flow" (siehe Buch-Tip). Flow bezeichnet

das Gefühl des Fließens, des Aufgehens in einer Tätigkeit, die uns glückt. Doch das geht nicht ohne Mühsal ab. Und oft bedarf es sogar schwerer körperlicher Anstrengung oder einer hochdisziplinierten geistigen Aktivität. Als Belohnung winkt dann das Glücksgefühl.

Die Herausforderung, der sich ein Mensch stellt, muß groß genug sein, um das Maximum seiner Fähigkeiten hervorzulocken. Doch Achtung! Zu hoch darf das Ziel aber auch wieder nicht sein, sonst verhindern Versagensängste die innere Sammlung. Worauf es ankommt, ist daher die richtige Balance zwischen Anforderungen und Fähigkeiten. Sind wir unterfordert und gelangweilt, oder umgekehrt überfordert, ist es unmöglich, ins Flow zu gelangen.

Glücks-Seminare

In einem Experiment des britischen Fernsehens BBC wurde der Frage nachgegangen, ob man Glücklichsein lernen kann. Dazu wurden verschiedene Personen, die sich unglücklich fühlten - und deren Empfindungen durch EEG-Messungen auch bestätigt wurden -, in die Obhut des Psychologen Robert Holden gegeben, der sie im Glücklichsein unterrichtete. Holden führt schon seit längerer Zeit „Glücksseminare" an der Universität Oxford durch. Seiner Meinung nach stehen Überzeugungen wie„Glück ist nicht von Dauer", „Ich habe kein Recht auf Glück", „Der Wunsch nach Glück ist selbstsüchtig", häufig dem Glück im Wege. Kernstück des Kurses ist daher, solche Auffassungen von Glück gründlichzu analysieren - und über Bord zu werfen. Wer glücklich sein will, muß sich erlauben, glücklich zu sein. „Glück ist etwas, das man sich nicht verdienen muß und wofür man weder arbeiten noch bezahlen sollte", ist Holden überzeugt.

Die Ergebnisse des BBC-Experiments rechtfertigen allerdings die Mühe: Alle drei Versuchspersonen fanden ihr Glück. Die Unglücklichste von ihnen erreichte nach dem Experiment sogar den höchsten Glücks-Wert.

Ein Beweis dafür, daß Glücklichsein erlernbar ist?

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