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WORT UND WAHRHEIT -ZWANZIGSTER JAHRGANG

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Jahr Eins der Zweiten Republik: Eruptive Auflösung stiller Reserven eines in sieben Jahren angesammelten politischen Widerstandes. Im Bereich des Geistigen wird die neue Freiheit von Menschen, die nun aus harter Disziplin und permanenten Schweigegeboten entlassen sind, reichlich und enthusiastisch genützt. Nicht selten werden Hunger und sonstige elementare Sorgen in intellektuelle Fluchthaltungen übersetzt, die sich in eigenartigen und nur aus den einmaligen historischen Bedingungen verständlichen geistigen Konfessionen oder in der Bildung vieler freier Konstitutionen niederschlagen, in Klubs und in Konventikeln. Offene Gruppen geben sich allmählich eine feste Verfassung, und viele meinen, da fortsetzen zu können, wo man 1932 gezwungen war, aufzuhören.

Das Bemühen, eigene Erfahrungen, nunmehr unbehindert von diktatorischen Sprachregelungen und offiziell angeordneten Themenfixierungen, dem geistigen Österreich darzustellen, findet sich in vielen neuen periodischen Druckschriften ausgewiesen. Es wäre interessant, heute die große Zahl von Zeitschriften, die oft unter größten Entbehrungen von hungernden und frierenden Schreibern produziert worden sind, in einem Register vorzustellen: Es wäre eine Sterbetafel von beklemmendem Umfang — und keine Ehrentafel für das neue Österreich.

Von den periodischen Publikationen, die 1945/46 erstmalig der österreichischen Intelligenz angeboten wurden, haben sich ganz wenige erhalten oder sind dank großzügiger Hilfe erhalten worden: „Die Furche“ und „Wort und Wahrheit“

Das Zeitechriftensterben, eine weltweite. Erscheinung und keineswegs Ausweis österreichischer „Eigenart“, hat viele Ursachen, die insgesamt das Absinken geistiger Engagements in der Welt präsentieren. Die entscheidende Ursache wird wohl die sein, die Chefredakteur Dr. Otto Schulmeister in Nummer 1/65 in „Wort und Wahrheit“ herausstellt: Der selbstproduzierte oder imaginäre Zeitmangel jener, die sich durch akademische und andere Titel oder durch sonstige Marken als Intelligenz auszuweisen versuchen, ist für das Geistesleben unseres Landes oft von tödlicher Wirkung; ökonomisch dadurch, daß als Folge des Fehlens von Konsumzeit die Nachfrage reduziert wird. Publizistische und oft als „langweilig“ disqualifizierte Redlichkeit, heroische Distanz gegenüber verkaufsreifen Sensationen, sind im letzten Jahrzehnt nur von einer tapferen Minorität in der österreichischen Intelligenz bedankt und in die Annahme dieser Publikationen übersetzt worden. Der Rest jener Großgruppe, für die ein anfänglich reichhaltiges Anbot an geistigen Dokumentationen vorhanden war, hat sich den Offerten verschlossen; seine Sorgen sind auf Auto, „Bildungs“-Reisen, Bildzeitungen, auf ohne Nach-Denken konsumierbare Serienprodukte fixiert. Freizeitkonsum ist grobe quartäre Produktion geworden, ein Tun, das Nichts-Tun überdecken soll. Die Folge: Es gibt heute im Lande Österreich fast keine dem Intellektuellen gewidmete Revuen. Wir exportieren Modezeitschriften und importieren Produkte der Geisteswissenschaft. Ein bezeichnendes und beschämendes Tauschgeschäft. Die billigen Phrasen vom „geastigen Österreich“ sind bei genauer Besichtigung fast ohne Inhalt. Dieses geistige Österreich, noch immer eine von Kultur-

managern wohlgenützte Etikette, stellt sich heute nur noch in Kernschichten dar, die zudem nach oben absterben.

Angesichts der selbstverschuldeten Liquidation fast aller geistigen Revuen muß unsere Sorge jenen wenigen periodischen Druckschriften gelten, welche der österreichischen Intelligenz noch immer angeboten werden und Garanten dafür sind, daß wir nicht in Bälde ausschließlich auf Eingeborenenliteratur verwiesen werden und auf die Stufe von Entwicklungsländern absinken, denen man lediglich noch testiert, daß sie „entwicklungsfähig“ sind, wählend es unsere Aufgabe wäre, Geist mit Geist zu tauschen, statt Geist mit Schnittmustern.

„Wort und Wahrheit“ ist ein solcher Garant österreichischer Geistigkeit. Jedes Zeitalter hat seine apokalyptischen Ideologien, sein falsches, vom Milieu mitproduziertes Bewußtsein. Daher muß stets dem jeweiligen Zeitgeist, der wesentlich aus Ideologien geformt ist, widersprochen werden. „Wort und Wahrheit“ hat dies mit seinen Mitteln getan und von der ersten Nummer an sich redlich bemüht, der einen Wahrheit zu dienen, der Darstellung des Wirklichen vermittels der Instrumente geschriebenen Wortes. Was heute im Ablauf des Konzils proklamiert wird, die Adaptierung der Seelsorge an die sozialen Tatbestände, an die Gesellschaft der Gegenwart, die ihre eigene epochaltypische Natur besitzt, hat in „Wort und Wahrheit“ seit der ersten Nummer intensive Fürsprache gefunden. Die neue Linie, die neue Instrumentierung der Seelsorge, war stets auch die Linie der Zeitschrift gewesen. Das Katholische, seinem Wesen nach keine Bindestrichgesinnung, sondern umfassend, nur durch die Kategorien des Sittengesetzes an den Rändern — aber dafür um so eindeutiger — markiert, es hat in „Wort und Wahrheit“ beste publizistische Dokumentation gefunden. Auch zu Zeiten, da in römischen Zensurstuben eine sachgesetzlich bestimmte Entwicklung einfach „verboten“ wurde, da für manche nicht sein kann, was nicht sein soll. Die katholische Aussage zu den geistigen Strömungen wurden von „Wort und Wahrheit“ nicrA in billiger Verpackung angeboten, nicht „konsumreif“, sondern als Angebot zu eigener Überlegung in Form gründlicher Analysen und umfangreicher Dokumentationen. Daher war der publizistische Teilmarkt unvermeidbar klein und im besten Sinn des Wortes exklusiv. Nicht trotzdem, sondern gerade deswegen wirkte die Zeitschrift in den deutschen Kulturraum hinein. Österreichischer Pragamatismus, im Skeptizismus, wenn nicht Sarkasnius unseres Stammes begründet, disziplinierte den gerade in den ersten Jahren nach 1945 vorhandenen Enthusiasmus und sicherte der Zeitschrift einen Platz auf jenem Zeitschriftenmarkt, dessen Kunden eine geistige Elite sind. •• .' Wt^yttHH

„Wort und Wahrheit“ aber war und ist noch ein Zeugnis: für die Jugendbewegung. Alle Herausgeber waren (Karl Strobl) und sind (Otto Mauer, Otto Schulmeister, Anton Böhm und Karlheinz Schmidthüs) Angehörige der Bündischen Jugend. Man mag der Meinung sein, daß die Interpretation der Weltwirklichkeit und des Weltverhaltens in der Schau-weise des Bündischen sich nun in der letzten Phase der Liquidation befindet; „Wort und Wahrheit“ ist ein Gegenbeweis und noch (oder auch) ein Produkt bündischen Geistes, der in allen Perioden seiner Entwicklung fern von jedem billigen Nonkonformismus war, der nun eitel „anders als die andern sein will“. Ebensowenig verschrieb sich „Wort und Wahrheit“, bündisches Erbe ausweisend, einem ungefährlichen Konformismus, dem devot angenommene Direktive die Wahrheit ersetzt.

Im zwanzigsten Jahr des Bestandes ist „Wort und Wahrheit“ mit Druck und Herstellung wieder nach Wien zurückgekehrt und auch technisch, nicht nur von seiner geistigen Programmierung her, ein österreichisches Organ geworden., Dieser Sachverhalt wird noch dadurch unterstrichen, daß die Zeitschrift sich ihren Untersuchungen mehr als bisher dem „Osten“ zuwenden will, dem Osten nicht als ein Politikum, sondern als religiös-ökumenisches Phänomen, dem freilich unvermeidbare politische Elemente inkorporiert sind.

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