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Wozu Eltern vereine?

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Wir reden heute und hören auch immef wieder davon, daß wir in einer „pluralistischen Gesellschaft“ leben. Der Ausdruck fasziniert beim ersten Anhören, aber er stimmt nicht ganz — trotz der vielen „—ismen“, durch die scheinbar unser Bildungsziel zersplittert ist. Bei näherem Zusehen kann die Verallgemeinerung von der „pluralistischen Gesellschaft“ nur sehr bedingt gelten. Haben wir doch heute in Europa eine ziemlich einheitliche Konsumgesellschaft und ebenso eine einheitliche Leistungsgesellschaft, aufgebaut letzten Endes auf Schulzeugnissen, die allein den Eintritt in bestimmte Gesellschaftsschichten verbürgen: so entwickeln wir uns schließlich zu einer einheitlichen Bildungsgesellschaft.

Aus dem Gespräch mit den Eltern, ob sie jetzt religiös oder, areligiös orientiert sind, erklingt uns gleichfalls eine ziemlich einheitliche Forderung an die Schule: sie müsse den Kindern nicht nur Wissen zur Bewältigung des Lebens vermitteln, sondern auch Charakter. Ebenso wird von der Schule ziemlich einheitlich verlangt, daß sie einen Weg des Ausgleiches zwischen der individualistischen Tendenz der verschiedenen Einzelbegabungen und der kollektivistischen Tendenz, die in unserer Gesellschaft liegt, finde.

Vielleicht wird darin die Schule überfordert, weil man Dinge von ihr verlangt, die aus der Welt der Erwachsenen nicht geboten werden. Vielleicht blickt man heute gerade deswegen so erwartungsvoll auf die Schule, vielleicht ist sie deswegen auch so stark in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, weil von ihr die Gesundung erhofft wird, die sonst niemand geben kann und die eben in dieser Charakterbildung und im erwähnten Ausgleich zwischen Individualismus und Kollektivismus liegt.

Dabei sind — und darüber haben wir alle die gleiche Ansicht — die Bedingungen des Erziehens heute wesentlich verschlechtert, und zwar durch das Auseinanderfallen der drei Erziehungsfaktoren: Elternhaus, Schule, Freizeit. Wir brauchen daher eine Plattform, ein Instrument oder, besser noch eine Institution, von der aus das Zusammenwirken dieser Erziehungsfaktoren wieder ermöglicht oder erleichtert wird: das könnte meiner Meinung nach der tiefere Sinn der Elternvereine sein.

Welche Aufgaben stellen sich nun den Elternvereinen? Sie haben in einer dreifachen Richtung zu wirken, auf .die Eltern, auf die Lehrerschaft und gemeinsam mit ihr in die Öffentlichkeit. Den Eltern müßte in den Elternvereinen immer wieder gesaigt werden, welche unerbetenen Miterzieher heute am Werke sind. Nicht alles, was im Rundfunk und noch mehr im Fernsehen für die Erwachsenen gut oder verdaubar sein mag, ist für die Jugend, für das Kind zuträglich. Aus der großen Welt der Illustrierten kommt nicht immer jene Erziehung zu den echten Freuden des Lebens, die wir brauchen. Geborgenheit, Liebe in der

Familie sind Werte, auf die unsere Elternvereine verstärkt aufmerksam machen müßten, zumal uns die Psychologie neuerdings deutlich darauf hinweist. Die Probleme der musischen Erziehung, wann und welche Instrumente die Kinder lernen sollten, die Fragen um gemeinsame Bildungsfahrten der Klasse in Theater und Konzerte, die Aufgaben des Buch-kiubs der Jugend, des Jugendrotkreuzes usw. können am besten im Rahmen der Elternvereine erörtert und geklärt werden.

Den Lehrern müßten die Elternvereine das Gefühl geben können, daß sie nicht allein dastehen. Seit den Zeiten Maria Theresias fühlt sich jeder Lehrer in Österreich als ein Beauftragter. Sein Auftraggeber, der Monarch, später der republikanische Staat, schreibt den Bauplan des Bildungswesens vor, zu dessen Ausgestaltung der Lehrer höchstens wie ein zu Rat gezogener Architekt einiges äußern darf. Sicher ist das Volk als ganzes der Bauherr und die Lehrerschaft ein vollziehendes Fachorgan auf dem Felde der Bildung, Architekt und Baumeister, die nicht den Bauwillen lenken, nur den Bauauftrag erfüllen können. Wer aber ist das Volk, wer aber ist der Bauherr in der Demokratie? Doch im Grunde genommen — nach Naturrecht wie nach christlicher Lehre und auch entsprechend dem Artikel 26 der Charta der Vereinten Nationen — die Elternschaft! Der Staat als Auftraggeber der Lehrerschaft verbürgt gewiß die Objektivität und den Anspruch des Kollektivs, der berechtigt ist. Tritt hinter dem anonymen Auftraggeber, dem Staat, die

Elternschaft klarer hervor, so wird dieser ganze Erziehung«- und Bildungsauftrag, den der Lehrer erhalten hat, in eine weit größere Lebensnähe gerückt, vermenschlicht und verpersön-licht. Das individuelle Prinzip tritt zum objektiven ergänzend hinzu. Es ist daher sinnvoll, wenn im neuen Schulgesetzentwurf den Elternvertretern in den Schulbehörden (Landesund Bezirkschulräten) Sitz und Stimme zugesichert wird.

Eltern und Lehrerschaft haben aber auch gemeinsam ein er: stes Wort an die gesamte Öffentlichkeit zu richten.

Unsere heutige Demokratie ist eine Demokratie der Interessenvertretung. Dies zeigt sich in allen Belangen. Am Werdegang des neuen Schulgesetzes stehen die Stellungsnahmen von Handels- und Gewerbekammern, auch die Präsidenten der Landwirtschaftskammern haben ihr Wort dazu gesagt, natürlich ebenso die österreichischen Parteien. Ihre Meinung haben aber nicht ausdrücken können: der Vater, die Mütter, die Eltern — weil es eben keine Elternkammern und noch keinerlei gesetzlich anerkannte Form von Elternvertretung gibt. Man sage nicht, die Eltern wären ohnedies durch ihre Parteien vertreten und die Parteien sind ohnedies wie die Eltern wieder in den Landwirtschaftskammern usw. vertreten. Freilich ist in der zunehmenden Vergesellschaftung jeder an verschiedenen Gruppen als Mitglied beteiligt, es geht nur um die Zuständigkeit. Sie würde sicher bestritten, wenn einmal Elternvereine zu den Fragen der Preisgestaltung Stellung bezögen.

Die Tatsache, daß die Elternschaft bislang überhaupt keine wirksame Vertretung besitzt, hat aber weit tiefere Folgen. Denn wer vertritt die Interessen der Schule als Ganzes? Dies hat bisher die Lehrerschaft in vorbildlicher Weise getan; doch wird ja in unserer Interessenvertretungsdemokratie nicht nach Qualitäten, sondern in erster Linie nach Quantitäten gemessen — und da ist denn doch die Lehrerschaft eine zu schwache Phalanx, eine zu schmale Basis, von der aus die so dringenden Forderungen an das Budget gestellt werden könnten. Erfreulicherweise wird ja die Lehrerschaft durch die Ressortbeamten der Länder und des Unterrichtsministeriums, mit dem Minister an der Spitze, kräftig und glücklich unterstützt, wenn es gilt, unseren Kindern mehr Luft und Licht ins Klassenzimmer zu bringen. Ein Vergleich mit dem Budget anderer Staaten, etwa der Sowjetunion, bleibt aber immer noch sehr beschämend für Österreich und zeigt, daß bei uns die Schule das Stiefkind des Staates ist, weil sie eben keine breite Vertretung in der Öffentlichkeit besitzt. Die Lehrer, die unterbezahlte Überstunden leisten und in überfüllten Klassen mit veralteten Lehrmitteln unterrichten, werden sicher dankbar sein, wenn an ihre Seite die Eltern treten, wenn in Zukunft alle Belange der Schule von Eltern und Lehrern gemeinsam wahrgenommen werden können.

Aus dieser notwendig gewordenen Elternvertretung sollte aber, und dies ist ein ernster Wunsch, keine überflüssige Verpolitisierung und kein Kampfplatz der Parteien werden. Sicher haben die Parteien als Träger der politischen Willensbildung auch zur Schule ihr Wort zu sagen. Den Elternvereinen obliegt jedoch die überparteiliche Vertretung der Eltern-, der Kinder-, der sachlichen Schulinteressen. Die Katholiken werden sich sicher nicht scheuen, auf diesem neutralen Felde mit all denen gemeinsam zu arbeiten, die mit ihnen das eine wollen: mehr Verständnis in der Öffentlichkeit für die Schule, ein besseres Zusammenwirken von Lehrern und Elternschaft und damit eine progressive gute österreichische Schule.

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