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Wünsche an ein Gesetz

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Nächstes Jahr begeht das geltende ,österrichische Forstgesetz sein lOOjähri-ges Bestandsjubiläum, über dieses treffliche Gesetz ist viel Lobendes geschrieben worden. Angeregt durch die heurigen Lawinen- und Hochwasserkatastrophen und nicht zuletzt bei der Diskussion über unsere Holzausfuhren ist die Frage aufgetaucht, ob nicht die mannigfaltigen Veränderungen der letzten hundert Jahre auf wissenschaftlichem, politischem und weltanschaulichem Gebiet auch eine Reform des Forstgesetzes erheischen. Ist es doch bereits dem Laien kenntlich, daß der für Österreich so ungemein wertvolle Waldbestand durch die

seit etwa 30 Jahren erfolgten übermäßigen Abholzungen, durch mangelnde Aufforstungen und sonstige Vernachlässigungen bedroht ist, so daß man mit Sorge die klimatischen und wirtschaftlichen Folgen wird ins Auge fassen müssen. Inzwischen hat sich auch eine oberflächliche Publizistik dieses Problems bemächtigt. Sie hat bereits die Schuldigen entdeckt, als welche einerseits die profitgierigen privaten Großwaldbesitzer, andererseits die unfähigen, dem Landwirtschaftsministerium unterstehenden Forstbehörden zu bezeichnen seien. Es sei nun höchste Zeit, daß der Abgott „Staat“ mit neuen Vorschriften und Gesetzen eingreife und alles wiederum zum Besseren wende.

In Wirklichkeit ist die österreichische Waldfläche zu 61 Prozent in bäuerlichen Händen, 20 Prozent sind Staatswälder und Wälder öffentlicher Körperschaften, während nur 19 Prozent auf den privaten Großwaldbesitz entfällt. Tatsache ist aber auch, daß gerade die öffentlichen Wälder und der private Großwaldbesitz forstlich weitaus besser bewirtschaftet werden als der bäuerliche Waldbesitz, dessen Holzproduktion je Flächeneinheit infolge unsachgemäßer Behandlung nur; die Hälfte des normal erzielbaren Zuwachses beträgt. Gerade die größten Uberschlägerungen erfolgen aber nicht in den öffentlichen Wäldern oder im privaten Großwaldbesitz, sondern im bäueri liehen Wald. Das deshalb, weil die landwirtschaftliche Produktion in den meist gemischten land- und forstwirtschaJU liehen bäuerlichen Betrieben finanziell effektiv notleidend ist. Es liegt auf der Hand, daß kein Waldbesitzer Interesse daran hat, sein sicheres Holzkapital, das „grüne Gold“, ohne zwingenden Grund in unbeständige Geldwerte umzusetzen. Manchenorts besteht aber auch im reinen Waldbesitz ein ungeheurer, angestauter Bedarf an Investitionskapital zur Instandhaltung und Modernisierung, der nun, wohl oder übel, aus Holzschlägerungen gedeckt werden muß, wobei der Erlös des Holzes überdies noch für die außerordentlich hohe Einkommensteuertangente ausreichen muß, welche jede Holzentnahme aus dem Walde belastet.

Es ist theoretisch wohl richtig, daß die Forstbehörden durch die bestehenden Vorschriften ermächtigt sind, jede waldverwüstende Schlägerung zu verhindern und den Waldbesitzer zur Wiederaufforstung zu verhalten. Abgesehen davon, daß dieser Zielsetzung oft viel gebieterischere volkswirtschaftliche (Devisenbedarf) und privatwirtschaftliche (Geldmangel) Anforderungen gegenüberstehen, sind die Forstbehörden auf verschiedenste Weise in ihrer Wirksamkeit gehemmt. So fehlt ihnen die wichtigste Basis für jede zielvolle Tätigkeit, sichere Zifferngrundlagen über die vorhandenen Wälder, so daß sie sich bei allen Maßnahmen nur auf Schätzungen stützen können. Die weitere Schwierigkeit liegt in der Personenfrage. Nicht nur, daß ihr Personalstand zahlenmäßig vollkommen unzureichend ist. Weit schwerer wiegt, daß die Beschaffung eines ausreichend vorgebildeten, aber auch lebenserfahrenen Personals nahezu unmöglich geworden ist. Staatsforste, Privatwald und Forstbehörden sollten einander durch Austausch des Personals glücklich ergänzen, sind aber durch künstlich ausgeklügelte Vorschriften und Bestimmungen voneinander geschieden. Auch ein freizügiger Austausch des forstlichen

Personals zwischen den einzelnen Bundesländern findet nicht statt. Man hat sich so sehr daran gewöhnt, allen möglichen Schwächen Konzessionen zu machen, daß es gar nicht mehr auffällt, wenn jemand den Anforderungen seiner Stellung nicht gewachsen ist. Man glaubt so oft, ein schönes Zeugnis über den erfolgreichen Abschluß eines Kurses oder gar einer unserer staatlichen Bildungsstätten sei die ausreichende Voraussetzung für die Besetzung eines Postens. In Wirklichkeit muß sich auch der mit einem klingenden akademischen Titel entlassene Absolvent einer Hochschule erst bewußt werden, daß er jetzt als Anfänger in die große Schule des Lebens eintritt.

Die Probleme einer wirklichen Reform des Forstgesetzes liegen viel tiefer, als man glauben möchte. Gewiß, man kann auch von einer „Reform der Forstgeseta-gebung“ sprechen und der Öffentlichkeit einreden, man werde gesetzliche Vorkehrungen treffen, wonach ein für allemal Schluß gemacht wird mit Lawinen und Hochwässern. Man kann dann löblicherweise in eine solche Novelle eine Reihe schon bestehender Bestimmungen einbauen und das Forstrecht durch eine Kodifizierung etwas übersichtlicher gestalten. Man kann selbst, je nach Geschmack und persönlichem Geltungsbedürfnis, die Länderautonomie vergrößern oder zurückdrängen, den Einfluß verschiedener Kammern und Interessenvertretungen verstärken oder abschwächen. Man kann eine Reihe neuer staatlich besoldeter Stellen schaffen, um brotlose Akademiker zu beschäftigen. Man könnte sogar die Ausbildung und Ausübung des forstlichen Berufes nach militärischem Muster reglementieren und eine komplizierte Rangordnung mit einem System von Diensttiteln und Rangabzeichen schaffen. Für dies alles wird man scharfsinnige Argumente finden und zur Begründung anführen können. In Wirklichkeit wird aber damit nichts Entscheidendes geleistet sein. Es würde dann nur gelten, was ein geistreicher Forstmann in dem scheinbar banalen, einfachen, aber sehr vieldeutigen Satz aus-

gesprochen hat: „Im Walde gibt es noch immer viel mehr Bäume als im Forstgesetz Paragraphen.“

Die forstlichen Kreise haben immer wieder und auch jüngst den Wunsch aus-gesprpchen, im zuständigen Ministerium durch einen eigenen Staatssekretär vertreten zu sein, der den forstlichen Abteilungen vorsteht. Dieser Forderung liegen keine Prestigefragen zugrunde und auch keinerlei persönliche Ambitionen, sondern die Einsicht, daß es weniger auf den Inhalt und die Formulierung gesetzlicher Vorschriften ankommt als auf die persönliche Qualifikation der mit der Handhabung der Vor-

schriften befaßten Personen. Die künftige Forstpolitik, die Novellierung des Forstgesetzes bedarf einer leitenden Persönlichkeit, die durch ihr persönliches Ansehen und fachliches Wissen imstande ist, engherzige Kleinlichkeiten wie zähe Widerstände zu überwinden und so die komplizierte Reform des Forstwesens durchzuführen. Wenn man die Probleme an der Wurzel fassen will, wird man damit beginnen müssen, die allgemeine Agrarpolitik in den Gebirgslagen, welche seit 1918 unbedingt auf die Erhaltung der landwirtschaftlichen Produktion gerichtet war, zugunsten der forstlichen zu revidieren. Man wird auch vor den forstlichen Unterrichtsanstalten nicht haltmachen dürfen und die verwaisten Lehrkanzeln endlich durch erstklassige,

die Jugend mit Enthusiasmus befeuernde Fachkräfte besetzen müssen. Man wird nicht umhin können, einzelne Gesetze und Dienstvorschriften, seien es auch Verfassungsbestimmungen, abzuändern, um einen gesunden personellen Aufbau der Forstbehörden zu ermöglichen. Endlich wird man ein reibungsloses Zusammenarbeiten der verschiedenen, derzeit mit forstlichen Angelegenheiten befaßten Stellen, Landesforstinspektionen, Land-wirtschaftskammern, österreichische Forstkommission, Holzwirtschaftsrat, Staatsforstverwaltung, Forstschulen einschließlich der Hochschule für Bodenkultur, durch entsprechende Maßnahmen gewährleisten müssen. Erst wenn diese Grundlagen geschaffen sind, und nicht früher, kann man das zweite Haupt-

problem in Bearbeitung nehmen: eine klare Abgrenzung der zwischenstaatlichen Einflußnahme und der privatwirtschaftlichen Selbstverantwortung. Und erst in einer dritten Phase, auf den geschaffenen Grundlagen aufbauend, kann man an die Formulierung der einzelnen Bestimmungen, an der Korrektur mancher etwas veralteten Vorschriften und an die Kodifizierung verstreuter Anordnungen herangehen. So steht man heute vor der Entscheidung, ob man der Unzahl kurzlebiger Gesetze, welche in jüngster Zeit entstanden sind, noch ein weiteres über das Forstwesen hinzufügen will oder ob man imstande ist, ein neues Forstgesetz zu schaffen, welches sich ebenbürtig an die bahnbrechende Tat von 1852 anschließt.

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