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Wundester Punkt der Familienpolitik

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Auf dem Gebiet der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Familie müssen wir hingegen feststellen, daß die Kinderermäßigung in ihrer maximalen Höhe monatlich eine Steuerersparnis von 142,60 Schilling pro Kind bringt, das heißt nicht mehr und nicht weniger, als daß der Staat als Familienlasten, die die Steuerkraft des Familienerhalters schmälern, lediglich täglich die Last von 4,87 Schilling oder den Gegenwert von eineinhalb Liter Milch anerkennt. Diese grundsätzliche Gleichstellung der Familienausgaben mit allen anderen Ausgaben ist derzeit der wundeste Punkt der sozialen Familienpolitik. In Österreich haben wir aus dem deutschen Steuerrecht zwar die hohe Progression, nicht aber die damit notwendig verbundene entsprechende Kinderermäßigung übernommen, mit der Folge, daß die Auswirkungen der Progression eine steigende Diskriminierung und Deklassierung der Familie bewirken!

Die Alternative heißt nicht Kinderermäßigung oder Kinderbeihilfe; beides ist notwendig. Angesichts der bisherigen Entwicklung der Familien- und Kinderbeihilfen allerdings ist eindeutig die Wiederherstellung der Kinderermäßigung in ihre frühere Funktion am Zug. Bevor der Staat neue Beihilfen gibt, muß er sich die Frage stellen, ob er nicht zuviel nimmt. Bei der Frage der Familienbesteuerung steht nicht zuletzt auch die Frage der Priorität zur Diskussion. Selbsthilfe der Familie auf Grund des Einkommens des Familienerhalters oder ausschließlich lineare Unterstützung durch die Gesellschaft.

Um die Frage Steuergerechtigkeit für die Familie oder Gewährung von Beihilfen ist einer schrankenlosen Demagogie Tür und Tor geöffnet. Daß mit einer Forderung nach familiengerechter Besteuerung von einer Begünstigung der Reichen nicht die Rede sein kann, zeigt schon der Umstand, daß die Kinderermäßigung nicht zu einer mit zunehmendem Einkommen zunehmenden Begünstigung führt. Sie endet derzeit bei einem mittleren Einkommen und nimmt dann wieder ab, um schließlich ganz auszulaufen.

Daran braucht im Prinzip nichts geändert werden. Was aber heute nicht bestritten werden kann, ist der Umstand, daß

1. die Besteuerung der Familie heute zu früh beginnt,

2. die Kinderermäßigung unzureichend ist,

3. die Kinderermäßigung zu früh aufhört und

4. der Alleinfamilienerhalter nicht berücksichtigt wird.

Bei der Schlußdebatte über das Budgetflnanzgesetz 1965 haben sich erfreulicherweise — und das erfüllt mich trotz mancher Gegenstimmen der letzten Zeit mit Optimismus — die Sprecher aller drei im Parlament vertretenen Parteien für eine Reform der Familienbesteuerung in dieser Richtung ausgesprochen. Ich kann nicht versprechen, ob ich mit diesem Programm durchdringen werde; die Familien sind auch in dieser Frage auf einhellige Voten in Regierung und Parlament angewiesen.

Keine Maßnahme hat so überzeugend erkennen lassen wie die Familienpolitik, daß der Klassenkampf, wenn er jemals eine tragende Erscheinung der Gesellschaft gewesen ist, so jedenfalls dem vergangenen Jahrhundert ■ angehört. Mit dem Konzept, nur Familienbeihilfen und keine steuerliche Berücksichtigung, ist ein neuerlicher Rückfall in klassenkämpferische Den-kungsweise verbunden! Die Beihilfe allein kann die Deklassierung der Familie niemals verhindern.

Erhebungen der Wiener Arbeiterkammer für das Jahr 1963 ergaben zum Beispiel in Industrie und Gewerbe bei Facharbeitern im Zeitlohn einen durchschnittlichen Monatsverdienst von rund 3150 Schilling, für Hilfsarbeiter von rund 2750 Schilling (vor Abzug der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung). Von den in die Erhebung einbezogenen Arbeitern hatten immerhin 48 Prozent ein durchschnittliches Monatseinkommen von mehr als 3000 Schilling.

Die Steuergrenze liegt nun bei einem Kind bei 1947 Schilling, bei zwei Kindern bei 2522 Schilling und bei drei Kindern bei 3156 Schilling (nach Abzug des Arbeitnehmeranteils zur Sozialversicherung). Die durchschnittliche Monatsbeitragsgrundlage zur Sozialversicherung, aus verschiedenen Gründen hier etwas nach unten verzerrt, betrug zum Stichtag 1. August 1963 bei industriellen Arbeitern und Angestellten, die als Familienerhalter in erster Linie in Frage kommen, 2425 beziehungsweise 3154 Schilling. Diese Zahlen, die nur sehr grobe Anhaltspunkte sein können, zeigen doch, daß auch unter den Unselbständigen eine erhebliche Zahl — teils durch echte Lohnerhöhungen, teils durch eine Angleichung der Löhne im Zuge von Preissteigerungen — in eine Einkommensstufe hineingewachsen ist, in der die Steuerbelastung fühlbar zu werden begonnen hat. Für diese Familien liegt infolge ihrer Uberbesteuerung das Pro-Kopf-Einkommen unter dem steuerlichen Existenzminimum. Freilich wird auch die Möglichkeit einer weiteren Anhebung der Familien- und Kinderbeihilfen geprüft. Ich könnte mir vorstellen, daß im Rahmen unseres nunmehr im Finanzministerium auszuarbeitenden, längerfristigen Budgetkonzeptes auch die Aufstockung der Familien-und Kinderbeihilfen mit in das Programm aufgenommen wird.

Wenn wir aber vergleichen, was wir auf dem Gebiet der Beihilfen in den letzten zehn Jahren gemacht und erreicht haben und was auf dem Gebiet der Steuergerechtigkeit unterblieben ist, so müssen wir zum Ergebnis kommen, daß die unter dem damaligen Finanzminister Dr. Klaus begonnene Verbesserung der Kinderermäßigung den nächsten familienpolitischen Schritt in Österreich kennzeichnen muß!

Als nächstes ist daran gedacht, im Laufe des Monates Februar eine großangelegte Enquete in das Finanzministerium einzuberufen. Dazu sollen die Vertreter der Familienverbände, die Fachleute der Interessenvertretungen und der politischen Parteien eingeladen werden. Sie sollen die Frage prüfen, ob eine bessere Berücksichtigung der Familienlasten im Rahmen des bestehenden, durch Steuergruppen gekennzeichneten Systems möglich oder eine grundlegende Reform unseres Lohn- und Einkommensteuerrechtes notwendig ist.

Mehr noch als bisher müssen wir alles, was wir in Regierung und Parlament leisten, auch vom Standpunkt der Auswirkungen auf die Familie beurteilen. Dazu gehört auch der Ausgleich der Familienlasten und die Erneuerung der in der Familie liegenden Kräfte für die Gesellschaft. Der heute am meisten beunruhigende Faktor in der Diagnose der heutigen Gesellschaft liegt in der Labilität und Anfälligkeit von Ehe und Familie. Krisen der Ehe und der Familie sind viel schlimmer als zeitweise Krisen der Koalition.

Je entschlossener wir Ehe und Familie in den Mittelpunkt unserer Verantwortungsbereiche stellen, desto besser wird es um unsere Gesellschaft bestellt sein!

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