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Zensuren für den Minister

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FINANZMINISTER ZU SEIN ist in einer Demokratie eine Aufgabe, die nur selten Popularität einbringt; und ist auch der Finanz- minister beliebt, so ist es die Finanzverwaltung als Ganzes bestimmt nicht. Stehen doch der Staatsbürger als Steuerzahler auf der einen, die Finanzverwaltung und deren verantwortlicher Leiter, der Finanzminister, auf der anderen Seite in einer Art von natürlichem Spannungsverhältnis zueinander. Meistens wird dem Staatsbürger seine eigene Leistung an die Allgemeinheit (sprich Staat) viel bewußter als die Leistung, die er vom Staat in Empfang nimmt. Die Steuern schmerzen, aber die öffent lichen Leistungen werden zur Selbstverständlichkeit.

Finanzminister Wolfgang Schmitz hat vom Beginn seiner Tätigkeit als Minister an immer neue Versuche unternommen, zum Steuerzahler eine Brücke zu schlagen und bed ihm mehr Verständnis für die Finanzverwaltung und -politik zu erreichen. Die unter dem Titel „Verbesserung des Klimas zwischen Steuerzahler und Finanzverwaltung“ laufenden Aktionen (verstärkte Information der Öffentlichkeit, höflichere Gestaltung der Formulare, Herausgabe einer „Lohnsteuer-Fibel“ und des Zollprospektes „Heimkehr ohne Furcht“ u. a.) setzen aber voraus, daß die Verwaltung weiß, wo den Steuerzahler der Schuh drückt — oder besser, wo dieser glaubt, daß ihn der Schuh drückt.

Damit dies in Erfahrung gebracht wird, führte das Bundesministerium für Finanzen auf der Wiener Herbstmesse 1965 eine Befragung durch. 21.524 Fragebogen wurden ausgefüllt und vom Ministerium ausgewertet. Da die für die Gesamtbevölkerung nicht repräsentative berufliche Gliederung der Befragten ausgeglichen wurde, kann diese Aktion durchaus als seriöse Meinungsbefragung angesehen werden. Vier Fragen waren auf dem Fragebogen zu beantworten:

• Wie charakterisieren Sie die österreichische Finanzpolitik?

• Welche zwei der angeführten Probleme halten Sie für die derzeit wichtigsten?

• Wenn Sie für das Budget des Staates verantwortlich wären, wofür würden Sie in den nächsten Jahren mehr beziehungsweise weniger Mittel als bisher aufwenden?

• Wenn Sie Finanzminister wären und während eines Jahres feststellten, daß die Einnahmen des Staates hinter den Vorausschätzungen Zurückbleiben, was würden Sie tun, um den fehlenden Betrag aufzubringen?

Neben diesen Fragen waren alle möglichen Antworten angeführt, man mußte nur die seiner Meinung entsprechende anzeichnen.

UM ES GLEICH VORWEGZUNEHMEN — die Antworten stellen der österreichischen Finanzpolitik ein gut durchschnittliches Zeugnis aus. Das spricht nicht nur für den Minister (und dessen Vorgänger) sowie für die Beamtenschaft, sondern auch für die Interviewten und damit für die Gesamtbevölkerung. Nicht, weil sie eine bestimmte Politik relativ gut beurteilen, so günstig ist das Urteil auch wieder nicht, sondern weil sie sich nicht von irgendwelchen Emotionen treiben ließen und an ihre Aufgabe mit der Einstellung herangingen: Wie würde ich handeln, wäre ich Finanzminister?

Auf die Frage nach der generellen Beurteilung der österreichischen Finanzpolitik gaben dieser 7 Prozent die Note „vorbildlich“, 27 Prozent die Note „gut“, 38 Prozent entschieden sich für „vertretbar“, 20 Prozent für „riskant“ und nur 5 Prozent für „abzulehnen“. Bei diesem prinzipiellen Urteil gaben Bauern und Pensionisten bessere Zensuren als Angestellte, Arbeiter und Freiberufliche. Frauen hielten im Durchschnitt die Finanzpolitik für besser als Männer, ältere Personen waren in ihrem Urteil milder als jüngere.

DIE ZWEITE FRAGE WOLLTE HERAUSBEKOMMEN, welche Prioritäten innerhalb einer langfristig geplanten Politik der Steuerzahler gerne sehen würde. Damit nicht ein „natürlicher Anarchismus“ des „Mannes auf der Straße“, dem Weinheber die treffenden Worte „Wenn ich einmal was z’ reden hätt’, ich schaffte alles ab“ in den Mund gelegt hat, waren die möglichen Antworten vorgegeben. Von den fünf Möglichkeiten konnten von jedem Interviewten zwei angestrichen werden. 71 Prozent bezeichne- ten die Erhaltung der Kaufkraft des Schillings, 40 Prozent die Sparsamkeit im Staatshaushalt, 31 Prozent die Sicherung der Vollbeschäftigung, 21 Prozent eine gerechte Besteuerung und 16 Prozent die Förderung des Wirtschaftswachstums als die vordringlichsten Aufgaben der Finanzpolitik. Pensionisten, Hausfrauen, Bauern und Beamte stuften die Erhaltung der Kaufkraft am höchsten ein, relativ am niedrigsten die Selbständigen und die Freiberuflichen — ein Spiegelbild der persönlichen Interessen. Innerhalb der Berufsgruppen waren es die Frauen und die älteren Personen, bei denen die Erhaltung der Kaufkraft besonders hoch angesetzt war, während bei den jüngeren die Förderung des Wirtschaftswachstums relativ häufig genannt wurde.

Bei den Antworten auf die Frage Nummer 3 (jeder konnte drei Aufgabengebiete nennen) führen Wohnbau sowie Bildung und Forschung überlegen vor allen anderen Bereichen. Vor allem die hohe Einstufung von Bildung und Forschung spricht für die politische Reife des Durchschnittsösterreichers, denn die Bedeutung dieses Aufgabengebietes ist sicher nicht leicht für alle erkennbar. Wohnbau vor Bildung und Forschung — so reihten Arbeiter, Angestellte, Beamte, Pensionisten und Hausfrauen. Die Mehrheit der Freiberuflichen stellte Bildung und Forschung vor den Wohnbau, bei den Selbständigen rangierte die Gewerbe- und Fremdenverkehrsförderung an der Spitze vor Bildung und Forschung, bei den Bauern die Förderung der Landwirtschaft ebenfalls vor Bildung und Forschung.

EIN HEIKLER PUNKT war der zweite Teil der dritten Frage; hat doch jeder — sowohl der Finanzminister auf der Ebene des Staates als auch der namenlose Steuerzahler im privaten Bereich — genug Möglichkeiten, für die mehr Geld aufzuwenden wäre. Das Problem ist immer nur, auf welchen Gebieten die notwendigen Einsparungen zu machen wären. Bei den von den Befragten gemachten Vorschlägen für Einsparungen kommt eine gewisse prinzipielle Obrigkeitsfeindlichkeit zum Ausdruck. Die unpopulärsten Aufwendungen sind die für die Verwaltung, für verstaatlichte Betriebe, für Landesverteidigung, für Preisstützungen und für öffentliche Betriebe. Die Verwaltung ist als Möglichkeit für Einsparungen bei Arbeitern, Angestellten, Pensionisten, Hausfrauen und Freiberuflichen (hier gleichrangig mit den verstaatlichten Betrieben) an erster Stelle genannt, bei Beamten sind es die Preisstützungen, bei Selbständigen und Bauern die verstaatlichten Betriebe. Bemerkenswert ist, daß eine Einsparung auf Kosten der Verstaatlichten bei den Angestellten an zweiter, bei den Arbeitern an dritter Stelle steht. Sehr populär ist also das frühere „Königreich W aldbrunner“ und gegenwärtige „Königreich Pittermann“ gerade nicht.

DER UNTERSCHIED ZWISCHEN MÄNNERN UND FRAUEN bei der Bestimmung der Rangordnung der Staatsaufgaben ist nicht bedeutend, auffallender ist er zwischen den verschiedenen Altersgruppen. Den bis Dreißigjährigen liegt das Wohnungsproblem ganz besonders am Herzen, die Dreißig- bis Vierzig- und die Vierzig- bis Fünfzigjährigen reihen die Familienpolitik höher ein als andere Altersgruppen, und der Rang von Bildung und Forschung wird bei steigendem Alter immer höher — ein Umstand, der die sonst allgemein zu beobachtende Regel durchbricht, daß jeder die Ausgaben, die ihm persönlich zugute kommen, als besonders wichtig wertet.

Die vierte Frage, die expressis verbis den Befragten sich als Minister fühlen läßt („Wenn Sie Finanzminister wären…“), läßt wenig Antworten zu: Als mögliche Antworten waren Steuererhöhungen, Vergrößerung der Staatsschuld und Vornahme von Einsparungen gegeben. Selbstverständlich entschieden sich die Befragten mit starker Mehrheit (86 Prozent) für Einsparungen. No na, bei dieser Formulierung der vierten Frage wird 1 wiesen, dessen wohlüberlegte und maßvolle Antworten auch dem besten Finanzminister wichtige Hinweise für die Gestaltung der Finanzpolitik geben können. Man sieht ihn direkt vor sich, den namenlosen Steuerzahler, wie er sich über den Fragebogen beugt und überlegt, wie man es wirklich besser machen könnte…

Im Zeitalter des massendemokratischen Parteienstaates werden die Kontakte von „unten“ nach „oben“, von den Regierten zu den Regierenden, immer schwächer. Im Dickicht einer von immer komplizierter werdenden Materien beherrschten Politik findet sich der Durchschnittsbürger nur schwer zurecht. Die Initiative des Finanzministeriums zeigt, wie man auch schwierige Probleme dem „Mann auf der Straße“ begreiflich machen und ihn sogar noch zur Mitarbeit heranziehen tann.

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