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Zentralismus und Föderalismus

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Es ist leider üblich geworden, im politischen Leben .unseres Landes immer wieder auf einen angeblich unversöhnlichen Gegensatz zwischen Zentralismus und Föderalismus hinzuweisen. Von der einen Seite wird behauptet, der Zentralismus der Bundesministerien in Wien erschlage oder verhindere jedes elbständige Leben und manches vernünftige Vorgehen in den Bundesländern, auf der anderen Seite werden die Sonderbestrebungen und die Eigenbrötelei in diesen Ländern getadelt, die in einem so klein und arm gewordenen Staatswesen der notwendigen wirtschaftlichen Einheitlichkeit entgegenwirken.

Was bedeuten Zentralismus und Föderalismus? Der erste ist die zusammenfassende und keine-Gegen Wirkung gestattende Leitung der Staatsangelegenheiten für das ganze Staatsgebiet von wenigen Stellen aus; der andere ist die Inanspruchnahme der überwiegenden Macht zu solcher Leitung durch eine Vielzahl von Selbstverwaltungskörpern innerhalb des Staates für dessen Teilgbiete, unter denen die Länder mit einet neben der Bundesgesetzgebung, in ihrem Bereich gleichberechtigten Landesgesetzgebung im Vordergrund stehen.

Was bedeuten Zentralismus und Föderalis- Staate liegen in seiner Verfassung. Eine solche Macht ergibt sich aus der Berufung zur Gesetzgebung und Vollziehung für bestimmte Angelegenheiten oder wenigstens zu ihrer Vollziehung. Die Bundesverfassung räumt in den Artikeln 10 bis 12 dem Bund diese Macht für viele, in allen Einzelheiten aufgezählte Angelegenheiten ein, von den wichtigsten, wie etwa der Zivil- und Strafrechtspflege und der Sorge für die öffentliche Sicherheit, bis zur verhältnismäßig bedeutungslosen, wie etwa dem Denkmalschutz und der Fürsorge für Kriegergräber. Alle nicht in Gesetzgebung oder auch Vollziehung dem Bund ausdrücklich übertragenen Angelegenheiten verbleiben gemäß Art. 15 im Wirkungsbereich der Länder. Diese sogenannte „Generalklausel“, die der Landesgesetzgebung und Vollziehung ein weites Gebiet ohne bestimmte Grenzen, zum Beispiel jenes der Landeskultur im weitesten Sinne, und bestimmte Zweige der öffentlichen Fürsorge überläßt, mag den Eindruck erwecken, daß die Verfassung stark auf föderalistischen Grundsätzen aufgebaut sei, was in solcher Betonung aber ein Irrtum wäre. Vieles an dieser Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern ist von keiner Seite angefochten, weil einfach selbstverständlich und gar nicht anders denkbar; um Grenzgebiete aber wogt der Streit der Auffassungen, darunter insbesondere auch um jene Zuständigkeiten, die sich aus den durch Kriegs- und Nachkriegszeit bedingten wirtschaftlichen Vorkehrungen ergeben. Die Frage, ob nicht überhaupt in Bund und Ländern allzuviel gesetzlich geregelt und verwaltet wird und ob es nicht besser wäre, den gerade in unserem Volke so reichen Begabungen und dem Ehrgeiz der Wirtschaftsstände und der in ihnen tätigen Einzelpersonen mehr Raum zur freien Führung und Entfaltung zu überlassen, soll in diesem Zusammenhang nur angedeutet werden. Die Frage aufwerfen heißt sie eigentlich schon bejahen.

Wenn aber das Wort vom goldenen Mittelweg sich je bewähren kann, so gilt dies für die Regelung der durch die Berufung zur Gesetzgebung oder Vollziehung erfolgenden Machtverteilung im Staat. Aus der kleinen Ostmark der Babenberger hat sich ein großes Staatsgebiet entwickelt, daß nach Verlust der nicht deutschsprachigen Gebiete gegenwärtig als Republik Österreich die Bundeshauptstadt und die acht Bundesländer umfaßt. Man bezeichnet letztere von alters her und durchaus mit Recht als „historisch-politische“ und, man kann beifügen, auch wirtschaftliche „Individualitäten“. Durch Jahrhunderte von selbständigen weltlichen oder geistlichen Herrschern gelenkt, von einer einzigartigen Verschiedenheit ihres LancLsdiaftbildes und damit auch ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten, Ziele und Wünsche, haben sie sich und ihren Bewohnern eine ausgeprägte Eigenart bewahrt, die auch noch so tief und weitreichende Blutmischungen und Binnenwanderungen, die sich besonders in der Bundeshauptstadt zeigen, nie völlig zu verwischen vermochten. Trotzdem sind sie alle aufeinander angewiesen und brauchen einander, die Getreide- bauem in den Donauebenen, die Viehzucht treibenden Bewohner der Gebirgsgegenden, die Knappen in den Erz- und Kohlengruben, die industrielle Arbeiterschaft, die Gewerbetreibenden und die Vertreter freier Berufe in den Städten und Märkten. Wenn sie sich mitunter nicht verstehen und sich als Gegner betrachten, sind es wirklich nur papierene Wände, die Mißverständnisse, Schlagworte ohne inneren Gehalt und politische Verhetzung zwischen ihnen aufgerichtet haben.

Das gleiche gilt aber auch für das Verhältnis zwischen dem Gesamtstaat, den Ländern und Gemeinden. Jede dieser Gruppen hat ihren Anspruch auf Teilnahme an der Machtausübung und jede beklagt sich mit Recht, wenn dies vernachlässigt wird. Es bedarf aber nur einer gewissen Einsicht und eines ehrlichen guten Willens auf allen Seiten oder, um einen jetzt oft angewandten Ausdruck zu gebrauchen, eines „Solidarismus“ im Sinne gegenseitigen Verständnisses und einer tätigen Hilfsbereitschaft, um beklagenswerte Trübungen und Übelstände, die sich aus diesem Wettstreit ergeben können und leider schon in einem recht weiten Maß eingenistet haben, zum Nutzen der Gesamtheit und aller ihrer Teile gar nicht erst aufkommen zu lassen oder wieder zu beseitigen.

Das sei an einem Beispiel erwiesen: Man nennt das Geld mit Recht den „nervus rerum“ oder, in freier Übersetzung, „da Mittel zur Belebung aller Dinge“. Darum hat sich auch in Österreich der Kampf um Macht und Geltung zu einem großen Teil auf jenem Felde vollzogen, auf dem über die Verteilung der Mittel entschieden wird, die, aus der Volkswirtschaft gezogen, dieser und der Staatswirtschaft wieder nutzbar gemacht werden müssen. Es ist der Streit um die Besteuerungsrechte und Steuererträge. Die wirtschaftliche und verwab tungstechnische Unmöglichkeit einer ausreichenden und dem Bedarf angepaßten Ausstattung von Bund, Ländern und Gemeinden mit voneinander völlig unabhängigen Steuerordnungen liegt auf der Hand. Eine einheitliche Bewirtschaftung von Steuererträgen ist daher eine Notwendigkeit.- Sie allein entspricht auch dem Streben der Volkswirtschaft nach möglichster Einheitlichkeit der Steuer- belastung im Bundesgebiet. Diese Erwägungen sprechen für eine einheitliche Erzielung, aber getrennte Verwendung aller jener Steuererträge, die, wie etwa jene aus der Einkommen- oder Umsatzsteuer als Hauptstützen unserer Steuerordnung, im ganzen Bundesgebiet gleich geregelt bleiben müssen, wenn sich nicht aus der Verschiedenartigkeit ihrer Höhe schwere wirtschaftliche Übelstände entwickeln sollen. Dabei muß man beachten, daß die Erzielung von Steuereinnahmen keineswegs schon Macht verleiht, sondern eher eine äußerliche und moralische Belastung der damit befaßten Körperschaften bedeutet, daß es vielmehr nur das freie Verfügungsrecht über die Anteile an solchen Steuererträgen ist, das die staatsrechtliche Stellung ihrer Empfänger schützt und stärkt.

Allerdings müßten oder sollten neben einer solchen Ordnung allen Gruppen auch selbständige Besteuerungsrechte in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen, die sie nach ihrem eigenen Willen ausgestalten und den beweglichen Bedürfnissen ihrer Haushalte angleichen können. Ohne solche Ergänzung bliebe eine Ordnung der angeführten Art, um deren Anfang und Fortführung sich Männer bemühlt haben, die man getrost zu den großen Österreichern rechnen kann, eine nicht vertretbare Einseitigkeit. Der österreichische Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ist in der Zeit vor 1938 dieser Auffassung in weitem Maße gerecht geworden, bis er durch das deutsche Recht abgeiöst wurde, das einer andersgearteten Statsauffassung entsprach; ihre Spuren sind auf diesem der Politik im engeren Sinne entzogenen Gebiet leider noch keineswegs verwischt, entbehren doch insbesondere die österreichischen Länder unbegreiflicherweise bis zur Gegenwart untereigener Verant- wortung ausgeübter selbständiger Besteuerungsrechte, woraus sich, wie gerade Erfahrungen aus allerjüngster Vergangenheit zeigen, für ihre Haushalte Nachteile und Störungen von bedenklicher Tragweite ergeben können. Neben anderen Rufern sollte daher auch die Stimme Tirols nicht ungehört verhallen, wenn sie unermüdlich für einen gerechteren Ausgleich und vor allem für eine strenge Ordnung bei der Lösung dieser für den öffentlichen Haushalt und damit auch die Landesbevölkerung wichtigen Fragen eintritt.

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