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Zivildiener als „Systemerhalter”?

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Die derzeitige Debatte um NATO-Beitritt und Berufsheer hat bisher ein Thema ausgespart: Was wird aus dem Zivildienst?

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Die derzeitige Debatte um NATO-Beitritt und Berufsheer hat bisher ein Thema ausgespart: Was wird aus dem Zivildienst?

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Ein möglicher NATO-H Beitritt Österreichs be-I A herrscht derzeit die Diskussionen auf allen politischen Ebenen. Geht es nach dem Willen der ÖVP, soll Österreich möglichst bald dem Bündnis beitreten. Notfalls auch durch Änderung des Neutralitätsgesetzes.

Anders die SPÖ: „Wir sind diskussionsbereit über eine ,NATO-neu', die eben kein klassisches Militärbündnis mehr ist, sondern eine Sicherheitsorganisation für sich. Aber das sehe ich derzeit nicht”, so SPÖ-Klubchef Peter Kostelka. Die NATO zum Status quo kommt für ihn nicht in Frage.

Hand in Hand mit einem möglichen NATO-Beitritt wird die Frage diskutiert, ob nach einem Beitritt die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft werden soll, um statt dessen ein Berufsheer einzuführen Dabei wurde bisher eine wesentliche Frage außer acht gelassen: Was wird aus dem Zivildienst, falls ein Berufsheer die allgemeine Wehrpflicht ablöst?

Seit 1974 kann jeder Österreicher statt dem Dienst mit der Waffe Zivildienst leisten. Allerdings mit einigen Hürden: Bis 1992 mußte zuerst die „Gewissensprüfung” abgelegt werden. Mit dem Fallen dieser

Hürde stieg die Zahl der Zivildiener sprunghaft an. Wurden bis 1992 im Schnitt 2.000 Zivildiener pro Jahr zugewiesen, so absolvierten 1993 bereits 5.450 Männer Zivildienst, das heißt, daß mehr als jeder dritte Wehrpflichtige diese Möglichkeit in Anspruch nahm. Im Vorjahr waren es sogar 6.853 (18 Prozent der tauglichen Wehrpflichtigen) - trotz schrittweiser Anhebung der Dienstzeit auf derzeit zwölf Monate (minus zwei Wochen Urlaub).

Seither hat die Bedeutung der Zivildiener in den sozialen

Bereichen stetig zugenommen. „Die jungen Männer leisten wertvollste Arbeit. Sie sind heute ein nahezu unverzichtbarer Bestandteil”, ist man sich im Innenministerium einig. „Gäbe es dieses System nicht, müßte man nachdenken, was man statt dessen einführen könnte, etwa ein ergänzender Dienst in welcher Form auch immer.”

Zivildiener dürften laut Gesetz nur für einschlägige Hilfsdienste eingesetzt werden. Die Realität schaut aber oftmals anders aus. In vielen Bereichen sind die jungen Männer bereits zu einem wesentlichen Bestandteil der in sozialen Bereichen agierenden Organisationen geworden.

Beispiel Caritas Wien: Rund 65 Zivildienstplätze sind vorgesehen. Eingesetzt werden die Zivildiener bei der Caritas vor allem in Pensionistenheimen und Pflegespitälern, bei der Betreuung von Behinderten, Flüchtlingen und Ausländern und in den Lagern. „Wir schätzen die Arbeit, die Zivildiener leisten, sehr. Sie sind ein wesentlicher Faktor und wir haben durchwegs sehr positive Erfahrungen mit ihnen gemacht” , betont Peter Schwaig-hofer von der Personalabteilung der Caritas Wien. Das bedeute zwar nicht, daß der Betrieb der Caritas ohne Zivildiener zusammenbrechen würde, aber: „Sie entlasten und unterstützen unsere Mitarbeiter in vielen Bereichen.”

Ortswechsel zum Verein „Gemeinwesenintegration und Normalisierung” (GIN) in Wien. Der Verein betreut rund 100 geistig behinderte Menschen in Wohngemeinschaften, geschützten Wohnplätzen und im Bereich der Beschäftigungstherapie. Von den 46 Mitarbeitern sind sechs Zivildiener. „Bei der Einzelbetreuung von Behinderten und vor allem bei den Fahrtendiensten sind die Zivildiener eine sehr große Hilfe”, erläutert der Arzt und Obmann des Vereins, Mirko Nalis. Ohne Zivildiener könnte der gemeinnützige

Verein in manchen Bereichen nicht mehr kostendeckend wirtschaften, das wäre sicherlich ein Verlust, meint Nalis. Aber auch das soziale Engagement der jungen Männer beurteilt der Obmann zum Großteil als „sehr positiv”. Der Zivildienst gehe bei einigen sogar nachher in ein Dienstverhältnis über, bestätigt Nalis.

Neben den notwendigen sozialen Aufgaben, die Zivildiener für die Gesellschaft leisten, bietet der Dienst an der Gemeinschaft demnach für viele junge Männer die einzigartige Chance, sich mit alten, kranken oder behinderten Menschen auseinanderzusetzen. Eine Erfahrung, die in unserer Gesellschaft immer wertvoller wird.

Daß der Zivildienst ein außerordentlich positiver Nebeneffekt der allgemeinen Wehrpflicht ist, ohne den vieles nicht mehr aufrecht zu erhalten wäre, bestätigt auch SP-Klubobmann Peter Kostelka. „Damit”, so der Klubobmann, „ist der Charme des Gedankens für junge Menschen aber vorbei, die davon ausgehen, wenn wir zur NATO gehen, dann kommt ein Berufsheer und dann erspare ich mir das Bundesheer.”

Dennoch will sich Kostelka nur ungern auf diese Diskussion einlassen. „Das vermittelt den Eindruck, daß schon nachgedacht wird, wie ein allgemeiner Sozialdienst verwirklicht werden könnte und das ist in meinen Augen nicht die jetzige Problematik, weil ich der Ansicht bin, daß wir noch auf absehbare Zeit beim Milizheer bleiben müssen.”

Der Wiener Politologe Manfried Welan ist der Ansicht, daß in unserer pluralistischen Gesellschaft die allgemeine Wehrpflicht ausgedient hat. „Es sollte eine Wahlmöglichkeit geben. Das würde mir besser gefallen als eine allgemeine Wehrpflicht.” Stattdessen könnte ein einjähriger Gemeinschaftsdienst für alle, also auch für Frauen, eingeführt werden. „Ein Jahr Gemeinschaftsdienst, wo man besondere Leistungen für die Gesellschaft erbringt, der man ja auch viel verdankt, wäre vermutlich die bessere Variante”, ist Welan überzeugt.

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