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Zu jung gefreit — oft gereut

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Das mittlere Heinatsalter hat sich während der letzten Jahrzehnte auch in Österreich fühlbar weiter gesenkt. Bei dien Männern betrug es 1937 28,3 Jahre, 1964 waren es noch 24,5 Jahre1; bei dien Frauen lauten die Vergleichszahlen 25,5 (1937), 22,2 Jahre (1964), Von 52.887 im Jahre 1950 erstheiratenden Frauen waren 10.127 oder 19,1 Prozent minderjährig. Bei den Männern waren es 2346 oder 4,5 Prozent. Der Anteil der minderjährig Eheschließenden vergrößerte sich von 1950 bis 1960 ganz wesentlich; er verdoppelte sich. Von 51.097 im Jahre 1960 erstheiratenden Frauen waren 19.814 oder 38.8 Prozent (!) unmündig. Im selben Jahr begründeten 10,3 Prozent aller erstheiratenden Männer im unmündigen Alter eine Ehe. Seither ist der Anteil der unmündig Eheschließenden etwas zurückgegangen: von den erstheiratenden Frauen waren 1964 35.8 Prozent, von den erstheiratenden Männern 8,6 Prozent noch nicht 21 Jahre alt. Aus den beiden nachstehenden Tabellen ist die nähere Altersaufgliederung der 1964 in unmündigem Alter heiratenden Mädchen beziehungsweise jungen Männer ersichtlich.

Krisenanfälliger…

Das Verhältnis der Eheschließungsund Ehescheidungszahlen Minder- und Volljähriger ergibt eine größere Scheidungsanfälligkeit der Frühehen. Das ist weder für den Fachmann noch für den lebenserfahrenen Baien verwunderlich und findet seine Bestätigung im Ausland. Von den Frauen, die 1964 in Österreich nach vorausgegangener Scheidung eine zweite Ehe eingingen, waren 85 noch nicht 21 Jahre alt. Es beginnt somit bereits die Statistik über jene Frauen, die nach dem Scheitern ihrer ersten Ehe noch vor Erreichung der Volljährigkeit die zweite geschlossen haben. Da diese Zahl anzusteigen scheint, wird man sich in zehn Jahren vielleicht schon mit einer Tendenz zur Frühzweitehe befassen . Doch wollen wir eine solche mögliche Prognose vorerst nur als eine Kuriosität verstehen.

Es genügt nämlich durchaus die Problematik der minderjähriggeschlossenen Erstehen. Obwohl diese damals noch zahlenmäßig geringer waren, errecbnete das österreichische Statistische Zentraiamt3 für den zwölfjährigen Zeitraum von 1946 bis 1957, daß von allen geschiedenen Männern im Durchschnitt 6 Prozent, von allen geschiedenen Frauen im Durchschnitt 26 Prozent vor Erreichung der Volljährigkeit geheiratet hatten. Anders aus- gedrückt: In diesem Beobachtungszeitraum war im Hinblick auf den Mann rund jede 17., in bezug auf die Frau rund jede 4. geschiedene Ehe eine Frühehe. Unberücksichtigt bleiben dabei die dem Bande nach aufrechten, aber gestörten, ja desolaten Frühehen.

Die großen Schwierigkeiten bei Bewältigung einer Frühehe sind auf mehrere Ursachen zurückzuführen. Zunächst ganz allgemein auf die mangelnde menschliche Reife und Erfahrung, was keiner näheren Erläuterung bedarf. Sind doch die unter „Erwachsenen” geschlossenen Ehen schon Wagnis und manchmal auch Belastung genug, so daß die große Eheproblematik der Industrie- gesellschaft nicht noch durch die Eheschließung Jugendlicher verschärft werden muß. Die Frühehe unserer Tage aber ist durch mehrere spezielle Ursachen zusätzlichen Schwierigkeiten ausgesetzt.

Anpassungsschwierigkeiten

Das viel behandelte entwicklungs- biologische Problem der Reifungsbeschleunigung (Akzeleration) darf nahezu als bekannt vorausgesetzt werden. Es zeigt eich immer deutlicher, daß die Vorverlegung der biologischen Reife in der gesamten Kulturwelt zu einer jeder zufälligen Schwankung entrückten Dauererscheinung geworden ist. Mit der Vorverlegung der biologisch-sexuellen Reife hält aber die geistig- seelisch-sittliche Reifung nicht Schritt, so daß es zu den bekannten inneren Widersprüchen und seelischen Schwierigkeiten kommt, wie sie vor Jahrzehnten der Heranwachsendem Generation in einem solchen Grade nicht bekannt waren.

Unsere heutige Jugend ist durch die soziologischen Veränderungen der fortgeschrittenen Industriegesellschaft immer größeren Anpassungsschwierigkeiten hinsichtlich der Gewinnung ihres gesellschaftlichen Standortes ausgesetzt. Bei Übergang des Jugendlichen zur Rolle des Erwachsenen steht der sieh ausweitenden Jugendzeit der Versuch gegenüber, dem Jugendlichen — meist auf dessen eigenen Wunsch — Rollen der Verantwortlichkeit zu geben. Für labile Jugendliche wird daraus eine Zwitterstellung in der persönlich-ethischen Lebenshaltung, speziell auch hinsichtlich der Ehe. Einerseits pochen diese Jugendlichen auf die ihnen übertragene Verantwortung, auf ihr daraus selbst abgeleitetes Erwachsensein, was sie zur Betonung ihrer Rechte und Reife, auch hinsichtlich der Eheschließung, veranlaßt. Anderseits flüchten sie dann vor der selbst aufgebürdeten Verantwortung gerne in die Kindheit. Bei strafbarem Verhalten etwa berufen sich solche Jugendliche gerne auf ihre nicht erreichte Volljährigkeit. In der Frage der Ehereife nehmen sie, wie in anderen Fragen der Teilnahme an der Welt der Erwachsenen, gerne die ihnen jeweils günstiger erscheinende Rolle hinsichtlich Rechten und Genuß einerseits, Verantwortung und Last anderseits ein. Man kann aber nicht Annehmlichkeit und Rechte von der ihnen entsprechenden Pflicht und Verantwortung trennen. Man kann nicht gleichzeitig Jugendlicher und Erwachsener sein. Das aber ist in vielen Fällen die Situation und Problematik der modernen Frühehe.

Verstärkt werden die Schwierigkeiten der Frühehe durch die mangelnde Ehevorbereitung der Jugendlichen, wobei das langjährige Erlebnis einer geglückten Ehe der Eltern nach wie vor die wichtigste Ehevorbereitung ist. Die Ehesituation unserer Tage aber ist bekannt. Sie ist eine große Hypothek für die Jugend von heute.

Wenn das Elternhaus versagt

Erschwerend für die Frühehe wirkt der moderne Wertpluralismus dort, wo das Elternhaus bei der Heranbildung des Jugendlichen zum positiven Wertverhalten versagt hat. Aber nicht genug damit. An Stelle eines echten Wertpluralismus findet der unsichere junge Mensch nicht selten einen überhaupt nicht mit festen Maßstäben messenden Relativismus oder gar einen Wert-losen Indifferentismus in der Welt der Erwachsenen vor. Wie soll man dann vom Halberwachsenen richtige Maßstäbe bei der Begründung einer Frühehe und die Meisterung der durch sie zwangsläufig kommenden erschwerten Konflikte erwarten können? Eheschließung .und Ehebewältigung sind unter solchen Umständen für den Vollreifen Erwachsenen Aufgabe genug.

Die „Muß-Ehe”

Der hauptsächlichste Grund für das rasche Eingehen einer Frühehe ist eine Schwangerschaft. Welch schlechtes Beginnen, wenn neben allen anderen Schwierigkeiten die Ehe menschlich Halbreifer solchermaßen erzwungen und durch die verfrühte Sorge für ein unschuldiges Kind belastet ist — noch dazu in vielen Fällen bei wirtschaftlicher Dürftigkeit und Wohnungsnot! Es ist ein grundlegender Fehler, ein Versuch mit untauglichen Mitteln, die Schwierigkeiten eines unehelichen Kindes durch das Glücksspiel einer unvorbereiteten, unreifen Ehe meistern zu wollen. Die Frühehe ist keine Institution zur Lösung psychologischer und gesellschaftlicher Konflikte der jungen Menschen. Diese Schwierigkeiten werden durch eine Ehe oft bis zur Unerträglichkeit vergrößert und bewirken dann ein verpfuschtes Leben, nicht selten auch für die unschuldigen Kinder, deren Lebensschicksal dadurch oft maßgeblich vorbestimmt wird.

Selbstverständlich kann eine unbedachte Frühehe auch glücken, wie überhaupt in jedem Einzelfall die Prognose vom persönlichen Reifezustand der Brautleute sowie von den gesamten Lebensumständen abhängt. Im Regelfall aber wird man warnen müssen vor einer Frühehe, also von einer zwischen zwei Minderjährigen geschlossenen Ehe. Zweifellos stimmt das Wort „Jung gefreit, hat niemals gereut”. Genausogut aber kann man sagen: „Zu jung gefreit, hat schon viele gereut.”

1 Der letzterschienene Band über die „Natürliche Bevölkerungsbewegung” des österreichischen Statistischen Zentralamtes behandelt das Jahr 1964. Sämtliche Zahlenangaben sind aus den Unterlagen des Statistischen Zentralamtes entnommen beziehungsweise errechnet.

1 Der Kulminationspunkt im Lebensalter der sich nach Scheidung wiederverheiratenden Frauen lag 1963 bei 23 Jahren, 1964 bei 24 Jahren.

3 Die Ehescheidung — eine statistisch-soziologische Untersuchung, Wien 1959, S. 21 ff.

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