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Zusammenfassung

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Unsere Untersuchung über die Beziehung der befragten Jugendlichen zu Religion und Kirche versuchte in erster Linie, das Verhalten der Lehrlinge hinsichtlich der religiösen Praxis zu erfassen, welche die Religionsgemeinschaft, der sie in überwiegender Mehrzahl angehören — die katholische Kirche —, ihren Mitgliedern nahelegt. Dabei zeigt sich — was als erster Eindruck überraschen mag —, daß nur , etwas mehr als ein Fünftel der befragten .735 Katholiken sonntags regelmäßig zur Kirche geht, obwohl der sonntägliche Gottesdienstbesuch zu jenen Übungen gehört, die die Kirche von ihren Gläubigen verlangt. Wir dürfen aus diesem Ergebnis aber nicht den Schluß ziehen, daß bei den restlichen vier Fünfteln keinerlei Beziehung zur religiösen Praxis vorhanden wäre: Denn weitere 37 Prozent gehen doch zumindest unregelmäßig — gelegentlich oder zu den hohen Feiertagen — in die Kirche. Immerhin verbleiben 40 Prozent der untersuchten Wiener und niederösterreichischen Schlosser- und Tischlerlehrlinge, die so gut wie nie eine Kirche besuchen. Der Gottesdienstbesuch der älteren Burschen liegt unter dem der jüngeren; wir können bei den jüngeren noch eine Nachwirkung des Religionsunterrichtes feststellen, der für ,die österreichischen Lehrlinge bis jetzt mit dem 14. Lebensjahr aufhörte.

Während die regelmäßige Teilnahme am Gottesdienst nur 22 Prozent beträgt, haben 40 Prozent der Lehrlinge im Frühling des Befragungsjahres die Sakramente der Beichte und der Kommunion empfangen. Es scheint also, daß gerade die regelmäßig zu erfüllende religiöse Pflicht für die Jugendlichen die unangenehmere ist und diejenige, die am meisten mit anderen, besonders mit Freizeitinteressen kollidiert.

Doch können wir keine die Gesamtgruppe betreffende Aussage machen, ohne gleichzeitig darauf hinzuweisen, wie stark diese Ergebnisse nach der Sozialre^ion variieren: je kleiner die Agglomeration der Wohnbevölkerung, je weniger städtisch ihr Charakter, desto stärker ist die Teilnahme am Gottesdienst. Schon diese Tatsache zeigt, daß in Wertfragen .keineswegs jene Angleichung zwischen Stadt und Land eingetreten ist, die öfters von allgemein kulturkritischen Beobachtern angenommen wird. Die stärkere religiöse Praxis der Jugendlichen! In den kleineren Gemeinden läßt sich wohl damit erklären, daß das bäuerliche Vorbild auch dort wirksam ist, wo der Anteil der landwirtschaftlichen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung — wie es in der überwiegenden Mehrzahl selbst der kleineren hier in Frage stehenden Gemeinden der Fall ist — unter 40 Prozent liegt, und auch bei jenen Einwohnern solcher Gemeinden, die selbst — wie 90 Prozent der von uns Befragten — aus nicht bäuerlichen Familien kommen. In den kleinen Gemeinden ist also die Kirche als Kulturfaktor stärker erhalten geblieben, wofür wir eine Reihe von Erklärungen fanden.

Auch gesellschaftsphilosophische Ideologien kamen in den verschiedenen Gemeindetypen zu verschiedener Wirkung. Für die niederösterreichischen Gemeinden bedeutete die Industrialisierung im letzten Drittel des 19. und im 20. Jahrhundert eine Zuwendung zur damals Sozialdemokratischen Partei. In den kleineren Orten mit mehr als einem Drittel bäuerlicher Bevölkerung ist auch heute noch, obwohl die Auseinandersetzung zwischen kirchlichen Gruppen und sozialistischen Organisationen in der Regel andere Formen entwickelt hat als in der Ersten Republik, die religiöse“ Praxis relativ hoch und zugleich der sozialistische Stimmenanteil relativ gering.

Hinzu kommt, daß die Anzahl der Katholiken, die auf einen Seelsorger entfällt, nach dem Wohnort der befragten Burschen stark variiert, und zwar so, daß die katholische Seelsorge in den kleinen ländlichen Gemeinden konzentrierter /dvirksam werden kann, in denen kirchen- und religionskritische Ideen schon aus den oben dargelegten Gründen weniger stark durchdrangen als in der Großstadt und der industriellen städtischen Agglomeration.

, Zwischen den einzelnen von uns untersuchten Manifestationen der religiösen Praxis — Sonntagskirchgang, Sakramentehempfang, Teilnahme an der Fronleichnamsprozession und Firmung — besteht zwar einerseits ein starker'positiver Zusammenhang, das heißt also, daß

! unter jenen Jugendlichen,' die sonntags regelmäßig zur Kirche gehen, auch der Anteil der Sakramentenempfänger, der Teilnehmer an der Fronleichnamsprozessiön und der Geflrmten höher ist als unter jenen, die nur unregelmäßig dem Gottesdienst beiwohnen. Anderseits zeigen diese Manifestationen eine starke Staffelung insofern, als fast drei Viertel aller katholischen Befragten gefirmt sind, während nur etwas mehr als ein Fünftel von ihnen regelmäßig am Sonntagsgottesdienst teilnimmt.

Ein enger Zusammenhang besteht zwischen religiöser Praxis und Elternhaus. In den Familien von Facharbeitern - scheint, der politischen Tradition der organisierten Arbeiterschaft entsprechend, ein weniger kirchenfreundlicher Einfluß zu herrschen als in denen von Hilfsarbeitern, die eine Übergangsgruppe zwischen Bauerntum und Arbeiterschaft darstellen.

Ale Vermittlerin religiöser Traditionen und Verhaltensweisen kommt der Mutter innerhalb der Familie besondere Bedeutung zu. Durch die starke emotionale Beziehung zum Sohn hat sie, wie wir durch mehrere Fragen feststellen konnten, hinsichtlich der religiösen Praxis des Sohnes eine Bestimmungskraft, die schwerer wiegt als die des Vaters.

1 Diese und die folgenden Relativzahlen über die religiöse Praxis beziehen sich sinngemäß auf die 735 katholischen Jugendlichen.

* J. J. Dellepoort, und L. Grond, Stand und Bedarf an Priestern in Österreich, in: Social Compass, Jahrgang IV, Nr. 3/4, S. 8 f f.

' Wir werden im folgenden die Teilnahme am Gottesdienst, eine spezifische Manifestation der religiösen Praxis, nicht nur als solche, sondern auch als Indiz für die „Bindung an die Kirche“ ansehen, weil wir von vielen anderen Ergebnissen über die religiöse Praxis ja wissen, daß die Gottesdiensteilnahme für viele Zwecke — (nicht für alle!) — zum Gradmesser für die Bindung an die Katholische Kirche genommen werden kann.

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