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Zutrauen, Zuwendung, Zuversicht

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Die „Lehranstalt für Ehe- und Familienberatung” der Erzdiözese Wien feierte kürzlich ihren 25. Geburtstag. Ein Fachtag im „Don Bosco”-Haus aus diesem Anlaß war dem Thema „Stellenwert und die Notwendigkeit von Beratung in der heutigen Gesellschaft” gewidmet.

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Die „Lehranstalt für Ehe- und Familienberatung” der Erzdiözese Wien feierte kürzlich ihren 25. Geburtstag. Ein Fachtag im „Don Bosco”-Haus aus diesem Anlaß war dem Thema „Stellenwert und die Notwendigkeit von Beratung in der heutigen Gesellschaft” gewidmet.

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Den großen Aufschwung der Ehe-, Familien- und Lebensberatung verdankt Österreich der Fristenlösung und dem damals entstandenen Konflikt in der österreichischen Bevölkerung. 1974 haben alle im Parlament vertretenen Parteien festgehalten, daß es sich bei Abtreibung um etwas handelt, das unter allen Umständen zu vermeiden ist.

Das Zauberwort hieß damals „flankierende Maßnahmen”, und eine dieser Maßnahmen war die Familienberatung mit dem dazugehörenden „Fa-milienberatungsförderungsgesetz” aus demselben Jahr.

Es zeigte sich von Anfang an, daß die Beratungsstellen aller Regionen und aller Träger nicht nur in Fragen der Familienplanung und des Schwangerschaftskonflikts, sondern in allen Bereichen der Familie, Partnerschaft und Lebensfragen in Anspruch genommen wurden. Dies wurde auch von Anfang an von den jeweils dafür zuständigen Ministerien gutgeheißen und unterstützt.

Mit dem Familienberatungsförde-rungsgesetz traten Diplomsozialarbeiter beziehungsweise diplomierte F,he- und Familienberater in das Zentrum der Beratungstätigkeit. Beide Berufsgruppen arbeiten mit anderen Professionen wie Juristen, Mediziner, Therapeuten und Mediatoren zusammen, wobei das Team und die Super -vision eine große Rolle spielen.

Die Klienten bestimmen im wesentlichen Thema, Dauer und Fortgang der Beratung. In einem FLrstge-spräch klärt sich das Ziel, zu dem die Beraterin/der Berater begleiten kann. Die beraterische Methode ist je nach Ausbildung und Vorliebe unterschiedlich: Klientzentriert, verhaltensorientiert, systemisch oder analytisch. Die Beratung wird kostenlos angeboten, kann anonym in Anspruch genommen werden und ist durch die Berufsverschwiegenheit der Beraterinnen und Berater geschützt.

Schätzungen belaufen sich auf eine F,rfolgsquote von etwa 80 Prozent. In so vielen Fällen ist eine deutliche Verbesserung zumindest in Teilbereichen feststellbar. Mithilfe des Projektes „Beratungsbegleitende Forschung” wurde in'den Jahren 1992 bis 1995 festgestellt, daß insbesondere Partnerberatungen in einer Dauer von zirka zehn Sitzungen signifikante Fortschritte in den einzelnen Bereichen (affektive Kommunikation, Problemlösung, gemeinsame Freizeitgestaltung, Finanzplanung, sexuelle Zufriedenheit, Rollenorientierung und Kindererziehung) aufweisen.

Darüber hinaus belegt diese Studie, die an kirchlichen Reratungsstellen mit diplomierten Ehe- und Familien-berater(innen) und ihren Klientenpaaren durchgeführt wurde, daß kein signifikanter Unterschied in den Re-ratungserfolgen zu frei praktizierenden Therapeuten in vergleichbaren Studien festzustellen ist.

Eine große Rolle spielen die E,he-und Familienberatungsstellen insbesondere dort, wo das psychosoziale Netz entweder kaum .ausgebaut (ländlicher Raum) oder auf Grund geringfügiger finanzieller Mittel nur schwer beanspruchbar ist. Das sind viele Gründe, um das 25-Jahr-Ju-biläum der Lehranstalt der Erzdiözese Wien zu feiern. Die vielen Zugänge und Methoden zur Beratung wurden in Referaten und Arbeitskreisen veranschaulicht. Ein von Martin Koschorke (evangelischer Ausbil dungsleiter in Berlin) gehaltenes Referat zum Thema „Wie christlich ist Beratung?” brachte sehr Wesentliches zum Beruf des Beraters und zur Situation des zu Beratenden zur Sprache:

Aus der Sicht des Ratsuchenden stellt sich für ihn beim Betreten einer katholischen oder evangelischen Beratungsstelle sicher sehr rasch die Frage: „Wird die Beraterin, der Berater verstehen, daß für mich - durch eine Kette von Schicksalsschlägen (Arbeitslosigkeit, Depression, Invalidität) nicht nur eine Welt eingestürzt ist, sondern auch mein Glaube zerbrochen ist? Werde ich jemanden vorfinden, der nicht nur meine Verzweiflung nachvollziehen, sondern auch meine Glaubenszweifel aufgreifen kann und mir auf meine Frage ,Wie konnte Gott so etwas zulassen' wird antworten können?”

Der Ratsuchende fragt sich vielleicht auch, ob sich der Berater in einer christlichen Beratungseinrich-tung auf seine Sprache wird einlassen können, auf die Sprache des Glaubens, die ihn

I 111 geprägt hat. Wird er in derselben Sprache antworten können, oder wird dort jemand sein, der mit dieser Sprache nichts anfangen kann, ihr distanziert gegenübersteht, sich vor ihr scheut oder sie sogar als Widerstand analysiert?

Vielleicht gibt es beim Batsuchenden auch die Sorge: „Macht mir die Beratung meinen Glauben kaputt?” Diese Befürchtung wird zu Beginn mancher Beratung explizit geäußert.

Viele Ratsuchende wählen katholische oder kirchliche Reratungsstellen mit Redacht aus, weil sie der Kirche, wenn es um seelische Probleme geht, einen Vertrauensvorschuß geben. Oft wird auch ein besonderes Maß an Ver-' schwiegenheit erwartet, wie manche

Klienten sie bei staatlichen Stellen nicht gewährleistet sehen.

Da in manchen Großstädten heute bereits ein Uberangebot an frei praktizierenden Psychologen und Therapeuten herrscht, werden kirchliche Beratungsstellen auch von jenem Teil der Bevölkerung gerne in Anspruch genommen, der sich einen Therapeuten nicht leisten kann. „Wie christlich ist Beratung?” heißt für diese Menschen konkret: Wie teuer sind der Kirche die Mühseligen und Bela-denen, die arm oder ausgegrenzt sind?

Für einen Nichtchristen - oder Kirchenfernen -, dem die Beratungsstelle von Bekannten empfohlen wurde, stellt sich vielleicht die Frage: „Bin ich hier überhaupt richtig? Muß ich dazugehören, um willkommen zu sein? AVerden die mich irgendwie be-einflußen, unter Druck setzen? Bekomme ich hier eine fachlich qualifizierte Beratung, ohne auf meine Einstellung zu Glaubensdingen abgeklopft zu werden?”

Wie christlich ist Beratung aus der Sicht der Beraterinnen und Berater?

Für den theologisch vorgebildeten Mitarbeiter einer kirchlichen Beratungsstelle ist es klar, daß er selbst der F'rage nachgeht, auf Grund welcher theologischer oder persönlicher Motivation er sich gerade diesem Zweig kirchlicher Tätigkeit zugewandt hat.

Für Psychologen oder anders vorgebildete Fachpersonen geht es darum, eine Verbindung zwischen ihrer fachlichen Überzeugung (zum Beispiel dem ihrer psychologischen Fachrichtung zugrundeliegenden Wertesystem) und ihrer Glaubenseinstellung, den Erfahrungen ihrer religiösen Sozialisation und, soferne sie an einer kirchlichen Stelle arbeiten, auch den Vorstellungen des Arbeitgebers herzustellen. F,s ist nicht immer einfach, diese drei oder vier verschiedenen Dinge auf einen Nenner zu bringen. Warum?

Beraterisch-fachlich gut sein setzt die Trennung von Persönlichem und Fachlichem voraus. Was der Berater unter „christlich” versteht, muß mit dem, was der Dienstgeber unter „christlich” versteht, nicht immer übereinstimmen. Sicher spielen hier auch die F,rfahrungen mit christlichem Glauben und religiöser Praxis aus der Kindheit eine Rolle.

Dazu kommt, daß Reraterinnen und Berater ihr eigenes Arbeitsinstrumentsind. Sie arbeiten jeweils mit ihrer ganzen Persönlichkeit, mit Geist, Körper, Gefühl, Kontakt- und Wahr-Beratungsgespräch: Ohne den Glauben an Wege aus der Krise ist jede Beratung sinnlos Fotos Kinit nehmungsfähigkeit. Zuwendungsund Konfrontationsfähigkeit sind Teil des beraterisch-therapeutischen Prozesses. Berater und Therapeuten sollten sich selbst einigermaßen gut kennen. Sie sollten über ihre Stärken und „blinden Flecke” wissen. Das setzt voraus, daß sie sich mit ihren Eigenheiten, Einstellungen und Überzeugungen bis hin zu den eigenen Glaubensvorstellungen auseinandergesetzt haben. Dieser persönliche Prozeß muß nicht abgeschlossen sein, er bleibt immer lebendig.

Glaube, Liebe Hoffnung - diese drei lugenden werden vom Apostel Paulus als die Grundlage des Erkennens gepriesen (1 Kor 13, 12f).

In die Sprache des Beraters umgesetzt heißt Glaube, Liebe, Hoffnung so viel wie: Zutrauen, Zuwendung, Zuversicht.

Beratung und Therapie sind ohne grundlegendes Zutrauen in die Lebensfähigkeit und den Lebenswillen des Klienten nicht möglich. Die Zuwendung zum Gegenüber äußert sich neben dem diagnostischen Erkennen vor allem im Verständnis für den anderen. Ohne die Zuversicht, daß es Möglichkeiten aus der Krise gibt, und daß es sich lohnt, sich gemeinsam auf die Suche nach dem Weg nach vorne zu machen, ist Beratung sinnlos. Sie wird durch Glaube, Liebe und I Ioff-nung christlich und auch erfolgreich sein.

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