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Zuviel Klassenlehrfächer?

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Wenn einerseits trotz aller Bemühungen der Unterrichtsbehörden und der Lehrer immer wieder Klagen über mangelnde Kenntnisse der Mittelschüler laut werden, deren Ueberbürdung anderseits sogar amtliche Erlässe feststellen, dann kann wohl die Schuld nur daran liegen, daß man in den letzten Dezennien nicht nur neue Pflichtfächer in den Mittelschulen einführte, sondern auch eine Anzahl schon bestehender auf alle acht Schuljahre ausdehnte. Dies konnte nur auf Kosten der Leistungsmöglichkeit der Schüler und der gründlichen Arbeit in den einzelnen Unterrichtsgegenständen geschehen, mußte aber außerdem zum Teile zu einer Auf- plusterung des Lehrstoffes führen, der in seiner Ueberfülle jedes vernünftige Studium erschwert. Wenn in diesem Zeitraum die Zahl der Pflichtfächer in der obersten Klasse um etwa 50 Prozent gestiegen ist, mußten die Leistungen der Schüler, wenn wir den Begabungsdurchschnitt heranziehen, zurückgehen oder zumindest der Gründlichkeit entbehren.

Alle modernen pädagogischen Erkenntnisse und der Einsatz der wertvollen neuzeitlichen Unterrichtsbehelfe’ werden diesen Uebelstand nicht beseitigen können, um so weniger, da die vielfach erschreckend schlechten häuslichen Verhältnisse die Arbeitsleistung der Mittelschuljugend beeinträchtigen.

Um diese Schwierigkeiten zu beheben, wäre es gar nicht notwendig, einzelne Unterrichtsgegenstände gänzlich aus dem Lehrplan auszuschalten oder die ihnen zugeteilte Gesamtstundenzahl überhaupt oder einschneidend einzuschränken, man müßte nur ihre Aufteilung auf die verschiedenen Jahrgänge regeln und sie vom pädagogischen Standpunkt aus möglichst günstig ansetzen. Dadurch könnte man auch einen wunden Punkt des Mittelschulbetriebes fast zur Gänze beseitigen, die vielen Unterrichts-gegenstände mit nur zwei Wochenstunden, von denen noch viele wegen verschiedener Feiertage, Exkursionen und Sprechtage ausfallen. Für den Lehrer sind diese Gegenstände infolge der Stoffüberfülle und der Notwendigkeit, den Wissensstand der Schüler festzustellen, eine Quelle immer neuer Schwierigkeiten und nicht immer gerechter Beurteilung der Schülerleistungen. Dabei ist es einleuchtend, daß Schüler, selbst bei gleichbleibender Gesamtstundenzahl, einen ungleich größeren Lehrstoff bewältigen und. daher auch eine entsprechend größere häusliche Arbeitsleistung aufbringen müssen, wenn sie 13 statt etwa nur 8 Unterrichtsgegenstände stofflich erarbeiten müssen.

Begreiflicherweise wird man auf den stärksten Widerstand der Lehrer einer Fachgruppe stoßen, wenn sie die ihrem Fach zugeteilte Stundenzahl bedroht sehen, aus fachlichen, sicherlich aber auch aus standespolitischen Gründen. Sie werden sich aber damit ginverstanden erklären, daß ihr Lehrfach nur in der Hälfte .der Jahrgänge, aber mit verdoppelter Stundenzahl geführt wird. Warum könnte z. B. nicht Physik in der 5. Und Klasse ausfallen, dafür aber in der und 8. Klasse mit vermehrter Stundenzahl unterrichtet werden, da noch dazu die mathematische Vorbildung der Schüler in dieser Altersstufe weit bessere Grundlagen böte? Der naturgeschichtliche Unterricht könnte seine Aufgaben bei entsprechend vergrößerter Stundenzahl wohl in den beiden ersten Jahrgängen der Oberstufe bewältigen, statt mit je zwei Wochenstunden von der bis zur 8. Klasse, wie sie in der nationalsozialistischen Aera eingeführt worden waren.

Eine sehr heikle Frage sind in dieser Hinsicht die sogenannten musischen Fächer. So sehr gerade im Hinblick auf die Sonderbegabung der Oesterreicher ihre Pflege erwünscht ist, so hat man durch ihre Ansetzung als Reifeprüfungsgegenstände wohl über das Ziel geschossen und ihnen als Pflichtfächern einen zu großen Raum in den Stundentafeln der Obermittelschulcn cingeräumt. Sie wurden dadurch leider nur allzuoft bloße Wissenvermittlungsfächer und ihrem eigentlichen Zwecke, der praktischen musischen Erziehung, entfremdet. Warum müssen Schüler, die musisch vollkommen unbegabt sind, Zeit auf einen Unterrichtsgegenstand verschwenden, die sie in einem anderen Fache- viel wertvoller ausnützen könnten? Um wieviel günstiger und dankenswerter wäre die Aufgabe der musischen Lehrer, wenn sie nur mit jenen Obermittelschülern arbeiten müßten, die sich dieses Fach aus wirklichem Interesse oder wegen ihrer Begabung gewählt haben.

Bei einer Neuordnung der österreichischen Mittelschule wird man in mancher Hinsicht neue Wege beschreiten müssen. Manche Fragen werden so zu einer befriedigenden Lösung geführt werden können, aber trotzdem würden alle Bemühungen erfolglos bleiben, wenn man nicht in der Frage der Lehrfächerverteilung auf die einzelnen Klassen und ihrer Verringerung zu einem Ergebnis kommt, das von der oberflächlichen Vielwisserei, die durch die Ueberzahl von Unterrichtsgegenständen verursacht wird, wieder zur gründlichen Wissensaneignung in den einzelnen wichtigen Gegenständen gelangt.

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