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Zuwenig gute Lehrer!

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Der folgende, temperamentvoll subjektiv geschriebene Artikel ist ein Echo auf den Aufsatz unseres Mitarbeiters Univ.-Prof. Doktor Anton Burghardt, „Notruf: Zuwenig Lehrer“ („Die Furche“, Nr. 45,

7. November 1964). Obwohl wir uns mit den Thesen D r. Karl J elu - sic' nicht identifizieren, möchten wir seinen Ausführungen im Sinne einer offenen Diskussion in den Spalten unseres Blattes Raum geben. Mögen andere Wortmeldungen folgen. Die Redaktion.

Was dieser Titel aussagt und fordert, hat Univ.-Prof. Dr. Burghardt schon in Folge 45 dieser Zeitschrift ausgedrückt, als er schrieb: „Ausleseschulen können sogar in Kellerlöchern untergebracht werden, während anderseits Schulpaläste, in denen ungeeignete Lehrkräfte unterrichten, den Rang von Kümmerschulen haben.“ Die Leistungen unseres Schulwesens sind also in erster Linie nicht von den Schulgebäuden und ihrer Einrichtung, von Schulgesetzen und Lehrplänen, sondern von der Qualität der verfügbaren Lehrer bestimmt. Wir brauchen eine qualitative Schulpolitik, wie wir etwa auch eine qualitative Sozialpolitik nötig hätten.

Wir Lehrer kennen die Übel in unserem Schulwesen genau, wir können aber auch die Auswege aus unserer Schulmisere recht präzise formulieren. Wir wissen etwa aus unserer Erfahrung, und eine Enquete in der Bundesrepublik Deutschland hat das jüngst auch statistisch festgestellt, daß keiner unserer Schüler, der begabt und tüchtig ist, Rückgrat und Initiative hat, Lehrer wird. Gesetzgeber und Schulbehörden können den quantitativen Lehrermangel nicht übersehen; den qualitativen wollen sie nicht zur Kenntnis nehmen, weil sie die Hauptschuld daran tragen. In unserem Unterrichtsministerium verweist man mit Genugtuung auf die steigende Zahl der für das Lehramt Studierenden an unseren Hochschulen. Wenn man dem entgegenhält, daß mehr als vier Fünftel der Lehramtskandidaten weiblichen Geschlechts sind, antwortet der Beamte mit einem Achselzucken: „Das ist eine weltweite Erscheinung.“

„Verweiblichung“ eines Berufsstandes

Natürlich sind Lehrerinnen genau so notwendig und wertvoll wie Lehrer, aber in angemessener Proportion zur Zahl ihrer männlichen Kollegen. Erziehen ist an sich eine sehr männliche Aufgabe. Man hat die väterliche Autorität in der Familie verringert, nun wird sie auch aus den Schulstuben verdrängt.

Die Verweiblichung eines Berufsstandes ist ein unfehlbares Anzeichen seiner Deklassierung, ob es sich nun um Straßenbahner oder um Lehrer handelt. Inwiefern sind die Lehrer in der Zweiten Republik Österreich deklassiert?

1. Wie das Einkommen aller höheren Beamten (mit Matura oder akademischer Vorbildung), liegt auch ihr Realeinkommen immer noch unter dem der Ersten Republik und kann natürlich mit den Anfangsbezügen oder Lebensverdienstsummen in der Privatwirtschaft überhaupt nicht verglichen werden. Während dieser Notstand bei vielen Beamtengruppen irgendwie kompensiert wird — die Richter erhalten eine Personalzulage. die Ministerialbeamten Zuwendungen aus dem Sachaufwand, die Landesbeamten werden schnel

ler befördert — kriegen die Lehrer nur eine Bildungszulage von monatlich 100 Schilling. Folglich wenden die älteren Lehrer einen oft beträchtlichen Teil ihrer Arbeitskraft, um ihre Familien zu erhalten, dem Pfusch in irgendeiner Form zu, die jüngeren wandern aus dem Beruf ab. Etwa in die Bundesrepublik Deutschland, wo sie ohne Schwierigkeiten eine Anstellung und ein doppelt so hohes Realeinkommen als in Österreich finden; manche Lehramtskandidaten gehen unmittelbar nach bestandener Prüfung in die Privatwirtschaft, Maßnahmen des

Unterrichtsministeriums drängen sie auf diesen Weg.

2. Während man in der Öffentlichkeit den Lehrernotstand beklagt, arbeiten Parteien und Behörden unablässig an der rechtlichen Deklassierung des Lehrstandes. Bis 1934 wurden freie Dienstposten und Leiterstellen auf Grund von Dreiervorschlägen der Lehrkörper besetzt, die an objektive Kriterien gebunden waren. Dieses Verfahren, mit dessen Hilfe man viele Mißstände in unserer Verwaltung beseitigen könnte, wurde von den autoritären Systemen abgeschafft und nach 1945 aus parteipolitischen Erwägungen nicht erneuert. Diese Entwicklung erhielt ihren vorläufig krönenden Abschluß durch die Schulgesetze von 1962, wonach die Lehrervertreter bei den Landesschulbehörden nicht wie in der Ersten Republik von den Lehrern selbst geheim gewählt, sondern von den politischen Parteien nach dem Proporz berufen werden. Als eine Folge davon sitzen nun auch in den Disziplinär- und Qualifikationskommissionen nicht mehr von unten gewählte, sondern von oben ernannte „Vertreter“ des Lehrstandes.

3. Der österreichische Lehrer hat keine Aufstiegsmöglichkeiten mehr. Diese waren immer schon gering, sind aber durch die Entwicklung unserer Schulen zu Mammutanstalten etwa für die Mittelschullehrer von vier auf zweieinhalb Prozent gesunken. Die Direktoren- und Inspektorenposten werden bestimmten Akademikervereinigungen, an Gewerkschaftsfunktionäre und an die Inhaber bestimmter Stellen bei den Schulbehörden vergeben, nur zum Schein vorher verfassungsmäßig in der „Wiener Zeitung“ ausgeschrieben. Andere Lehrer als die Angehörigen der oben genannten Personenkategorien reichen nicht mehr um einen gehobenen Posten ein, weil es aussichtslos ist, ja, weil der präsumtive Nachfolger manchmal schon zwei Jahre vor der offiziellen Ausschreibung inoffiziell bekannt ist.

Titelverleihungen: kein Ausweg

Herr Prof. Burghardt irrt, wenn er in seinem eingangs erwähnten Aufsatz Titelverleihungen als Heilmittel vorschlägt. Titel sprechen heute noch provinzielle Naturen an, können aber

gerade den tüchtigen und selbstbewußten Teil der Lehrerschaft, um dessen Erhaltung und Erneuerung es geht, für Unterbezahlung und Rechteraub nicht entschädigen. Ebenso ist es irrig, anzunehmen, die Anliegen der Schule und unseres kulturellen Lebens könnten besser vertreten werden, wenn unsere politischen Parteien mehr Lehrer als Mandatare aufstellten.

Landflucht der Lehrer

Ein sehr allgemeines gesellschaftliches Problem, das etwa die Ärzteschaft in gleicher Weise betrifft und mit Unterricht und Erziehung nichts zu tun hat, ist die Landflucht der Lehrer. Wenn Herr Prof. Burghardt dazu bemerkt: „Wir wissen nicht, ob nach Errichtung der Pädagogischen Akademien die Absolventen auch in Einöddörfer gehen werden“, müssen wir widersprechen: Wir wissen sehr wohl — die Erfahrungen in der Bundesrepublik Deutschland zeigen es wiederum klar —, daß sie es nicht tun werden! Vielmehr stehen diese Akademien im Trend einer politischen Richtung, die das Aufstiegsstreben der Pflichtschullehrer mißbraucht, um die Dorfgemeinschaft zu zersetzen. Abhilfe kann nur gefunden werden, wenn der Staat von der Privatwirtschaft lemt, positive Anreize an die Stelle genereller Regelung und Druck zu setzen. Solche Anreize wären

• eine Ortszulage, die entgegen dem früheren System die kleinsten Schulorte am stärksten begünstigt;

• die Bereitstellung geeigneter Wohnungen für Lehrerfamilien in Zusammenarbeit mit den Gemeindeverwaltungen. Der Drang unserer jungen Generation zu Frühehe und Kind macht dieses Mittel besonders wirksam;

• die Wiederherstellung der syste- misierten Stellen, wie sie in der Ersten Republik bestanden haben, die den Lehrer als Beamten vor willkürlicher Versetzung schützen und die Grundlage dafür bieten, daß er in seinem Schulort Wurzeln schlägt, etwa ein Haus baut, zum Mitglied der Ortsgemeinschaft wird.

Zusammenfassend kann also festgestellt werden:

Die Heilmittel müssen nicht von einer wissenschaftlichen Schulforschung mühsam entwickelt werden (denn deren Resultate würden in Österreich von vornherein mit den Wünschen der Auftraggeber übereinstimmen), sondern liegen auf der Hand: Rückkehr zum Mitbestimmungsrecht der Lehrerschaft, wie es bis 1934 bestanden hat, und Fortentwicklung etwa in Form einer Lehrerkammer oder im Rahmen einer Personalvertretung der gesamten Beamtenschaft.

Die Wiederherstellung des Vorkriegseinkommens der Lehrer in seinem realen Kaufwert, nicht nur in fiktiven Bruttobezügen, ist recht und billig und könnte ruhig mit erhöhten qualitativen Anforderungen an die Lehrerschaft gekoppelt werden. Ein Leistungslohn wäre aufs innigste zu wünschen, käme unter den heutigen Verhältnissen aber nur einer Schicht von Protegierten zugute.

Vor allem aber müßten Wissenschaft, Unterricht und Erziehung als parteifreier Raum in unserem Staat geachtet werden.

Wenn man diese primären Bedingungen erfüllt, werden die sekundären Ursachen des Mangels an guten Lehrern, wie die verminderte gesellschaftliche Achtung oder die schulfeindliche Atmosphäre in manchem Elternhaus, mit der Zeit von selbst abgebaut werden.

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