Identität - © Collage :Rainer Messerklinger (unter Verwendung von Bildern von iStock: Eileen78, serts, Thananat sowie Grafissimo)

Tobias Glück: „Wettbewerb der Selbstoptimierung“

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Im vermeintlichen Zeitalter des Individualismus wird die innere Stimme immer wichtiger. Der Psychologe Tobias Glück erklärt, wie man sie trotz alter und neuer Rollenerwartungen stärkt – und warum wir glücklicher sind, wenn weniger Ansprüche an uns herangetragen werden.

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Im vermeintlichen Zeitalter des Individualismus wird die innere Stimme immer wichtiger. Der Psychologe Tobias Glück erklärt, wie man sie trotz alter und neuer Rollenerwartungen stärkt – und warum wir glücklicher sind, wenn weniger Ansprüche an uns herangetragen werden.

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Woraus setzt sich die eigene Identität zusammen? Was ist das innere Ich und wie lernen wir, darauf zu hören? Der Psychologe Tobias Glück erklärt, warum das Bauchgefühl nicht immer recht hat, was es mit Fotos vor Wasserfällen auf sich hat, und warum wir mit anderen häufig milder sind als mit uns selbst.

DIE FURCHE: Wie würden Sie das innere Ich definieren?
Tobias Glück:
Das innere Ich ist für mich etwas, das sich über die Lebensspanne entwickelt, da es sich aus dem Zusammenspiel unserer Veranlagungen und der Umwelt formt. Es gibt einen Koffer an psychischen Grundbedürfnissen, mit dem wir auf die Welt kommen, und die je nach Umfeld besser oder schlechter erfüllt werden. Daraus ergeben sich individuelle Lernerfahrungen, Wünsche, Bewertungen und Gefühle.

DIE FURCHE: Wir haben aber auch ein äußeres Ich, stimmt’s?
Glück:
Ja, ich erlebe es in der Praxis häufig, dass Menschen nach Außen hin anders wahrgenommen werden und sich anders verhalten, als es in ihnen drinnen aussieht.

DIE FURCHE: Haben Sie ein Beispiel dafür?
Glück:
Ein Beispiel wäre die nach außen hin erfolgreiche Geschäftsfrau, die von anderen als selbstbewusst und kompetent gelesen wird und die in die Praxis kommt und sagt: „Ich fühle mich wie eine Hochstaplerin.“ Da arbeiten wir dann daran, das innere und das äußere miteinander in Einklang zu bringen, um authentisch zu fühlen und zu handeln – in dem Fall sich selbst als kompetent und erfolgreich zu erleben, aber auch Fehler zuzugestehen.

DIE FURCHE: Stichwort Einklang: In sozialen Medien wird Ausgeglichenheit stark propagiert. Das führt dazu, dass jene fast schon unter Druck geraten, die es nicht schaffen, ruhig und „relaxed“ zu sein. Aber man steht ja im Alltag nicht immer vor einem Wasserfall und macht ein Selfie.
Glück: Was man grundsätzlich unterscheiden sollte, ist, was in den sozialen Medien und was außerhalb davon passiert. Vieles davon, was in sozialen Medien über psychische Gesundheit und Ausgeglichenheit erzählt wird, hat ja wenig damit zu tun, wie es im Leben der meisten Menschen aussieht. Mir scheint, es gibt online einen Wettbewerb, wer denn der Ausgeglichenste ist. Zum inneren Ich gehört aber die gesamte Bandbreite an emotionalen Erfahrungen dazu. Das innere Ich ist nicht nur glücklich und entspannt, unangenehme Emotionen gehören ebenso dazu. Eine Emotion zu haben, ist wichtig und richtig, denn Emotionen sind Bedürfnisbotschafter, die Strategien zur Befriedigung können dann zu Problemen führen. Aber was in den Sozialen Medien unter Ausgeglichenheit propagiert wird, ist häufig in einem Geschäftsmodell eingebettet – und Influencer empfehlen mir dann einen Lifestyle und Produkte, als ob sie meine Freunde wären. Das vermittelt ein Gefühl von Verbindung, ist aber Manipulation. Außerdem gibt es noch die „subtile Aggression der Selbstoptimierung“. „Werde dein bestes Selbst“, lautet stets das Motto. Dahinter steht aber oft: „Du bist nicht gut so, wie du bist“, und das aktiviert den inneren Kritiker.

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