#37 Verbotenes Grau

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Kunstschaffen als Lifestyle Event: Willkommen bei der Art Night

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Kunstschaffen als Lifestyle Event: Willkommen bei der Art Night

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Wir befinden uns in einem Lokal im 8. Wiener Gemeindebezirk. Auf einigen Tischen sind in gleichmäßigen Abständen rund zwanzig weiß bespannte Keilrahmen aufgestellt. Davor steht jeweils ein Pappteller, auf dem bunte Acrylfarbe auf ihren Einsatz wartet. Pinsel in drei verschiedenen Stärken und Wasser zum Auswaschen stehen parat. Auf jedem Arbeitsplatz liegt eine Schürze. Alles ist bereit für die Art Night.

Erwachsene Menschen produzieren dabei nach der strengen Anleitung der Art-Night-Lehrerin Kunst. Das Motiv: Porträt einer Frau mit Brille. Das Zeitfenster: zwei Stunden. Pinsel nass machen, Farbe aufnehmen, Hintergrund grundieren. Dass die Leiterin des Events nicht nur Art-Night-Lehrerin, sondern auch Tanzinstruktorin ist, macht sich bemerkbar. Im Takt geht es weiter mit Gesicht (Schatten an der richtigen Stelle setzen!), Lippen (nicht zu groß beginnen!), Brille (Pinsel im richtigen Winkel halten!).

Früher habe ich gerne und oft gemalt. Ohne mir vorher einen Termin im Kalender zu suchen. Ohne vorher ein Motiv aus dem Katalog zu wählen. Stundenlang stand ich manchmal im Libro und suchte mir neue Farben für meine Werke aus. Mal war ich mit dem Ergebnis zufrieden, mal wurde die Leinwand wieder übermalt.

„Achtung! Mischt man zwei Komplementärfarben, ergibt das Grau! Das wollen wir nicht!“, reißt mich die Art-Night-Instruktorin aus meinen Gedanken. Nein, Grau wollen wir nicht. Grau hat auf unseren Bildern nichts verloren. Ob sich Johannes Itten dieses Verbots bewusst war, als der den zwölfteiligen Farbkreis konzipierte, auf dem die Ordnung in Komplementärfarben aufbaut? Itten entwickelte außerdem die Idee der sieben Farbkontraste. Nach diesem Abend hätte ich noch einen achten hinzuzufügen: entspanntes Malen versus Kunstschaffen als Lifestyle Event. Letzteres wirkt ziemlich grau auf mich.

Digital Dirndl V2 - © Illustration: Rainer Messerklinger

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Aufgewachsen im Weinviertel, dann übersiedelt nach Wien, ist Margit Körbel mittendrin im Konflikt von gemütlicher Landidylle und rauschendem Stadtleben, Traditionen und deren Bruch, Millennials und Babyboomern. Wöchentlich schreibt Sie von Ihren Erlebnissen. Hier kostenlos abonnieren.

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