Stück für Stück entspannter
Ich habe mir ein Puzzle gekauft. Motiv: exotische Gewürze auf schicken Löffeln. Tausend Teile. Das baue ich an grauen Wintertagen neben meinem erleuchteten Weihnachtsbäumchen, trinke Tee und esse Vanillekipferl. Sehr entspannend und vor allem: voll im Trend.
Puzzeln gehört mittlerweile zum Alltag gestresster Erwachsener, die ständig am Smartphone hängend von A nach B hetzen und so gar nicht mehr Abschalten können. In den letzten Jahren hat diese Bevölkerungsschicht Beschäftigungsmethoden aus der Kindheit für sich entdeckt und zum Lifestyle-Produkt erkoren. Alternativ kann man auch Mandalas ausmalen oder mit kinetischem Sand spielen.
Ich habe schon gepuzzelt, als es noch uncool war. Als Teenager lag unter meinem Bett eine Spanplatte voller bunter Kartonteilchen, die sich mal schneller, mal langsamer zu einem Motiv zusammenfügten. Zuerst glitzerndes Einhorn, später nächtliche Skyline, dann dekorative Pasta. Eine Zeit lang konservierte ich meine Werke mit Kleber und rahmte sie sogar ein. Heute puzzle ich, zerlege und verschenke weiter.
Auf der Suche nach einem neuen Motiv für die Weihnachtszeit habe ich entdeckt, dass man mittlerweile auch digital puzzeln kann. Und zwar gleichzeitig mit anderen User:innen an ein und demselben Stück. Ich habe zehn Minuten mit drei wildfremden Menschen an einem Schneemann mit grünem Schal gebaut. Dann wurde es mir zu dumm. Erstens will ich beim Puzzeln keinen Bildschirm vor der Nase haben, zweitens will ich mein Puzzle alleine bauen und drittens beschäftigt es mich mehr, wer sich hinter „Spieler 3“ verbirgt, der ständig meine sortierten Teilchen bewegt, als dass mich das Fertigstellen dieses Schneemanns kümmert. Der nebenbei ablaufende Countdown und die Prozentanzeige, die Auskunft über den Fortschritt des Motivs gibt, machen die Prozedur zum Wettkampf auf Zeit. Vanillekipferl haben hier keinen Platz.
Dann lieber analog. Das mit dem alleine Bauen klappt hier zwar auch nicht immer, da sich eine besondere Form des Mansplainings (früher Vater, jetzt Mann) bemerkbar macht, sobald das Teilchenchaos erkennbare Formen annimmt. Aber immerhin weiß ich, wer die Übeltäter sind, die sich heimlich in mein Werk einmischen.
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Aufgewachsen im Weinviertel, dann übersiedelt nach Wien, ist Margit Körbel mittendrin im Konflikt von gemütlicher Landidylle und rauschendem Stadtleben, Traditionen und deren Bruch, Millennials und Babyboomern. Wöchentlich schreibt Sie von Ihren Erlebnissen. Hier kostenlos abonnieren.
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