Allein ist man weniger zusammen
Bei einem durch den Schneefall motivierten Spaziergang vergangene Woche bin ich an einer Gruppe Kinder vorbeigekommen, die rund um ein Iglu tollten. Ich weiß nicht, ob sie die Schneehöhle selbst erbaut hatten oder ob diese das Werk zuvor hier Spielender war. Sicher war ich jedoch, dass – wenn nicht noch am selben Tag – spätestens am folgenden andere Kinder die Höhle für sich erobern würden. So ist es eben an öffentlichen Plätzen. Auch Schneebauwerke werden zum Allgemeingut.
Hätte ich als Kind hier ein Iglu gebaut und ein fremdes Kind hätte sich später daran gemacht, wäre ich stinksauer gewesen. Mein Werk mit Fremden teilen? Sicher nicht! Zwar baute ich in meiner Kindheit ebenso Iglus – doch befanden sich diese in unserem Garten, und die einzigen Lebewesen, die sich diesem außer mir näherten, waren meine Geschwister und unsere Katzen. Letztere hinterließen meist Spuren, die den Aufenthalt in der Schneehöhle olfaktorisch grenzwertig machten.
Interaktionen mit fremden Kindern mied ich so gut es ging. Meine engen Freund:innen ausgenommen, war ich sozial etwas unbeholfen – socially awkward würde man heute sagen. Ich wollte nicht auf Spielplätzen spielen, auf denen schon andere Kinder waren. Anstatt den Sommer im Freibad zu verbringen, drehte ich mich lieber so lange alleine im Planschbecken in unserem Garten, bis meine Bewegungen einen Strudel erzeugten. Dass ich das traute Heim verlassen könnte, um Gleichaltrige zu treffen, kam mir nicht in den Sinn.
Zugegeben: Wächst man als Kind mit Garten, Schaukelgerüst und Pool auf, sollte man sich wirklich nicht beschweren. Aber ich frage mich, ob sich meine Abneigung fremden Mitspieler:innen gegenüber anders entwickelt hätte, wäre ich in einer Wohnung oder größeren Stadt aufgewachsen und auf den öffentlichen Raum angewiesen gewesen. Hätte ich die Iglubauer:innen gebeten, mitmachen zu dürfen? Oder hätte ich auf zehn Meter Entfernung gehofft, dass sie endlich verschwinden? Ich werde darüber nachdenken, während ich den Schnee auf dem Balkon unserer Stadtwohnung zu einer Schneefrau verarbeite. Allein, versteht sich.
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Aufgewachsen im Weinviertel, dann übersiedelt nach Wien, ist Margit Körbel mittendrin im Konflikt von gemütlicher Landidylle und rauschendem Stadtleben, Traditionen und deren Bruch, Millennials und Babyboomern. Wöchentlich schreibt Sie von Ihren Erlebnissen. Hier kostenlos abonnieren.
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