Nuschelnd unterm Weihnachtsstern
Mit elf Jahren war ich an der Reihe. Ich durfte beim Krippenspiel der Kindertheatergruppe die Maria spielen. Endlich musste ich mein Gesicht nicht mehr in einen der engen, goldenen Kartonsterne stecken und ein schrilles „Kommet ihr Hirten“ durch meine Blockflöte pfeifen. Ich durfte in das hellblaue Kleid schlüpfen, das zarte Tuch um meine Schultern legen und im Zentrum des Geschehens ein besinnliches Gedicht aufsagen.
Wenige Tage vor dem großen Auftritt bekam ich eine feste Zahnspange verpasst. Die sorgfältig trainierten Worte konnte ich nur noch zwischen meinen aufgequollenen Lippen hervornuscheln. Die Erinnerung an den Moment im hellblauen Kleid wurde überschwemmt von der Peinlichkeit, die mein Unvermögen, verständlich zu sprechen, in mir auslöste.
Am Wochenende war ich Teil eines Chor-Weihnachtskonzertes. Das erste Mal seit Ausbruch der Pandemie konnte ich mit meinen Chor-Kolleg:innen gemeinsam vor Publikum singen. Es war etwas Besonderes. Doch schon heute denke ich nur mehr an den Stress, der mit diesem Auftritt verbunden war. Terminverschiebung, Covid-Sicherheitsmaßnahmen, interne Konflikte.
Unser Gehirn speichert negative Erfahrungen besser als positive. Aus evolutionärer Sicht ist dies wohl notwendig, um voranzukommen. Aus persönlicher finde ich das unfair. Ich werde dem entgegenwirken und versuchen, mich über die Weihnachtsfeiertage bewusst mit positiven Gedanken zu umgeben. Meine evolutionäre Entwicklung muss dann eben ein paar Tage warten.
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Aufgewachsen im Weinviertel, dann übersiedelt nach Wien, ist Margit Körbel mittendrin im Konflikt von gemütlicher Landidylle und rauschendem Stadtleben, Traditionen und deren Bruch, Millennials und Babyboomern. Wöchentlich schreibt Sie von Ihren Erlebnissen. Hier kostenlos abonnieren.
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