Mozaik - © Illustration: Rainer Messerklinger

Durchbeißen

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Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet.

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Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet.

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Mit Stressblähungen und Schwitzhänden klebte ich wieder auf dem himmelblauen Zahnarztstuhl. Meine blonde Zahnärztin und ihre fröhlichen Gefährtinnen kreisten um mein verplombtes Mäulchen. In meiner Familie haben alle ein lockeres Gebiss oder feste Prothesen. Nur Opa Ivo hatte Biss. Man munkelt, er habe seine Zähne bis zu seinem Tod ausschließlich mit Salz und warmem Wasser geputzt. Nie musste er zum Zahnarzt, wohingegen Vater seine Zinken in Jugoslawien ließ. Auf dem Zahnarztstuhl erinnerte ich mich an eine Erzählung des slowenischen Schriftstellers Drago Janèar. Die Hauptfigur, Mihail Ševčenko, wird beständig von Zahnschmerzen geplagt, weshalb er den Kommunismus verteufelt. Nach seiner Flucht in die USA streift er seine alte Identität ab, die schlechten Zähne nicht. Als ich die Augen öffnete, grinste mich mein eigenes Röntgenbild an. Der künstliche Zahnersatz, der meine Beißer krönt, leuchtete silbern. Fast alle Wurzeln sind gefüllt, die Brücken nigelnagelneu. Das kühle Nass des Fräsers erfrischt meine Wangen: „Ausspülen!“ Der Stuhl fährt hoch. Ich setze meine Sonnenbrille auf und grinse als Terminator in die Runde: „I’ll be back.“

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