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Gute Wünsche nach Chicago ...

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Mitte September war's. Schon in der Früh aus dem Lautsprecher berührende Gebete, Musik, Gesang. Erster Tag des jüdischen Neujahrsfestes Rasch Haschana (Kopf des Jahres). Sie feiern den Beginn des Jahres 5757, von dem man kaum erwarten kann, daß es ein Neubeginn sein wird, eher das, ewige Weiterschleppen der alten, tradierten Begriffe seit der Friede im Nahen Osten wieder in die Ferne gerückt ist. Ein Schuß in den Rücken eines Friedenswilligen, und die Geschichte nimmt eine andere Schiene in Betrieb.

Ich habe meine Freunde angerufen, Juden und Christen, habe ihnen alles Gute gewünscht. .Ich denke, es kann nicht schaden, gute Wünsche auszusprechen, wen immer sie auch erreichen. Friede, Shalom, Salam. Den David in Tel Aviv habe ich angerufen, den Erich in Los Angeles, den Hans in Minden in Westfalen und den Michl in Wien.

Gerne hätte ich auch eine Verbindung mit Chicago hergestellt, um mit dem neuen F-Mandatar zu sprechen. Da lebt er nun in den Vereinigten Staaten, in einer Stadt, die so ist, wie Wien nie werden darf, ist heute vielleicht in seiner Synagoge, wiegt sich im Gebet und fleht Gott um Glück und Erfolg auf seinem neuen Weg an: „Verstehst Du, mein Gott, was ich gemacht habe? Verstehst Du mich und - wirst Du mir helfen? Ich sag' Dir ganz ehrlich, seit ich Ja gesagt habe, schlafe ich schlecht, bin unruhig und nervös. Aber ich hab' es, weiß ich warum? -tun müssen! Es geschieht doch nichts, was Du nicht willst — oder? Du hast mich doch mit dem zusammengeführt, Du warst es, nicht der komische Janitschek - oder? Treibst Du Possen mit mir? Purim, unser Fasching, ist doch erst in ein paar Monaten. Oder? Herr, man höhnt mich, ist zornig, ja böse auf mich. Ich bin zwar wieder ins Licht der

Öffentlichkeit getreten, aber als Spottgestalt, als lächerliche Figur. Warum mutest Du mir das zu? Was hast Du mit mir vor? Oder hab' ich Dich gar falsch verstanden? Du weißt, daß mir das schon oft passiert ist. Zu oft vielleicht? Um mich herum stehen Juden, betende Juden, und ich mitten unter ihnen komme mir auf einmal fremd vor. Oft schon war ich auch hier im Tempel allein - aber so isoliert, so einsam war ich noch nie. Noch nie! Herr, es beginnt ein neues Jahr - gib mir ein Zeichen. Soll ich den Weg weitergehen willst Du das? Oder soll ich noch umkehren? Zeit wäre noch, aber nicht mehr viel ..."

Ich, Freunde, ich kann fühlen, was der arme Teufel dort mitmacht, während er seine Koffer für Straßburg packt.

Wie meinte Mascha Kaleko?

Daß jede Bose Dornen hat scheint mir kein Grund zu klagen, Solange nur die Dornen uns auch wieder Rosen tragen.

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