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Überßüssiger Countdown

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Anfang des Monats hat das „Neue Radio Wien" den Countdown zur Jahrtausendwende eingeläutet. Da waren es nämlich noch genau 1.000 Tage bis zum Jahr 2000. Das genannte Radio machte sich auch erbötig, seine Hörer „in die Zukunft zu begleiten" und versprach, folgende Fragen zu beantworten:

Welche Trends kommen auf uns zu? Werden wir ewig leben? Bekommen wir alle einen geklonten Doppelgänger? Wieviele Stunden werden wir arbeiten? Wie wird Wien in hundert Jahren ausschauen?

Auch so wichtige Fragen wie ,Wo steigt die größte Party zu Silvester 1999?' wurden besprochen, und natürlich durfte nicht fehlen, was „Weltuntergangspropheten wie Nostradamus und Co. zum Jahr 2000 sagen".

Man konnte auch mit einem Wiener reden, der schon seine Flugreise ins Jahr 2000 gebucht hat. Schließlich wußte das Radio sogar zu erklären, wie Wien im Jahr 3000 ausschauen werde.

Das ist nur ein Vorgeschmack von dem, was uns in den nächsten drei Jahren bevorsteht. Der Unfug wird sich bis zum 31. Dezember 1999 noch bis ins Unerträgliche steigern.

In Wirklichkeit ist das „neue Jahrtausend" eine Fiktion. Sein erster Tag wird nicht anders sein als der letzte des zu Ende gegangenen, außer daß jeder von uns einen Tag älter geworden ist.

Ein hochangesehener katholischer Theologe empfiehlt der Kirche Korrekturen, „wenn ihr der Einzug ins neue Jahrtausend gelingen soll". Was soll dieser Unsinn? Reformbedürftig ist die Kirche immer, aber nicht deshalb, weil sie ein neues Jahrtausend bewältigen muß, sondern den morgigen Tag. Wer wollte sich im Ernst zutrauen, über ein paar Jahre hinaus zu denken und zu planen? Viele unter uns werden nicht einmal die erste Hälfte des kommenden Jahrtausends erleben.

Gerade die Kirche sollte für Nüchternheit und Vernunft eintreten - angesichts der sich steigernden Hysterie und Unvernunft, wie sie an jedem Ende eines Jahrtausends aufzutreten pflegen. Es tummeln sich ohnehin schon genug Sektierer, Chiliasten und Jahrtausendspinner, die den Menschen den Kopf verdrehen und sie närrisch machen.

Vom heiligen Franz von Assisi ist die schöne Geschichte überliefert, daß er dem Bruder Koch der ersten Gemeinschaft der Minderbrüder den Auftrag erteilt hat, das Gemüse und die Bohnen für das Essen am nächsten Tag nicht schon am Vorabend einzuweichen, denn er wollte, daß sich die Brüder strikt an das Wort Jesu aus dem Matthäus-Evangelium hielten, wo geschrieben steht, daß Jesus seinen Jüngern empfohlen hat: Sorgt Euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen.

Wievielmehr sollten wir es mit dem neuen Jahrtausend so halben!

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