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Einstein und das physikalische Weltbild

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Die neue Feldtheorie Einsteins (Unified Field Theory) ist durch eine kurz vor Ostern 1953 in der Princeton University Press erschienenen Arbeit des großen Physikers zu einem Abschluß gekommen. Einstein will für den gesamten physikalischen Bereich, das heißt für alle uns erscheinungsmäßig vorliegenden und physikalisch meßbaren Größen ein einheitliches Gleichungssystem gefunden haben. In diesen Gleichungen, die Beziehungen zwischen den phänomenal gegebenen Größen (Raum, Zeit, Kraft) darstellen, soll das gesamte Universum, also alles physikalische Geschehen zusammengefaßt sein. Da aber für diese Weltgleichungen selbstverständlich die Lösungen bereits in einem mathematischen Ansatz implizite enthalten sind, erscheint die Welt so vom Standpunkt des Physikers restlos als ein System, in dem strenge Kausalität gilt.

Die Tatsache, daß der Begründer der speziellen und aligemeinen Relativitätstheorie noch eine dritte Theorie aufgestellt hat, die eine weitere Vereinheitlichung und begriffliche Vereinfachung des physikalischen Weltbildes bedeutet, ist der Öffentlichkeit schon bekannt. Weniger bekannt ist, daß Albert Einstein zu der modernen Quantenmechanik in dem Sinne Stellung genommen hat, daß er diese Theorie in einer späteren so enthalten wissen will wie die Strahlenoptik in der Wellenoptik. Die Grundlage der Quantenmechanik sollte demnach vertieft beziehungsweise durch eine umfassendere ersetzt werden. Diese beiden Umstände geben Veranlassung zu einer Darlegung des physikalischen Weltbildes des vielleicht bedeutendsten zeitgenössischen Physikers, zumal erst in jüngster Zeit der Versuch unternommen wurde, Einstein in weltanschaulicher Hinsicht auf Grund rein sachlicher physikalischer Arbeiten für eine bestimmte Weltanschauung in Anspruch zu nehmen.

Zunächst sei kurz erörtert, was unter einem „physikalischen Weltbild“ zu verstehen ist. Hier schließen wir uns am besten an Max Planck an, der bei Beantwortung dieser Frage von einer Unterscheidung der Sinnenwelt, der Welt der Erscheinungen, und der „realen Welt“, die dieser Sinnenwelt zugrunde liegt, ausgeht1. Die Welt der Naturwissenschaft ist nun, „im Gegensatz zu jeder der beiden vorigen, eine bewußte, einem bestimmten Zwecke dienende Schöpfung des menschlichen Geistes und als solche wandelbar und einer gewissen Entwicklung unterworfen“. Einem solchen Weltbild kommt eine zweifache Aufgabe zu: Einmal dient es der möglichst einfachen Beschreibung der Sin nwelt, das andere Mal der möglichst vollständigen Erkenntnis der realen Welt. Der mehr positivistisch eingestellte Forscher betont die erste, der mehr metaphysisch eingestellte hin-? gegen die zweite Aufgabe. Es ist klar, daß eine endgültige Aufstellung eines solchen Weltbildes nicht möglich ist. Denn man kann weder auf die Frage nach der einfachsten Beschreibung der Phänomene noch auf die Frage nach der vollkommensten Uebereinstimmung mit der Wirklichkeit eine letzte Antwort geben. Wir können höchstens behaupten, daß wir uns der Lösung dieser Aufgabe asymptotisch nähern.

Daß wir mit dieser Auffassung auch die Auffassung Einsteins treffen dürften, dafür spricht folgender Satz, der einem unter dem Titel „Quantenmechanik und Wirklichkeit“ erschienenen Artikel entnommen ist*. „Die Begriffe der Physik beziehen sich auf eine reale Außenwelt, das heißt, es sind Ideen von Dingen gesetzt, die eine von den wahrnehmenden Subjekten unabhängige .reale Existenz' beanspruchen (Körper, Felder usw.), welche Ideen anderseits zu Sinneseindrücken in möglichst sichere Beziehung gebracht sind.“ Dieser Satz zeigt, daß sich Einstein irgendwie von den „positivistisch eingestellten Forschern“ unterscheidet. Ebenso sagt uns L i n-coln Barnett in seiner ausgezeichneten Arbeit über „Einstein und das Universum“, daß Einstein „die positivistische Doktrin ablehnt“, nach der „die Naturwissenschaft nur die Ergebnisse der Beobachtung darstellen und in Einklang miteinander bringen könne“3. Aber in der Ueberzeugung von der Realität der Außenwelt ein Bekenntnis zum dialektischen Materialismus sehen zu wollen, wird nur dem möglich sein, der definitionsgemäß Realismus mit Materialismus identifiziert. Für Einstein wird dies um so weniger zutreffen, als von ihm Barnett sagt: „Er glaubt an ein Weltall der Ordnung und Harmonie.“ Und in der' genannten wertvollen Schrift wird auch der „Atheismus“ Einsteins mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen und bei dieser Gelegenheit folgender Ausspruch des großen Physikers zitiert: „Meine Religion besteht in der demütigen Anbetung eines unendlichen geistigen Wesens höherer Natur, das sich selbst in den kleinen Einzelheiten kundgibt, die wir mit unseren schwachen Und unzulänglichen Sinnen wahrzunehmen vermögen. Diese tiefe gefühlsmäßige Ueberzeugung von der Existenz einer höheren Denkkraft, die sich im unerforschlichen Weltall manifestiert, bildet den Inhalt meiner Gottesvorstellung.“

Doch hier steht nicht Einsteins „Weltanschauung“ zur Debatte, sondern sein „physikalisches Weltbild“. Sosehr beide Begriffe in Abhängigkeit voneinander stehen, dürfen wir sie doch nicht einander gleichsetzen. Wieder war es der Materialismus, der diesen philosophischen Fehler begangen hat. Was aber das physikalische Weltbild Einsteins betrifft, so trifft auf dieses jedenfalls eine Definition Plancks zu, der von einer „Schöpfung des menschlichen Geistes“ spricht, die „einer gewissen Entwicklung unterworfen“ ist.

Es ist nicht schwer, durch methodologische Untersuchungen zu zeigen, daß sich die Auffassung Einsteins nicht wesentlich von der „klassischen“ Auffassung Newtons unterscheidet. Die Definition einer physikalischen Raum- und Zeitgröße unter Zugrundelegung des Prinzips von der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit wie die Aufstellung (das heißt hier willkürliche Setzung) eines neuen Postulat!, des speziellen beziehungsweise allgemeinen Relativitätspostulats, liegt ganz in der der Physik durch die Tat Newtons vorgezeichneten Linie. Und auch die neue „Einheitliche Feldtheorie“ Einsteins, die die Vereinigung der Gesetze der Gravitatiqn und der Gesetze des Elektromagnetismus in dem gemeinsamen Ueberbau eines umfassenden Gesetzes zum Ziele hat, überschreitet nicht den „klassischen“ Rahmen. Aehnlich wie in der allgemeinen Relativitätstheorie die Gravitation durch die geometrische Beschaffenheit eines nur dem mathematischen Denken, nicht aber der Anschauung erfaßbaren Raum-Zcit-Kontinuums dargestellt wird, führt die neue Theorie auch die elektromagnetische Kraft auf „Konfigurationsbegriffe“ zurück. Die Ansicht Einsteins, daß wir es in der Quantenmechanik nicht mit einer letzten physikalischen Erkenntnis zu tun haben, ist gleichfalls in einem physikalischen Postulat begründet, nämlich in dem „Prinzip der Nahewirkung“. „Ohne die Annahme einer solchen Unabhängigkeit der Existenz (des ,So-Seins') der räumlich distanten Dinge voneinander, die zunächst dem Alltagsdenken entstammt, wäre physikalisches Denken in dem uns geläufigen Sinne nicht möglich.“ So Albert Einstein selbst. Welche Entscheidung die theoretische Physik in dieser Frage treffen wird, muß die Zukunft lehren. Für uns ist heute die Tatsache, daß zwei verschiedene Aspekte den Physiker bei der theoretischen Behandlung des Naturgeschehens leiten, von Interesse und sicher nicht ohne metaphysische Bedeutung4.

In welcher Richtung die Entwicklung auch gehen wird, so viel dürfen wir schon heute behaupten: Die physikalische Wissenschaft mußte bei Erfassung der Naturwirklichkeit die Grenzen der Sinnenwelt überschreiten; sie hat unter Verwendung konstruktiver Begriffe und Begriffsverbindungen (physikalischer Po-stulate oder Prinzipien) ein rein ideelles Moment in die Wissenschaft hineingetragen und auf jede Anschaulichkeit Verzicht geleistet. Planck war der Ansicht, „daß die mit der fortschreitenden Vervollkommnung zugleich fortschreitende Abkehr des physikalischen Weltbildes von der Sinnenwelt nichts anderes bedeutet als eine fortschreitende Annäherung an die reale Welt“. Das ideelle Moment aber, das in die Physik hineingetragen werden mußte, um die Naturwirklichkeit theoretisch behandeln zu können, weist unbedingt ontologisch gleichfalls auf ein ideelles Moment zurück, das heißt auf die Schöpferideen Gottes, des Urhebers der „Ordnung und Harmonie“ des Weltalls, von dem Einstein sagt, er könne nicht glauben, daß er mit der Welt Würfel spielt.

1 Max Planck: Das Weltbild der neuen Physik, Wien, 1929.

3 Dialectica, Internationale Zeitschrift für Philosophie der Erkenntnis, Neuchätel, 1948, S. 320.

3 Lincoln B a r n e 11: Einstein und das Universum, Bermann-Fischer- Verlag, 1950.

* In meinem derzeit im Druck befindlichen Buch „Vom Schein zur Wirklichkeit. Eine Grundlegung der Metaphysik von der Physik her“ versuche ich sämtliche Folgerungen zu ziehen, die sich aus der Grundlagenforschung der Physik ergeben.

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