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Brief #1: Alter weißer Mann. Alter weiser Mensch?

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In der dialogischen FURCHE-Kolumne "Erklär mir deine Welt" kommen der Hörfunkpionier Hubert Gaisbauer und die Radiojournalistin Johanna Hirzberger miteinander ins Gespräch. Zum Auftakt denkt Gaisbauer darüber nach, was es heißt, als "alter weißer Mann" zu gelten.

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In der dialogischen FURCHE-Kolumne "Erklär mir deine Welt" kommen der Hörfunkpionier Hubert Gaisbauer und die Radiojournalistin Johanna Hirzberger miteinander ins Gespräch. Zum Auftakt denkt Gaisbauer darüber nach, was es heißt, als "alter weißer Mann" zu gelten.

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Liebe Frau Hirzberger!

Manchmal möchte ich ein Tagebuch schreiben. Wenigstens mit einigen Aufzeichnungen dessen, was mein Leben oft so diffus bedrückt, sodass ich eine starke Neigung zum Rückzug in mir verspüre. Rückzug wohin? Ich möchte Klarheit darüber, was genau es ist, das mich so oft verstimmt. Darüber sollten mir die notierten Anlässe Auskunft geben. Gewiss: Der Krieg ist ein unfassbarer Schrecken, selbst in der entfernten täglichen Anschauung via TV.

Doch das meine ich nicht. Ich meine die ganz alltägliche Sprache, die mich umgibt und die mich an den Rand der Fahrspur drängt. Mit ihrer Plapprigkeit, ihren neuen Wortschöpfungen, ihrem Abkürzungswahn. Ich gebe zu: Auch das als Nötigung empfundene übertriebene „Gendern“ gehört dazu.

Nichts mehr zu verlieren

Aber ich werde das mit den Aufzeichnungen nicht machen. Ich möchte nicht zum Mis­anthropen werden. War ich doch gerade ein „Boomer“, weil ich ohne mein Verschulden um die Vierzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts auf die Welt gekommen bin. Aber sonst bin ich mir keines Vergehens bewusst. Und dann wurde ich – wieder ohne mein Zutun – dem Verein der AWM zugeteilt, der „Alten Weißen Männer“.

Alte weiße Männer kennzeichnet angeblich „das Gefühl der Überlegenheit gepaart mit der scheinbar völligen Blindheit für die eigenen Privilegien“, wie es in einem Sachbuch definiert wird. Mir erscheint es als eine subtile Form von Demütigung und Diskriminierung in Gestalt der unlauteren Verallgemeinerung, wohl wert, dass sich die Cancel Culture ihrer kritisch annehme. Oder hat George Bernard Shaw recht gehabt, wenn er vor „alten Männern“ warnte, denn „diese haben nichts mehr zu verlieren“? Böswillig hat man das Zitat auch so überliefert: „Denn ihnen ist die Zukunft egal.“

Empört euch in einem Land, in dem ein Politiker, jünger als ich, öffentlich eine ,senile Mumie‘ genannt wird. Ich wünsche mir, dass die Jungen aufstehen und sagen: So nicht und nimmermehr!

Aber nur den Alten? Ich habe einmal Unmut bei einer Veranstaltung ausgelöst, als ich meinte, dass wir auch als Junge – noch in den frühen Sechzigerjahren – ein recht unterent- wickeltes Umweltbewusstsein gehabt hätten. Und wie wach sind wir heute? In wenigen Tagen gibt es wieder den Internationalen Frauentag. Seit dem Jahr 1975. Und zwar als „Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden“. Ein unzerstörbares Zeichen dafür, dass Mut und Ausdauer zu Zielen führen.

Außerdem globalisiert sich inzwischen ein neues invasives Wort – sprachlich gesehen ein Un-Wort, das mir dennoch sympathisch ist: der Wokeismus. Hat wahrscheinlich mit Wach sein zu tun. Aufgeweckt sein. Und meint auch hoffentlich genau das: Erhebt euch endlich aus dem Schlaf der Gleichgültigkeit. Vielleicht auch: Empört euch in einem Land, in dem ein Politiker, jünger als ich, öffentlich eine „senile Mumie“ genannt wird. Ich wünsche mir, dass – auch in so einem Fall – die Jungen aufstehen und sagen: So nicht und nimmermehr!

Oh ja, wir Alten wären gern AWM, alte, weise Menschen – nicht nur Männer! Weise in des Wortes Bedeutung, wie es in Hölderlins schönem Gedicht an die geliebte Großmutter anklingt: „Es ist ruhig das Alter und fromm.“ Aber man lässt uns nicht.

Ihr Hubert Gaisbauer

Der Autor ist Publizist und war bis 1999 Leiter der Religionsabteilung im ORF-Radio. In der Rubrik "Erklär mir deine Welt" schreiben er und Johanna Hirzberger einander abwechselnd Briefe.

Brief #2

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