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Brief #9: Ich bin wütend auf den Zeitenwechsel

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In der dialogischen FURCHE-Kolumne "Erklär mir deine Welt" kommen der Hörfunkpionier Hubert Gaisbauer und die Radiojournalistin Johanna Hirzberger miteinander ins Gespräch. Diese Woche geht es um die Medienvielfalt: "Als wären Zeitungen Kulturtugenden von vorgestern! Aber keine Angst, ich werde mich nicht ankleben am rissigen Asphalt einer überholten Medienlandschaft."

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In der dialogischen FURCHE-Kolumne "Erklär mir deine Welt" kommen der Hörfunkpionier Hubert Gaisbauer und die Radiojournalistin Johanna Hirzberger miteinander ins Gespräch. Diese Woche geht es um die Medienvielfalt: "Als wären Zeitungen Kulturtugenden von vorgestern! Aber keine Angst, ich werde mich nicht ankleben am rissigen Asphalt einer überholten Medienlandschaft."

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Liebe Frau Hirzberger!

In Ihrem letzten Brief geht es wieder einmal um Benachteiligung und Gleichberechtigung. Gut so. Auch wenn ich mich in der Gruppe vorfinde, die Sie die „Prä-Internet-Generation“ nennen. Das fühlt sich an, als wäre uns das Ablaufdatum im Hemdkragen aufgedruckt – bitte im Schongang waschen. Und als wären Zeitungen (schreiben, drucken und am Ende auch noch lesen) Kulturtugenden von vorgestern und die Zielgruppe eine aussterbende Singvogelart. Last generation – lost generation. Wenn schon eine Zeitung, dann aber bitte mit einer App, welche die bewegten Bilder dazu liefert! Aber keine Angst, ich werde mich nicht ankleben am rissigen Asphalt einer überholten Medienlandschaft.

Aber ich bin wütend, liebe Frau Hirzberger, nicht auf Sie, sondern auf den rasanten Zeitenwechsel, den Sie mir – wieder einmal – vor Augen geführt haben. Und darauf, erkennen zu müssen, wie sehr offenbar meine mediale Welt eine Welt von gestern ist. Ich vermute (und hoffe!) allerdings, dass Sie es ironisch gemeint haben, wenn Sie schreiben, „Information und Wissen, das Kapital der Medienhäuser“ seien – dank Internet – „demokratisiert“. Das hieße doch auch, alle hätten wirklich den gleichen Zugang und Zugriff. Davon sind wir – global sowieso – noch immer weit entfernt; rund 70 Prozent der über 70-Jährigen tun sich schwer im digitalen Umgang und bevorzugen Print. Ach ja, ich weiß: ein bissl Geduld, und die Nachrückenden werden sich schon leichter tun!

Für den Hinweis auf die beiden journalistischen „Jungblüten“ andererseits und tag eins bin ich Ihnen dankbar. Da lese ich: „Wir geben dem Journalismus zurück, was ihm fehlt: Die Perspektiven von Menschen, die er ausschließt.“

Dass es Ihnen bei Medienberichten über die Dragqueen-Lesungen in Wien „kalt über den Rücken gelaufen ist“, verstehe ich. In welch groteskem Verhältnis stand da ein Polizeiaufgebot wegen verhetzter Demonstranten zu den Kindergeschichten, die da vorgelesen und vorgespielt wurden! Ich habe über Anlass und Reaktionen ein wenig recherchiert und bin auf ein Transparent gestoßen, das vor dem Haus einer der Lesungen hing: I love you and you should love YOU TOO. Eine schöne Paraphrase zu Leviticus 19,18.

Toleranz ist mir fast zu wenig Sie, liebe Frau Hirzberger, fordern Toleranz. Anderen Lebenskonzepten und fremden Kunstformen gegenüber. Dragqueens zum Beispiel. Ich sage ganz ehrlich: Toleranz ist mir fast zu wenig. Dieses „die sollen doch machen, was sie wollen“. Das ist mir zu nahe an der Gleichgültigkeit. Ich wünsche mir Zustimmung zu einem Lebenskonzept, gerade wenn es von meinem unterschieden ist. Aber vielleicht ist das zu viel verlangt. Noch. Und auch von mir selber. Zum Schluss ein Wort zum „altbekannten“ Marmorgugelhupf, der nicht in die Cupcake-Form passt. Ich ziehe ihn dem Passionsfrucht-Cupcake vor, nicht nur, weil ich den armen Passionsfrüchten die Seekrankheit auf ihrem langen Weg zu mir ersparen möchte. Sondern weil ich ihn einfach liebe.

Ich wünsche Ihnen eine recht gute Zeit!

Ihr Hubert Gaisbauer!

Der Autor ist Publizist und war bis 1999 Leiter der Religionsabteilung im ORF-Radio. In der Rubrik "Erklär mir deine Welt" schreiben er und Johanna Hirzberger einander abwechselnd Briefe.

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