Dante - © Foto: Robert Alexander/Getty Images

Dante Alighieri: Vom Elend zur Glückseligkeit

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Dante Alighieris visionäre Reise von der Hölle ins Paradies ist weltberühmt und hat zahllose Künstler inspiriert. Ausgangspunkt des Werkes war aber eine existenzielle Krise des Dichters.

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Dante Alighieris visionäre Reise von der Hölle ins Paradies ist weltberühmt und hat zahllose Künstler inspiriert. Ausgangspunkt des Werkes war aber eine existenzielle Krise des Dichters.

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Die Dichtung „Die Göttliche Komödie“ von Dante Alighieri gilt als eines der wichtigsten Werke der Weltliteratur, das viel zitiert, aber außerhalb von Italien kaum gelesen wird. Darin wird eine visionäre Reise Dantes geschildert, die von der Hölle über das Purgatorium ins himmlische Paradies führt. Dabei entfaltete Dante eine Momentaufnahme des zeitgenössischen theologischen und philosophischen Spektrums, in dem christliche Motive dominieren, das aber auch Gedanken aufweist, die in der Philosophie der Renaissance und der Aufklärung eine wichtige Rolle spielen. Die wesentliche Intention Dantes bestand darin, „Menschen aus dem Zustand des Elends in den Zustand der Glückseligkeit zu führen“ oder, um mit Immanuel Kant zu sprechen, sie aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien.

Der Ausgangspunkt der „Göttlichen Komödie“ ist eine existenzielle Krise Dantes, die durch politische Verfolgung und die Androhung der Todesstrafe ausgelöst wurde. Der 1265 geborene Dichter, dessen Familie zu den ältesten Geschlechtern der Stadt zählte, hatte sich für die politische Partei der sogenannten „weißen Guelfen“ engagiert, die eine Trennung von kirchlicher und weltlicher Macht befürwortete. Dadurch geriet sie in Gegensatz zur Partei der „schwarzen Guelfen“, die den Papst als absolutes Oberhaupt ansahen.

Flucht und Exil

Diese unterschiedlichen Auffassungen führten zu militärischen Auseinandersetzungen, die mit dem Sieg der „schwarzen Guelfen“ endeten. Dante verlor seine bürgerliche Existenz und musste Florenz verlassen, um sein Leben zu retten. Der in Saarbrücken emeritierte Romanist Karlheinz Stierle, Autor des Werks „Dante Alighieri. Dichter im Exil, Dichter der Welt“ und der „Dante-Studien“ bezeichnet dieses dramatische Ereignis als „den Tiefpunkt seines bisherigen Lebens. Der Dichter verliert alles, seine Familie, die in Florenz zurückbleibt, seine Freunde, seinen politischen Ruf und seine persönliche Ehre.“ Danach führte er ein Leben als nomadisierender Dichter und Gelehrter, finanziell abhängig von verschiedenen Gönnern, „wie ein Schiff ohne Segel und ohne Steuer, das vom trockenen Wind der schmerzlichen Armut an die verschiedensten Häfen, Mündungen und Gestade getrieben wird“, wie es in dem Werk „Convivio“ heißt.

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Diese existenzielle Krise wird am Beginn der „Göttlichen Komödie“ allegorisch beschrieben: „Auf der Hälfte des Weges unseres Lebens fand ich mich in einem Wald wieder, denn der gerade Weg war verloren.“ Die Rettung naht in der Gestalt des antiken Dichters Vergil, der im Auftrag von Dantes idealisierter Jugendliebe Beatrice handelt; sie ist mittlerweile zu einer Lichtgestalt im himmlischen Paradies aufgestiegen. Vergil ist der Cicerone, der Dante während seiner Reise in verschiedene Höllenkreise begleitet. Dort sind Maßlose, Geizige, Verschwender, Träge, Betrüger, Schmeichler, Gottesleugner, Gewalttäter, Tyrannen und korrupte Politiker versammelt; auch jene Politiker, die seiner Ansicht nach Unrecht getan und ihn in das Exil geschickt haben, wo er bis zu seinem Tod am 14. September 1321 bleiben musste.

Im untersten Bereich schließlich büßen die Verräter Judas, Brutus und Cassius, die in den drei Mäulern von Luzifer stecken. Die in die Hölle Verbannten haben keine Aussicht, jemals von ihren Qualen erlöst zu werden; immer wieder werden sie mit ihren Untaten konfrontiert. „Ich gehe soweit zu sagen, dass das Inferno eigentlich eine Hölle der Erinnerung ist“ – so Karlheinz Stierle, „dass jeder im Inferno auf seine eigene irdische Existenz zurückgeworfen wird.“

Biografisches Fundament

Nach einem Zwischenspiel im Purgatorium – im Fegefeuer – geht die Reise ins irdische Paradies, wo Dante von Vergil verlassen wird. Von nun an ist die Lichtgestalt Beatrice seine Begleiterin. Sie führt ihn in das himmlische Paradies, wo die Seelen der Geretteten im Angesicht Gottes die Freuden der ewigen Seligkeit genießen. Das himmlische Paradies zeichnet sich durch verschiedene Facetten des Lichts aus, die kaum zu beschreiben sind: „Von hier an war mein Sehen mächtiger als unser Sprechen, das vor solchem Anblick versagt und es versagt auch das Gedächtnis vor so viel Übermaß.“

Dante ging es auch darum, die abstrakte gelehrte Sprache des Lateinischen durch die viel emotionalere Volkssprache zu ersetzen.

Neben dem Hauptwerk der „Göttlichen Komödie“ verfasste Dante wenig bekannte Texte wie „Monarchia“ oder „Das Gastmahl“. Dort entfaltete Dante metaphysische Spekulationen und Betrachtungen über seine Person. Er erzählte von sich als Liebender und Leidender, als Irrender und Lernender und präsentiert somit das biografische Fundament der „Göttlichen Komödie“. Damit zusammenhängend stellte sich Dante die Frage der Vermittlung von philosophischen Gedanken, die zu seiner Zeit von Gelehrten in lateinischer Sprache und in einer höchst komplexen Terminologie formuliert wurden. Sie verstanden das Lateinische als Mittel der Distinktion, um sich von der Masse der Ungebildeten abzuheben.

Dagegen wandte sich Dante mit großer Vehemenz, wie Ruedi Imbach, der an der Sorbonne in Paris emeritierte Mediävist und Herausgeber der „Philosophischen Werke“ Dantes, im Gespräch mit der FURCHE betont: „Es war das Bestreben Dantes, die Philosophie von der universitären Philosophie und der dogmatischen Theologie zu befreien. Er wollte eine Philosophie entwickeln für die Menschen, die keine professionellen Philosophen waren, sondern mitten im Leben standen und die sich fragten, wie soll ich leben?“

Volkssprache statt Latein

Somit relativierte Dante die zeitgenössische Metaphysik der Scholastik und hob die Bedeutung der Ethik und der praktischen Philosophie hervor. Der Mensch hat die Wahl der Gestaltung seiner Lebensweise; er kann seinen Lastern frönen, wie es die Bewohner der Höllenkreise getan haben, Reue zeigen oder bestrebt sein, ein moralisch einwandfreies Leben zu führen, um die Möglichkeit zu haben, an den Freuden der ewigen Seligkeit teilzuhaben. Neben diesem Aspekt ging es Dante auch darum, die abstrakte gelehrte Sprache des Lateinischen durch die viel emotionalere Volkssprache zu ersetzen. Als Beispiel nennt Imbach Dantes Argument für die Verwendung der Volkssprache: „Einer der Gründe ist derjenige: Als meine Eltern mich gezeugt haben, haben sie sich zweifellos in der Muttersprache verständigt und sich liebenswerte Dinge gesagt.“

Dantes „Göttliche Komödie“ wurde zu einem „globalen Kulturgut“, wie die in Göttingen tätige Romanistin Franziska Meier in ihrer Studie „Besuch in der Hölle. Dantes Göttliche Komödie“ schreibt. Schriftsteller wie Boccaccio, T. S. Eliot oder James Joyce waren von der Dichtung fasziniert, Künstler wie Sandro Botticelli, William Blake oder Salvador Dali schufen Illustrationen und Literaturwissenschaftler wie Ernst Robert Curtius und Erich Auerbach verfassten subtile Interpretationen. Im Zentrum ihres Interesses stand meist das Inferno, aus dem es kein Entrinnen gibt. Zu den größten Bewunderern Dantes zählte Samuel Beckett, der stets eine Ausgabe der „Göttlichen Komödie“ mit sich führte; selbst im Altersheim, wie sein Biograph James Knowlson berichtet.

Eine singuläre Interpretation der „Commedia“ findet sich bei dem russischen Dichter Ossip Mandelstam. In seinem Essay „Gespräch über Dante“ bezeichnete er „das ganze Poem als eine einzige, einheitliche und unteilbare Strophe“ und verglich es mit einem überdimensionierten Bienenstock: „Man muss sich vorstellen, am Bau dieses dreizehntausendflächigen Gebildes hätten Bienen gearbeitet, die mit einem genialen stereometrischen Instinkt begabt waren und je nach Bedarf immer neue und neue Bienen beigezogen hätten.“ Mandelstams Essay ist ein Plädoyer für eine innovative Rezeption, die ständig in Bewegung ist – „ein Gefäß voller Dynamik“.

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