1713 - Schicksalsjahr für Habsburg

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Karl VI. zog aus dem Spanischen Erbfolgekrieg seine Lehren: Mit der Pragmatischen Sanktion wollte er die Habsburgermonarchie über seinen Tod hinaus vor der Zerstückelung bewahren.

Ende des 17. Jahrhunderts wurde deutlich, dass die spanischen Habsburger mit Karl II. im Mannesstamm aussterben würden. Als Abkömmling der österreichischen Linie rechnete Kaiser Leopold I. mit dem Erbe, womit der zu Beginn der 1520er Jahre unter den Brüdern Karl V. und Ferdinand I. geteilte habsburgische Besitz wieder vereinigt werden würde. Doch in Frankreich erhob der Sonnenkönig Ludwig XIV. aufgrund dynastischer Verbindungen für seinen Enkel Philipp von Anjou Anspruch auf Spanien.

Ob nun die Habsburger oder die Bourbonen den Besitz Karls II. erhalten sollten - dieser gewaltige Machtzuwachs würde der erfolgreichen Partei den Weg zur Vorherrschaft in Europa ebnen. Besonders in England und in den Niederlanden fürchtete man eine derart einseitige Kräfteverschiebung im System der Pentarchie. Noch zu Lebzeiten Karls II., der sein Imperium als Einheit erhalten wollte, suchten diese Großmächte nach einer diplomatischen Lösung für den sich abzeichnenden Konflikt. Im bayerischen Kurprinzen Joseph Ferdinand wurde ein Kompromisskandidat gefunden. Allerdings starb dieser 1699 im Alter von nur sieben Jahren. Im Frühjahr 1700 vereinbarten Frankreich, England und die Niederlande im Vertrag von London die Aufteilung des Erbes zwischen den Habsburgern und den Bourbonen. Kurz vor seinem Tod im selben Jahr setzte allerdings Karl II. Philipp von Anjou testamentarisch als Gesamterben ein, jedoch unter der Bedingung, dass Frankreich und Spanien nie von ein und demselben Monarchen regiert würden. Als Philipp V. bestieg dieser den spanischen Thron.

Angst vor französischer Expansionslust

Das wollte Leopold I. nicht akzeptieren. Im beginnenden Spanischen Erbfolgekrieg stellten sich England und die Niederlande auf die Seite der Habsburger. Entscheidend dafür war keineswegs die Sympathie für die eine oder andere Partei, sondern das internationale Machtgefüge. "Dadurch, dass der König von Frankreich seinen Enkel auf den spanischen Thron setzt, wird es ihm möglich, das übrige Europa zu unterdrücken“, so der englische König Wilhelm III. in einer Thronrede. Während es England vor allem darum ging, die Balance of Power zu bewahren, fühlte man sich in den Niederlanden von der Expansionslust Ludwigs XIV. bedroht.

Die Chancen auf ein erneuertes habsburgisches Reich, in dem die Sonne nie untergeht, standen somit gut. 1703 verzichtete Leopold I. im geheim gehaltenen "Vertrag über die wechselseitige Thronfolge“ ("Pactum mutuae successionis“) für sich und seinen ältesten Sohn Joseph zugunsten seines jüngeren Sohnes Karl auf das spanische Erbe. Dieser wurde als Karl III. spanischer König, während Joseph I. 1705 nach dem Tod seines Vaters die Nachfolge in der Donaumonarchie und als Kaiser im Heiligen Römischen Reich antrat. Damit gab es wieder eine Aufteilung des habsburgischen Besitzes in eine spanische und eine österreichische Linie. Ein Zusatzvertrag sah die gegenseitige Nachfolgeregelung vor.

Zwei Könige in Spanien

Noch war der Spanische Erbfolgekrieg nicht entschieden. In Spanien regierten mit Philipp V. und Karl III. zwei Könige, wobei die Bewohner Kastiliens eher hinter dem Bourbonen, jene Aragons mehrheitlich hinter Karl standen. Der Sieg der Habsburger zeichnete sich bereits ab, als Joseph I. 1711 unerwartet - und ohne Söhne zu hinterlassen - starb. Dem geheimen Hausvertrag folgend wurden die habsburgischen Reiche in der Hand Karls vereinigt, wenig später wählten ihn die Kurfürsten zum römisch-deutschen Kaiser Karl VI.

Das war eindeutig zu viel Macht! England hielt an seinem außenpolitischen Ziel fest - nur keine Supermacht - und leitete Verhandlungen ein. Der Friede von Utrecht 1713 zwischen England, Frankreich, Spanien und den Niederlanden stand ganz im Zeichen eines europäischen Gleichgewichts der Mächte. Philipp V. erhielt als König Spanien und die Kolonien, Karl VI. bekam Besitzungen in Italien und die Spanischen Niederlande. Der Habsburger versagte dem Friedensschluss seine Zustimmung und führte den Krieg auf eigene Faust weiter, doch ohne Verbündete war der Kampf aussichtslos. 1714 musste er mit Ludwig XIV. den Frieden von Rastatt schließen. Das bedeutete das Ende für den habsburgischen Universalismus, obwohl sich Karl weiterhin als "Novus Carolus V“ darstellen ließ und vorerst an seinem spanischen Thronanspruch festhielt.

Seine bitteren Erfahrungen mit dem spanischen Erbe prägten die weitere Regierungszeit. Was Karl II. in Spanien nicht gelungen war - nämlich die Einheit seines Reiches über den Tod hinaus zu sichern - wollte der Kaiser für die Donaumonarchie um jeden Preis erreichen. 1713 versammelte Karl VI. Geheime Räte und Minister in der "Geheimben Raths-Stuben“. Ihnen wurde das "Pactum mutuae successionis“ verlesen. Dem folgte die feierliche Erklärung, dass die von Karl VI. "hinterlassene[n] Erb-KönigReiche und Landen … ohnzerteilt“ bleiben sollten. Daraus wurde die später viel zitierte Formel "unteilbar und untrennbar“ ("indivisibiliter ac inseparabiliter“) abgeleitet. Was dem Gesamtstaat fehlte, war ein Name, so dass in der Literatur meist von der Habsburger- oder Donaumonarchie, der Monarchia Austriaca oder den Erbkönigreichen und Erbländern die Rede ist. Erst 1804 begründete Franz II. als Franz I. das Kaisertum Österreich, das 1867 zu Österreich-Ungarn umgestaltet wurde.

Hoffnung auf den Thronfolger

Ein weiterer Teil der Pragmatischen Sanktion betraf die Erbfolge innerhalb der Familie. Karl gelang es für den Fall, dass auch er ohne Stammhalter sterben sollte, seine Töchter in der Rangfolge vor jene seines älteren Bruders Joseph zu stellen. Allerdings war Karl 1713 noch keine dreißig Jahre alt, seine Hoffnungen auf einen Thronfolger waren durchaus berechtigt. Tatsächlich wurde drei Jahre später ein Sohn geboren, der jedoch früh starb. Danach folgten noch drei Mädchen. Das älteste hieß Maria Theresia.

Je klarer sich zeigte, dass Karl wohl keinen Sohn mehr haben würde, desto wichtiger wurde die Pragmatische Sanktion. Innerhalb der Habsburgermonarchie erkannten die Stände der einzelnen Länder das neue Staatsgesetz und die einheitliche Nachfolgeregelung sukzessive an. Auf internationaler Ebene waren entsprechende Garantien durch die Großmächte teils teuer zu erkaufen. Dennoch musste Maria Theresia nach dem Tod ihres Vaters 1740 im Österreichischen Erbfolgekrieg um Land und Herrschaft kämpfen. Ihr größter Gegner war der Preußenkönig Friedrich II.: Dessen Vater hatte zwar 1728 die Pragmatische Sanktion und Maria Theresias Erbrecht anerkannt, sich dafür aber Unterstützung beim Erwerb des Herzogtums Berg erhofft. Als diese ausblieb, fühlte sich Friedrich an die Zusagen nicht gebunden und überfiel Schlesien.

Im Frieden von Aachen 1748 wurde die Pragmatische Sanktion allgemein anerkannt. Sie blieb bis 1918 das wichtigste Staatsgrundgesetz. 1920 hob der letzte österreichische Kaiser Karl I. beim Versuch, die Monarchie (vorerst in Ungarn) zu restaurieren, die Pragmatische Sanktion und damit die "unzertrennliche Vereinigung“ der habsburgischen Länder auf.

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