Eine Ausstellung im Bonner "Haus der Geschichte" beleuchtet das spannende bis spannungsreiche Verhältnis zwischen Deutschland und Österreich .
Es gibt kaum zwei Nachbarländer in Europa, die sich derart aneinander abgearbeitet haben wie Österreich und Deutschland. Sie teilen Sprache, Kultur und zumindest bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches 1804/1806 auch eine gemeinsame Geschichte, die danach als offene Wunde fortwirkte und Vereinigungssehnsüchte schürte. Die Bonner Ausstellung "Verfreundete Nachbarn", wo Texte und Exponate hervorragend aufeinander abstimmt und klare Thesen gewagt werden, sieht deshalb den Anschluss von 1938 nicht als Zufall an. Vielmehr war er in Österreich seit dem 19. Jahrhundert, spätestens nach dem Ende der Habsburger Monarchie mental vorbereitet. Das zeigen die Fotos einer Wiener Großkundgebung vom Februar 1919 ebenso wie die Aufrufe von Robert Musil und Thomas Mann.
"Befreites" Österreich
Trotzdem wurde in den stürmischen 1920er- und 1930er-Jahren der Aufstieg der Austrofaschisten im rechten Politikspektrum keineswegs nur positiv gesehen. Diese versuchten sich dadurch zu profilieren, indem sie die nsdap zu "überhitlern" und damit zu verhindern versuchten - bestimmt eine überraschende Perspektive für den deutschen Besucher.
In der Nachkriegszeit dominierte in Österreich - anders als in Deutschland - der "Opferdiskurs".
Österreich sah sich als "befreites", Deutschland als "besiegtes" Land. Der Staatsvertrag von 1955 fixierte diese Geschichtssicht, indem er Österreich als Opfer einer aggressiven Annexionspolitik beschrieb. Das wurde in Deutschland kritisch aufgenommen und belastete fortan die Beziehungen. Die deutsche Teilung wurde zum abschreckenden Beispiel, Neutralität zur logischen Alternative. Diese wiederum verbot sich für die Bundesrepublik und die ddr.
Es ist ein Verdienst der Bonner Ausstellung, die oft übersehene ddr-Geschichte als wesentlichen Bestandteil der trilateralen deutsch-österreichischen Beziehungen mit zu dokumentieren. Das von offizieller Seite vorangetriebene, österreichische Selbstverständnis als Antithese zu Deutschland setzte sich in der Bevölkerung nur langsam durch. Nach einer Umfrage von 1955 fühlten sich noch 46 Prozent der Österreicher "dem deutschen Volk" zugehörig. Den Nationalstolz beflügelte das legendäre 3:2 von Córdoba bei der Fußball-wm 1978. Spätestens jetzt war die Vorstellung, Österreich fühle sich weiter Deutschland zugehörig, passé.
Auf kulturpolitischem Gebiet waren die Nachkriegsjahre durch einen nostalgischen Regress geprägt, den der Berliner Journalist Walther Schmieding als "Urlaub von der Geschichte" bezeichnete. Dafür stehen etwa Ernst Marischkas Sissi-Filme, die vordemokratisch-habsburgische Traditionen aufnahmen. Die Auseinandersetzung über die verdrängte ns-Vergangenheit wäre ohne das Engagement kritischer Schriftsteller und Intellektueller undenkbar. Stellvertretend für sie werden Videoausschnitte aus Thomas Bernhards "Heldenplatz" gezeigt.
Die deutsch-österreichischen Beziehungen sind heute - trotz alltäglicher Vorurteile - unproblematisch. Außer, es geht um Mozart.
Deutscher Wolferl
Als das zdf 2003 in einer historisch fragwürdigen Sendung "Unsere Besten" wählen ließ und "unser Mozart" dabei einen vorderen Platz erlangte, schrie die Wiener Boulevardpresse auf und glaubte den Komponisten vereinnahmt. Werner Schneyder lag wohl gar nicht so falsch, als er bei der Ausstellungseröffnung sagte: "Wir könnten Deutsche sein, wenn wir wollten, aber wir wollen nicht. Die Deutschen wären froh, wenn sie Österreicher sein könnten, aber sie können nicht." Eine Präsentation in Wien ist für 2006 geplant; Ort und Zeit sind noch offen.
VERFREUNDETE NACHBARN
DEUTSCHLAND-ÖSTERREICH
Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Willy-Brandt-Allee 14, D-53113 Bonn.
www.hdg.de
Bis 23.Oktober. Di-So 9-19 Uhr.
Der Eintritt ist frei.
Katalog: Verfreundete Nachbarn. Deutschland-Österreich.
Stiftung Haus der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland (Hg.),
Kerber-Verlag, Bielefeld 2005, e 27,95.
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