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Wohnpark Alt Erlaa: Harry Glück hat in den verrufenen 1970ern gut gebaut. Schlecht gebaut wird bis heute.

Vor zwei Jahren präsentierte die Stadt Wien eine Studie über die Wohnzufriedenheit sowie das Freizeit-und Mobilitätsverhalten ihrer Bürger im geförderten Wohnbau. Aus dem Vergleich repräsentativer Wohnanlagen älteren und jüngeren Datums gingen als Testsieger drei Projekte des Architekten Harry Glück hervor - bei sieben von acht Qualitätskriterien angeführt vom Wohnpark Alt Erlaa im 23. Bezirk. Sei es die Lebensqualität, die Sicherheit, die Ausstattung mit Gemeinschaftseinrichtungen, die Gestaltung der Höfe und Freiflächen oder auch die architektonische Erscheinung - Glücks vergleichsweise nüchterne Bauten setzten sich deutlich gegen so manches Wiener Prestigeprojekt der 1980er und 90er Jahre durch.

Die Untersuchung ergab ebenfalls, dass die Bewohner von Alt Erlaa überdurchschnittlich viel Freizeit im unmittelbaren Wohnumfeld verbringen. Das heißt, sie steigen signifikant weniger oft ins Auto, um aus der Stadt zu flüchten - und tragen tendenziell weniger zur Zersiedlung des Stadtumlands durch Zweitwohnsitze bei. Auch wenn der Wohnpark zum Großteil aus den "pr#ae ökologischen" 70ern stammt, ist er damit umweltverträglicher als viele Niedrigenergiehäuser. Alles in allem ist die Wohnzufriedenheitsstudie ein beschämendes Zeugnis für Wiens Wohnbaupolitik der letzten zwei Jahrzehnte, für die maßgeblichen Wohnbauträger und viele ihrer Architekten.

Beste Infrastruktur

Ausschlaggebend für den Erfolg von Alt Erlaa scheinen vor allem zwei Aspekte. Einerseits das Bestreben von Harry Glück, möglichst vielen Großstädtern Ersatz für einen eigenen Garten zu bieten: Übereinander angeordnete Terrassen, zwecks optimaler Besonnung schrittweise zurückversetzt, reichen bis in den 13. Stock - was den drei parallelen, sich nach oben parabolisch verjüngenden Wohnscheiben die Bezeichnung "gestapelte Einfamilienhäuser" eintrug. Andererseits ist die Attraktivität dieser kleinen Stadt in der Stadt mit ihrer hervorragenden Infrastruktur verknüpft: Für die knapp 10.000 Bewohner des - von oberirdischem Autoverkehr gänzlich freigehaltenen - Wohnparks stehen 3400 Tiefgaragenplätze sowie seit sechs Jahren auch ein direkter U-Bahn-Anschluss zur Verfügung, weiters zwei Ärztezentren mit 17 Ordinationen, drei Schulen, zwei Jugendclubs, zwei Kindergärten und ein Kindertagesheim, eine Kirche, ein Verwaltungsgebäude und schließlich - als Verbindung der beiden 1976 bezogenen Blöcke A und B - ein Kaufpark mit insgesamt 45 Händlern, Dienstleistern und Gastronomen; alles kindergerecht beziehungsweise alten-und behindertentauglich gestaltet.

Noch bedeutsamer ist für Architekt Harry Glück allerdings die Ausstattung mit Freizeit-und Gemeinschaftseinrichtungen. Durch ihren terrassierten Aufbau weisen die Wohnscheiben in den untersten Geschoßen eine Trakttiefe von rund sechzig Metern auf. Im Gebäudeinneren war somit Platz für über dreißig Klub-und Hobbyräume, sieben Schlechtwetter-Kinderspielräume, acht Hallenbäder, einundzwanzig Saunaanlagen und sechs Solarien. In ergänzenden Bauten finden sich auf dem einundzwanzig Hektar großen Areal zwei Tennishallen und eine Rundturnhalle - und im Freien noch mehrere Sport-und Kinderspielplätze.

Am spektakulärsten sind zweifelsohne aber die acht Dachschwimmbäder in siebzig Meter Höhe. "Dieser Glück baut um öffentliches Geld Swimming Pools für die Proleten", lautete in den 70er Jahren eine der zahlreichen polemischen Kritiken an der geförderten Wohnanlage. Dabei kommt den Bädern die entscheidende "bandstiftende Funktion" zu, wie der Architekt es nennt - "so wie im Dorf die Kirche, das Wirtshaus oder der Kaufmann". Die Pools werden von über 90 Prozent aller Mieter in Anspruch genommen, von 70 Prozent sogar regelmäßig. Damit initiieren sie Kommunikation unter den Bewohnern und stimulieren das rege Vereinsleben in Alt Erlaa. Bei jenen seiner Wohnbauprojekte, wo Harry Glück kein Schwimmbad realisieren konnte, "lagern in den Gemeinschaftsräumen die Winterreifen des Hausmeisters."

Pool als "Kirche im Dorf"

"Wohnen wie die Reichen - und zwar für alle", lautet Glücks Motto, mit dem er sich bewusst auf die Arbeiterpaläste des Roten Wien der 20er und frühen 30er Jahre bezieht: "Die Geschichte zeigt deutlich: Wer so leben konnte, wie er leben wollte, schuf sich stets eine Wohnung mit freier Aussicht und Bezug zur Natur, mit Wasser im Umfeld und Möglichkeiten zur Geselligkeit wie zu spielerischer Entfaltung." Der Natur im Wohnpark Alt Erlaa wurde zum einen zwischen den drei Wohnblöcken Platz gegeben: jeweils 180 Meter beträgt der Abstand zwischen den Blöcken A, B und C, parkartig gestaltet und mit reichem Baumbestand - eine Großzügigkeit, die von keinem Wiener Massenwohnbau der letzten zehn, fünfzehn Jahre auch nur annähernd erreicht wurde. Zum anderen verfügen die Terrassen über sechs Meter lange und einen Meter breite Pflanzentröge, die - üppig begrünt - den Landschaftsraum bis in 40 Meter Höhe hinaufziehen.

Vom 15. bis zum 27. Stockwerk besitzt jede Wohnung eine großzügige Loggia, die in teilweiser Schrägstellung aus der Fassade herausragt und trotz der Ost-West-Orientierung der Gebäude auch freie Aussicht nach Norden und Süden ermöglicht. Man blickt somit nicht auf die gegenüberliegende Wohnscheibe, sondern an den Bauten vorbei ins Grüne - ein Privileg, das bei Wohntürmen jüngeren Datums nur den Bewohnern der Penthäuser in den obersten Geschoßen vorbehalten bleibt. Mangelnde Fernsicht macht die untersten Etagen keineswegs unattraktiv, weisen die Wohnungen hier doch die großzügigsten Terrassen mit bis zu 40 Quadratmeter Fläche auf. Und in den obersten Etagen dürfte die Windintensität ebenso wenig eine Einschränkung darstellen. Der beste Beweis dafür ist, dass von den insgesamt 3200 Wohnungen selten mehr als fünf oder sechs leer stehen.

Die bauliche Vielfalt der größten nicht-kommunalen Wohnanlage Österreichs ist größer als es auf den ersten Blick scheinen mag. Kaum eine Wohnung gleicht der andern, zumal Harry Glück insgesamt 53 verschiedene Typen für Alt Erlaa entworfen hat: 1-bis 5-Zimmer-Apartments, Maisonetten, sogenannte Saalwohnungen und andere mehr. "Auf zwei Etagen bezogen wir die künftigen Mieter partizipativ in die Planungen mit ein", erinnert sich der Architekt. "Schließlich entschieden sich jedoch fast alle für einen der Regelgrundrisse." Trotz seiner offenkundigen Qualität war das Projekt von Anbeginn an jedoch harscher Kritik ausgesetzt.

Gehässige Kritik

So hatte der Architekturkritiker der Presse Alt Erlaa schon in der Entwurfsphase als "maßlose Übersteigerung städtebaulicher Wohn-Monokulturen, deren Nachteile hinlänglich bekannt sind" abgetan. "Hier wird ein mißverstandener Amerikanismus importiert, der schlicht und einfach familienfeindlich ist. Die knapp hundert Meter hohen Wohnblöcke sind - noch dazu in dieser extrem windigen Lage - zu zwei Drittel kaum unter normalen Bedingungen zu bewohnen. Wie oft im Jahr kann man hier einen Wohnraum öffnen oder eine Loggia benützen?", klagte der Fachpublizist und sah im Wohnpark ein Ghetto der Zukunft: "Die Gefahr für Kinder beginnt schon bei der Wohnungstür, mit Kindern ins Freie zu gehen wird für eine Mutter zum Unternehmen, und über die Gang-und Liftkriminalität gibt es wirklich schon genügend Literatur."

Auch heute noch lehnt die Wiener Architektenszene - die an Hochhäusern inzwischen selbst Gefallen gefunden hat - den nach außen hin spröde wirkenden Wohnpark in seltener Einigkeit ab. So erfährt Alt Erlaa - mittlerweile eine Ikone des sozialen Wohnbaus der Stadt - im offiziellen Architekturführer Wiens keinerlei Erwähnung. Harry Glück erklärt sich diese Verachtung damit, dass viele Kollegen mehr für das Feuilleton bauen als für den Menschen, und hernach verbittert sind, dass ihre formalen Anstrengungen kaum Wertschätzung durch die Bewohner finden - vor allem dann, wenn sich drei Betonriesen aus den 70er Jahren, deren Zeitgenossen andernorts schon wieder abgerissen wurden, nach wie vor größter Beliebtheit erfreuen.

Der Autor ist Stadtplaner und Fachpublizist in Wien und Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung.

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