2005 24 10

Teddy Podgorski und der ORF: 35 Jahre beim "Baberlzeug"

19451960198020002020

Er war in den Anfängen 1955 dabei. Er erfand den Namen "Zeit im Bild". Er war beim Aktuellen Dienst, Sportchef, Sendungsmacher ("Seinerzeit", "Jolly Joker") sowie 1987-90 ORF-Generalintendant. Thaddäus "Teddy" Podgorski über den "Herrn Karl", seine TV-Erfahrungen - und warum er heute nicht mehr zum Fernsehen ginge.

19451960198020002020

Er war in den Anfängen 1955 dabei. Er erfand den Namen "Zeit im Bild". Er war beim Aktuellen Dienst, Sportchef, Sendungsmacher ("Seinerzeit", "Jolly Joker") sowie 1987-90 ORF-Generalintendant. Thaddäus "Teddy" Podgorski über den "Herrn Karl", seine TV-Erfahrungen - und warum er heute nicht mehr zum Fernsehen ginge.

Werbung
Werbung
Werbung

DIE FURCHE: Wir sitzen hier in Ihrem Stammlokal, dem Café Gutruf, wo, wie Sie in Ihrem neuen Buch (siehe unten) schreiben, der "Herr Karl" entstanden ist.
Teddy Podgorski:
Der "Herr Karl" hat mehrere Vorlagen gehabt. Aber der Wirt des "Gutruf" hat alle Eigenschaften des Herrn Karl besessen, und nachdem das auch das Stammlokal vom Qualtinger war, haben wir angenommen, dass er diesen als "Vorbild" genommen hat.

DIE FURCHE: Der "Herr Karl" war 1961 ein exzeptionelles TV-Ereignis.
Podgorski: Eigentlich eine geistige Revolution, weil zum ersten Mal wurde damals der wienerische und österreichische Opportunismus mit einer derartigen Klarheit ausgesprochen, mit wunderbaren Beispielen, die jeder kannte: Jeder, der den "Herrn Karl" gesehen hat, hat selber solche Erfahrungen gemacht - oder sich sogar betroffen gefühlt. Das ist ja bei den wenigsten literarischen Werken der Fall, weil die meisten, die in einem Stück schlecht wegkommen, erkennen das nicht, sie sagen: "Leit gibt's", dabei sind sie es selber! Aber beim "Herrn Karl" gab es keine Ausflüchte. Das war dann der Aufschrei: "So samma net!" Das setzt voraus, dass sich viele erkannt haben.

DIE FURCHE: Wie konnte das im ORF, der 1961 fest in ÖVP-SPÖ-Proporz-Hand war, gesendet werden?
Podgorski:
Es war durch die Freundschaft des Fernsehdirektors Gerhard Freund - ein Sozialist, aber auch vom Proporz gefesselt - mit Qualtinger und Regisseur Erich Neuberg möglich: Denen Nein zu sagen, wäre für ihn eine persönliche Überwindung gewesen, außerdem hat Freund damit gerechnet, dass das Ganze als "Kabarett-Programm" leichter konsumierbar sein würde. Er hat natürlich ein unglaubliches Maß an Zivilcourage bewiesen, aber er hat sich nicht vorgestellt, dass es eine derartige Explosion würde.

DIE FURCHE: Wie muss man sich den Proporz damals vorstellen?
Podgorski:
Es hat im Fernsehen praktisch keine politische Berichterstattung gegeben, sondern nur eine dirigierte Berichterstattung im Hörfunk, und dort sind zwei von den Parteien festgelegte Chefredakteure gesessen, die die Nachrichten zensurierten: Genau diese Nachrichten wurden im Fernsehen verlesen. Politiker haben sich grundsätzlich geweigert, ein freies Interview zu geben: Wenn einer im Radio reden wollte, dann hat er oder sein Pressesekretär angerufen, wenn es ein Minister war, zumeist der Sektionschef Doktor Metztik vom Bundespressedienst, und hat dieses Interview verlangt. Dann ist ein Redakteur dorthin gefahren und hat dort einen Text bekommen, was er zu fragen hat und auch die Antworten des Ministers waren schon gedruckt - das ist abgelesen worden.

DIE FURCHE: Sie waren in dieser Zeit Leitender Redakteur der "Zeit im Bild". Wie konnten Sie da Journalist sein?
Podgorski:
Wir waren Kultur- und Lokaljournalisten, das Politische blieb weitgehend ausgeklammert und ist auf dem Umweg der Kultur ein bisserl eingeflossen. Der "Herr Karl" ist da ein gutes Beispiel.

DIE FURCHE: Von Bundeskanzler Raab gibt es die kolossale Fehleinschätzung, das Fernsehen den Roten zu lassen.
Podgorski:
Ich habe es so gehört, dass er gesagt habe: "Geh lasst's mi in Ruh mit dem Fernsehen, des ist ja ein Baberlzeug!" Wichtig war für ihn der Hörfunk. Aber auch Fachleute haben das unterschätzt.

DIE FURCHE: Wie sehen Sie die Information im heutigen Fernsehen?
Podgorski:
Die ist - sowohl inhaltlich als auch formal - schlecht. Es fehlen mir Zusammenhänge, und ist auch politisch manchmal bedenklich. Oft frage ich mich: Warum ist der jetzt da? Und da hat man schon oft das Gefühl, das ist eine Gefälligkeit oder es hat einen Anruf gegeben: Wenn man das jahrelang gemacht hat, dann kriegt man einen Blick dafür.

DIE FURCHE: Das Rundfunkvolksbegehren 1964 und die folgende ORF-Reform gelten als "Gral" des freien ORF.
Podgorski:
Na, das muss man schon relativieren!

DIE FURCHE: Warum?
Podgorski:
Man muss sich fragen: Welche Partei der Welt macht so etwas? Nur dann, wenn sie sicher ist, dass ihre Sache gut vertreten ist. Für die ÖVP, die damals weg vom Fenster war, weil sie das Fernsehen ja den Roten überlassen hatte, war es eine ideale Möglichkeit, das Blatt umzudrehen. Sie haben nicht gesagt, wir reißen uns das unter den Nagel, sondern wir machen ein Volksbegehren - übrigens das erste und einzige Volksbegehren in Österreich, das je in ein Gesetz umgesetzt wurde! - in der Gewissheit, dass dieser unabhängige Rundfunk der ÖVPwohlgesonnen sein wird. Man muss natürlich auch sagen, im Verhältnis zum bisherigen Rundfunk war das eine Wohltat. Es war wirklich so, dass ein moderner Wind reingekommen ist, aber im Lauf der Zeit sind wieder dieselben Unsitten eingerissen .

DIE FURCHE: Wenn Sie mit Hugo Portisch, dem damaligen "Kurier"-Chef, oder Fritz Csoklich von der "Kleinen Zeitung" reden, so sagen die: Wir unabhängige Zeitungen haben damals den Rundfunk unabhängig gemacht!
Podgorski:
Gegen das, was vorher war, ist es natürlich besser geworden. Nur: Warum haben die Zeitungen das gemacht? Sind sie an einem starken Rundfunk interessiert? Sind die interessiert, dass es dort Werbung gibt? Ludwig Polsterer, der Herausgeber des Kurier, hat 1968 - schon nach einen Jahr! - die Ablöse Gerd Bachers verlangt.

DIE FURCHE: 1967 ist Gerd Bacher gekommen - drei Jahre später hat die VP die Wahl verloren. Also hat die ORF-Reform der VP doch nicht so genützt?!
Podgorski:
Sie hat nichts genützt, aber sie haben geglaubt, dass sie etwas nützen wird.

DIE FURCHE: Wie beurteilen Sie die Ären von Bacher, er hat Sie 1968 ja vom Aktuellen Dienstes hinausgeworfen, Sie haben ihn 1987 als Generalintendant beerbt, er dann wieder Sie 1990.
Podgorski:
Seine Tätigkeit beurteile ich als wunderbar, wir sind nur grundsätzlich verschiedener Anschauung. Er war er ein Zentralist - er hat den Rundfunk von oben nach unten regiert, und ich war einer, der dezentralisiert hat. Das war der große Unterschied zwischen uns.

DIE FURCHE: Sie kritisieren auch Haus und Struktur des Küniglbergs.
Podgorski:
Das Fernsehen, das dieses Haus gebaut hat, hat es zum Zeitpunkt des Baus schon nicht mehr gegeben. Es wurde alles darauf ausgerichtet, dass der orf in seinen Mauern Programm macht. Wie das Ganze fertig war, hat sich herausgestellt, dass es zu teuer ist, im Haus zu produzieren. Man hat damals schon begonnen, vieles außer Haus zu geben. Jetzt ist es eigentlich nur mehr ein zentraler Stützpunkt für Funktionäre.

DIE FURCHE: Wäre es besser, das Ganze - nicht wörtlich gemeint! - zu sprengen und etwas Neues aufzubauen?
Podgorski:
Ich glaube, das wäre ein Unsinn. Wenn man den orf jetzt sprengt, dann ist viel kaputt, aber es ist keine Kraft oder Substanz da, das neu zu machen. Wer soll das machen? Die Privaten rühren einen ja auch zu Tränen. Wenn etwas da wäre - durchaus wie das Volksbegehren 1964, dann wäre ich dafür, die jetzigen Strukturen aufzulösen. Aber es ist niemand interessiert, eine Alternative zu konstruierten. Die Politik hätte die Aufgabe und die moralische Verpflichtung, für ordentliches Fernsehen zu sorgen. Fernsehen greift doch wesentlich in die Existenz der Menschen ein.

DIE FURCHE: Was sollte die Politik da zulassen oder konzipieren?
Podgorski:
Die Politik müsste für Geld sorgen - in welcher Form auch immer, und diejenigen, die das Geld kriegen, müssten dafür in der Lage sein, Qualität zu bieten. Es ist ja unfair, den orf mit zwei tv-Programmen in den Markt entlassen, und zu sagen: Wir müssen vorkommen, der Rest ist uns wurscht. Die im orf versuchen mit Hängen und Würgen, öffentlich-rechtliche Programminhalte zu beweisen, was ihnen eh nur schwer gelingt, und auf der anderen Seite müssen sie sich im Hai-Revier des Werbemarktes etablieren. Das ist heute nicht unter einen Hut zu bringen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung