71° Nord - Fisch für die Welt

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Eine winterliche Reise zu den Fischern der Barentssee. Hat die Fischerei im Norden eine Zukunft, lautete die Frage. Die Menschen in Havøya fanden eine eindrucksvolle Antwort.

Zwei Stunden waren es mit der Hurtigrute von Hammerfest nach Havøysund, die Fähre schob sich Welle um Welle heran an 71 Grad nördlicher Breite. Gut, dass es hier den Golfstrom gibt. Keine Eisberge. Keine Eisbären. Keine Seehunde wie in Grönland, die als tote Fleischpacken im Freilichtkühlschrank unter den Schiffsanlegern baumeln. Im Alltag hieß das: Die Boote kamen voran, und die Fischer konnten besser fischen. Eine nackte, schnörkellose Welt. Im Norden, an Backbord, lag die Insel Rolvsøya, die neuerdings zum Wirkungsbereich eines der reichsten Männer Norwegens zählte, Anders Pedersen: "Anders verdient 3306 Prozent mehr als der Durchschnitt in Ålesund“, verriet die Boulevardzeitung. Als Pedersen, der Klippfischkönig, sich 2006 an die Wiederbelebung des Fischernestes Tufjord machte, versprach er, durch die Fabrik die Zukunft der Region zu sichern.

Die Fisch-Zukunft

Bei der Vorbereitung der Reise hatten mich Fischerei-Lobbyisten auf die weltgeschichtliche Bedeutung des Kabeljaus aufmerksam gemacht. Die wachsende Weltbevölkerung, hatten die Lobbyisten gesagt, brauche gesunden Fisch. Sie brauche sogar mehr Fisch als je zuvor, um die derzeitige Pro-Kopf-Versorgung mit Fisch erhalten zu können, doch dieser Fisch sei kaum noch zu finden - bloß im Norden und Nordosten Europas, und zwar in rauen Mengen. Offenbar gab es auch in dieser Rohstoffbranche einen fast missionarischen Glauben daran, dass das Nordmeer, die Barentssee vor allem, die Region sei, um die man künftig nicht herumkommen könne. Die Barentssee blieb "eine wichtige Zielregion für Piratenfischer“, manche fürchteten sogar, dass jeder vierte gefangene Kabeljau auf einem illegalen Schiff unterwegs war, zum Beispiel gen China. Hat die gute, die sensible Fischerei gegen diese Raubfischer eine Chance? Die Fischerei befand sich ohnehin unter Druck.

Meine Reise war auch ein Versuch, die Zukunft der Fischerei zu erahnen: weiter im Norden? Würde den Fischern am nördlichen Ende Europas wirklich der versprochene Fisch in die Boote springen? In der Gegend um Havøysund, hieß es, sehe es ganz danach aus. Und nicht nur das: Die Fischer in Nordnorwegen hätten auch eine neue Technik entwickelt, um den begehrten Fisch außerhalb der eigentlichen Fangsaison pflegen, schlachten und verarbeiten zu können. Ganz nachhaltig, gewissermaßen.

Zumindest Svein hatte die Ruhe weg, als er hinter dem "Havøysund Hotel“ auf uns wartete. Er hatte mir einen Anzug ins Zimmer gelegt, einen lebensrettend knallroten, aber es war nicht leicht, das Ding über den Bauch und den Reißverschluss bis zum Kinn zu ziehen. Als er endlich loslegen konnte, war ich so außer Atem, dass mir der Topf Fischsuppe unter Deck wie eine Drohung erschien. Die "Ingrid Maria“ aber preschte aus dem Hafen, und Svein blickte auf das Meer, wie Fischer nun einmal aufs Meer blicken. Auch er setzte nach vierzig Jahren im Geschäft auf eine freundliche Beimischung Tourismus.

Das Schiff, in das er investiert hatte, fuhr regelmäßig Gäste ins Nordmeer wie jene des "Norwegian Seafood Export Council“, Mitarbeiter britischer Catering-Riesen, deutsche Händler, portugiesische Journalisten. Das alles hob Svein aus den 1200 Einwohnern der Kommune Måsøy ein wenig heraus. Er war ein Botschafter, ob er das wollte oder nicht. Diesmal wollte er. Und die Inszenierung war gut. Die Fischmenge, die Svein hier aus dem Wasser heraufzog, armlange Kabeljau-Riesen, war enorm. Selbst ich musste keine Minute warten, bis sich der erste Fisch einen Angelhaken in die Kiemen rammen wollte, und noch während ich den ersten aus den Wellen zu heben versuchte (was leichter gesagt war als getan), biss weiter unten an der Angelschnur der nächste an. So ging das an diesem Nachmittag weiter: wie am Schnürchen. Auch in der Fischfabrik am Hafen, in die Svein mich brachte, herrschte demonstrativer Optimismus. Das heißt nicht, dass die Arbeiter in den Eiskisten vor Übermut tanzen oder feixen würden. Dafür hatte auch Nordnorwegen schon zu viele Fischereikrisen mitgemacht, die letzte erst vor wenigen Jahren, als Oslo ein 75 Millionen Kronen teures Paket zur Rettung der Fischereiwirtschaft schnürte. Wer hier wohnte, der wusste, dass Krisen keine Erscheinung der Neuzeit waren. Der wusste, dass sie einen jederzeit packen konnten - ob nun die Märkte zusammenbrachen oder die Bestände. Svein hatte mir auf See noch die verlassene Fischerei auf Hjelmsøya gezeigt. Sie war kaum mehr als ein toter Rest Holz, die Bretter morsch, die Fenster leer. "Die Fabrik hier“, sagte er, "produzierte Trockenfisch für den afrikanischen Markt. Sie musste dichtmachen, als in Afrika die Biafra-Kriege ausbrachen. Ihr Markt brach einfach weg, die Insel ist heute unbewohnt.“ Dann fuhr er zu einer Vogelklippe, auf der die Papageientaucher das Fliegen lernten. Svein, mit einem Fernglas in der Hand: "Als Kinder mussten wir noch laut schreien, wenn wir auf der Insel waren und in die Felsen kletterten. Über 100.000 Paare Lummen gab es hier in den Sechzigern. In den Achtzigern waren es nur noch einige tausend. Die Fischer hatten einfach nicht gemerkt, wie sehr sie just jene Bestände im Meer überfischten, die die Nahrungsgrundlage für die Vögel waren.“ Nein, Garantien für eine glorreiche Zukunft gab es im Norden nie.

Das Projekt

"Vor einigen Jahren hätten wir noch nicht so optimistisch in die Zukunft geschaut wie heute.“ Tor-Bjarne Stabell, der Fabrik-Eigentümer, begrüßte mich. Wir gingen durch die Anlagen, ein Schiff legte an. Den randvollen Bottich mit Fisch kippte es in eine Vorrichtung, hinter der der Fang gewogen und registriert wurde. Metallrutschen und Maschinen schleusten den Kabeljau weiter in die Halle. Dort wartete ein starker Kerl: mit einer Art senkrecht montierten Kreissäge. Er packte Fisch um Fisch. Öffnete ihnen mit der Säge den Rücken. Das Fleisch fiel auf weitere Bänder hinab. Hinter denen standen die Männer und Frauen mit den Messern. Die schnitten Filetstücke. Schippten Eis. Pressten Fischstücke in kleine Kisten. Und trotzdem, die Sache hatte einen Haken. Kabeljausaison war stets nur in den Winter- und Frühjahrsmonaten, in den übrigen Monaten war Flaute, an vielen Tagen im Jahr stand die Fabrik gar völlig still. Konnte man das nicht ändern? Industria hominum naturam vincit.

In Havøysund wollten sie das ändern. Tor-Bjarne Stabell und seine Leute experimentierten seit 2002 mit einer abgewandelten Form der Aquakultur. Sie richteten Netze ein, wie man sie aus der Lachszucht kannte. Sie versuchten herauszufinden, wie junger Kabeljau sich in Gefangenschaft verhält, wie man ihn mit Fisch füttern, pflegen, körperlich fit und hygienisch sauber halten konnte. Und sie überredeten die lokalen Fischer, ihre Schiffe ein wenig umzurüsten, sodass die Aquakultur-Netze in den Buchten beliefert werden konnten.

"Das ist es ja“, sagte Stabell, nachdem sein Boot die Netze erreichte, "wir bitten die Fischer, uns im Frühjahr mit jungem Kabeljau zu versorgen. So können wir ihn in der Nebensaison schlachten, im Herbst, und ebenso frisch an den Markt bringen wie den üblichen Fang zwischen Februar und Mai. Wir erzielen im Herbst sogar einen höheren Preis dafür und können dem Markt vor allem die Stabilität geben, die er verlangt.“ Hinter ihm, auf einer metallkalten Rutsche, flutschten die Kabeljauriesen von einem Fischereiboot in die Netze.

Die Barentssee - eine Schatzkammer. So sieht das auch die Fischereiministerin Lisbeth Berg-Hansen: "Es ist die Vision dieser Regierung, dass Norwegen an vorderster Stelle der Fischereinationen stehen sollte. Was sie antreibe, sagte die Ministerin, sei der "brennende Wunsch“ danach, mehr Küstengemeinschaften das erleben zu sehen, was auch Lovund erlebe, eine winzige, direkt am Polarkreis liegende Insel mit wichtigen Lachsfarmen: "Ein Wachstum bei Geburten, beim Hausbau - kurz gesagt - einen großen Optimismus.“ Ich dachte ja, solche Reden gäbe es nur in Amerika: Yes, we can! Vielleicht hat dieser Pioniergeist ja in beiden Fällen etwas mit der Verschiebung von Grenzen zu tun. Oder mit der Vorstellung, ein Leben an der Last Frontier zu führen.

Das Revier vom Feinsten

In Havøysund begann es zu dämmern. Ich suchte den Weg, der hinter den Häusern den Berg hinaufführt. Eine letzte Verabredung. Sie führte in eine Mondlandschaft aus Fels und Schnee und zu einem Restaurant, das seine Entstehung ebenfalls der Erschließung des Nordens verdankte. Das Ding hieß "Arctic View“. Wie die Kommandozentrale eines Raumflughafens kauerte es am äußerten Ende der Klippen, ein eleganter kleiner Betonkasten, kaum groß genug für eine Abendgesellschaft - dafür jedoch mit Panoramafenstern, die in Richtung Nordkap oder zumindest Nordosten blickten. Der kalte Dunst, der aufzog, nahm dem Tag den letzten Rest Wirklichkeit. Dazu dieses Surren, Schwirren, Rauschen einer Windkraftanlage mit sechzehn Turbinen. Und drum herum das Nordmeer. "Das Gas. Öl. Der Fisch“, Jonh Aase, der Bürgermeister der Kommune, war in Feierlaune. "Der Fisch bringt uns nun auch noch Tourismus“, Aase klang so, als halte er das Tempo für ein wenig überstürzt. "Erst neulich kaufte ein Unternehmen aus Deutschland zwei Häuser, für Angeltouristen.“ In den Werbebroschüren hieß es:, Havøya befindet sich am Rande der Barentssee, die über einen gigantischen Fischreichtum verfügt […] ein Revier vom Feinsten.‘“

Datenautobahn durch die Arktis

Sie sind die Hauptschlagadern der Informationsgesellschaft: Tiefseekabel umspannen den ganzen Globus. Die wichtigsten Verbindungen verlaufen durch den Atlantik zwischen Nordeuropa und der US-Ostküste. Nun, da die arktischen Seewege wegen der Klimaerwärmung zunehmend eisfrei werden, könnten die ersten Kabel für Telefon, Internet und Fernsehen durch den hohen Norden gelegt werden. "Wir werden die schnellste Verbindung zwischen Japan und Großbritannien schaffen“, sagt Douglas Cunningham, ein Geschäftsmann aus dem kanadischen Toronto. Sein Team arbeitet an "Arctic Fibre“, einer rund 15.600 Kilometer langen Glasfaserleitung von Tokio durch die Nordwestpassage über Neufundland nach London. Als Herzensangelegenheit bezeichnet Cunningham die Versorgung der rund 60.000 Menschen in Kanada und Alaska, die bisher ohne Internetanschluss leben und an Zweige des Seekabels angeschlossen werden können. (red/dpa)

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