Werbung
Werbung
Werbung

Dach der Welt.

Test bestanden! Was im Nachrichtenmagazin profil der letzten Woche als Coverstory und exklusive Neuigkeit gepriesen wurde, ist im Buch "On top of the world. Die 14 Achttausender: Von den Erstbesteigungen bis heute" detaillierter und weniger voreingenommen nachzulesen. profil konfrontierte den Extrembergsteiger Reinhold Messner mit dem Vorwurf von ehemaligen Bergkameraden, er habe Mitschuld am Tod seines Bruders Günther bei der Nanga-Parbat-Expedition 1970. Um die erstmalige Überschreitung des 8.126 Meter hohen "Nackten Berges" durchzuführen, habe Messner seinen Bruder zurückgelassen oder trotz dessen körperlicher Schwäche mitgeschleift, lautet der neu aufgewärmte Vorwurf. Denn schon vor 32 Jahren endete diese Expedition in deutschen Gerichtssälen - mit hässlichen Anschuldigungen von allen Seiten.

Richard Sale lässt sich in "On top of the world" auf diese Schlammschlacht nicht ein. Er zählt die Ungereimtheiten auf, verweigert sich jedoch einer Parteinahme. Nur ein Detail sei erwähnt: Während das Nachrichtenmagazin behauptet, Reinhold Messner habe zwei nachkletternden Kameraden zugerufen, es sei alles in Ordnung, beschreibt Sale das über 80 Meter hinweg und in Sturm und Wind stattfindende Gespräch als durchaus widersprüchlich. Messner soll demnach sehr wohl nach einem Seil für seinen Bruder und um Hilfe gebeten haben. Und nach dem Wortwechsel habe sich Messner, so die beiden anderen Expeditionsteilnehmer, nach unten gebeugt, um etwas aufzuheben, das eindeutig schwer war. Doch keiner der Messner-Brüder hatte einen Rucksack dabei!

Sale beschreibt die Widersprüche mit ihren vielen Facetten, um schließlich mit dem nicht sehr Aufsehen erregenden, aber nach wie vor gültigen Resümee zu enden: "Es ist jetzt unwahrscheinlich, dass es eine befriedigende Antwort auf diese Fragen geben wird, und bei Spekulationen riskiert man ein Gerichtsverfahren. Die einzigen Themen, die wohl nicht zur Diskussion stehen, sind, dass die Begehung der Rupal-Wand und die erste Überschreitung eines Achttausenders gelungen war und dass Reinhold Messner seinen Fuß auf die erste Sprosse einer bemerkenswerten Karriereleiter gesetzt hat. Es ist traurig, dass die Nachwirkungen des Aufstiegs vollkommen die Leistungen desselben überschatten."

Vorrangig um diese alpinistischen Leistungen geht es aber Richard Sale in seinem gemeinsam mit dem Fotografen John Cleare geschaffenen, hervorragenden Buch über das Dach der Welt. Sale spart dabei die zahlreichen Schatten und dunklen Kapitel in der Besteigungsgeschichte der 14 Achttausender nicht aus. Neid, Ruhmsucht, Egoismus, faule Tricks - das Sündenregister betrifft nicht nur einzelne ehrgeizige Bergsteigern, sondern es stritten sich im Kampf um den Gipfelsieg oft ganze Nationen. Wieder das Beispiel Nanga Parbat: Der Tod von elf deutschen Bergsteigern auf seinen Flanken machte ihn in den dreißiger Jahren zum "Deutschen Berg". Meldungen, die Briten wollten "ihren" Berg ebenfalls in Angriff nehmen, lösten Protestaktionen in Deutschland aus. Jeder Besteigungsversuch einer anderen Nation sei "unlauter", schimpfte man.

Doch nicht nur die Deutschen glaubten, Besitzansprüche stellen zu können: "Heute, fast ein Jahrhundert nach den ersten Gehversuchen an diesem Gipfel und ein halbes Jahrhundert nach der Erstbesteigung, scheint die Idee, der K2 sei ein italienischer Berg, lächerlich zu sein. Aber zur damaligen Zeit war der Nationalstolz, der von den Expeditionen hervorgerufen wurde und große Erwartungshaltungen ausdrückte, sehr real." An Absurdität nicht zu überbieten ist die angeblich erste Besteigung des Sisha Pangma 1964 durch eine chinesische Expedition. Gleich zehn Bergsteiger sollten das Ziel erreicht haben und mussten sich abwechseln, um am winzigen Gipfelpunkt überhaupt Platz zu finden. Doch westliche Bergsteiger betrachten den chinesischen Anspruch mit Skepsis: Zuerst wurde behauptet, eine Büste des Vorsitzenden Mao sei mit auf den Berg getragen worden. Doch die Gipfelfotos zeigen keinen Hintergrund - nur Bergsteiger vor blauem Himmel. Befanden sie sich auf dem Sisha Pangma oder auf einem Parkplatz außerhalb Pekings?

Begonnen hat der ganze Zirkus um die höchsten Berge der Welt ja eigentlich mit der Festlegung des Meter-Maßes. Wäre der Meter nur ein wenig länger, gäbe es weniger Gipfel, die über die magische Zahl hinausgehen und somit wäre es eine einfachere Aufgabe gewesen, alle zu besteigen. Gäbe es nur zwei, drei oder vier, hätten viele Bergsteiger sie alle in relativ kurzer Zeit bestiegen und die Vervollständigung der Sammlung hätte nicht allzu viel Aufmerksamkeit erweckt. Wäre der Meter etwas kürzer ausgefallen, gäbe es mehr Achttausender. Und bei 30 oder 40 von ihnen wäre es sehr zweifelhaft, dass jemand sie alle jemals besteigen könnte. "14 Gipfel, das ist wohl die richtige Zahl", schlussfolgert Sale völlig zurecht.

Wenig bekannt ist dabei eine von Sale beiläufig erwähnte Tatsache: Gemessen vom Geozentrum (das Massezentrum der Erde) ist der Chimborazo in den Anden der höchste Gipfel. Durch die Erdumdrehung entsteht eine Abflachung an den Polen: der Everest liegt 28 Grad Nord, während der Chimborazo auf dem Äquator liegt. Und obwohl er 2.600 Meter niedriger als der Everest ist, befindet sich sein Gipfel 2.200 Meter weiter vom Geozentrum entfernt.

Alles eine Frage der Definition also. Das gilt auch für die erste "vollständige Besteigung" des Everest. Ende der achtziger Jahre legte der Australier Tim McCartney-Snape die gesamte Strecke vom Golf von Bengalen bis zum Gipfel zu Fuß zurück. 1996 wurde aber auch er noch übertroffen: Göran Kropp fuhr mit dem Fahrrad von seiner Heimat Schweden bis nach Nepal, bestieg den Gipfel ohne zusätzlichen Sauerstoff und radelte anschließend wieder nach Hause zurück. Beispiele dafür, wie penibel recherchiert und detailliert Sales Buch ist. Die Fotos von John Cleare ergänzen das Werk auf eindrucksvolle Weise und bieten ungewöhnliche, neue Ansichten auf die Bergriesen. Das Gleiche gilt auch für eine Richtigstellung: "Heute wird der Name des höchsten Berges der Welt Ever-est ausgesprochen. George Everest, der Namensgeber, wäre wohl darüber entsetzt. Während seines ganzen Lebens befolgte er die von seiner Familie bevorzugte Aussprache Eve-rest."

ON TOP OF THE WORLD.

Die 14 Achttausender: Von den Erstbesteigungen bis heute. Von Richard Sale und John Cleare. BLV Verlag, München 2001. 228 Seiten, geb., e 36,-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung