Abendland und Ebensee

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Es gibt wieder einmal jede Menge Stoff für Österreich-Denker: Warum spielen die "Lausbuben" bei uns rechte "Streiche"? Und warum können diese "Lausbuben" hierzulande, wenn sie groß sind, sogar erfolgreiche Politiker werden?

Das Land ist wieder einmal dort, wo es viele im In- und Ausland ohnedies am liebsten strukturell verorten: im rechten Eck. Die Mischung aus bewährt unsäglichen FP-Wahlkampfslogans und einer jugendlichen Störaktion bei einer KZ-Gedenkfeier, die Heinz-Christian Strache natürlich flott in seine Kampagne einbaut, dazu noch die Aufregung um mögliche antisemitische Äußerungen von Wiener Gymnasiasten im Rahmen eines Auschwitz-Besuchs - das ist der Stoff, aus dem große Österreich-Feuilletons gewoben werden. "Was ist nur los mit diesem Land?", wird da stets von ausländischen Beobachtern gefragt, oder von jenen, die sich selbst nicht zu "diesem Land" zählen, sondern zum "anderen Österreich" - einem besseren, lichtvolleren, moralisch irgendwie überlegenen - stilisieren.

Ritualisierte Empörung

Nein, man soll diese Dinge alle nicht verharmlosen - aber mit der ritualisierten Empörung wird man ihnen auch nicht beikommen; eher ist es so, dass man damit das üble Spiel in Bewegung hält. Natürlich kann man fragen, wieso gerade in Österreich rechtspopulistische bis extrem rechte Parteien an der 30-Prozent-Grenze entlangschrammen, also auf ein Potenzial von etwa einem Drittel der Wähler kommen. Aber die Antwort auf diese Frage kann nicht erst bei 1938 ansetzen und auch nicht bei 1934 oder 1918 - jede Zäsur erklärt sich aus Vorherigem, und irgendwann ist man bei der Gegenreformation oder gleich bei Rudolf von Habsburg gegen Ottokar Pwolfremysl angelangt … Geschichte erklärt in diesem Sinn nichts - oder nur das, was jemand aus ihr herausdestillieren möchte.

Jedenfalls wird, so lange es keine nennenswerte rechtsliberale Kraft oder aber ein Mehrheitswahlrecht gibt, die FPÖ ein politischer Faktor in diesem Lande bleiben. Und so wie Alfred Gusenbauer Strache aus seinen "Jugendsünden keinen Strick drehen" mochte, so wird Strache auch weiterhin tatsächliche oder vermeintliche Neonazis bloß als "Lausbuben an den Ohren ziehen" wollen.

Warum aber verhalten sich diese "Lausbuben" so? Warum gehen ihre "Streiche", aber auch generell Tabubrüche und Protest bei uns tendenziell nach rechts, nicht nach links? Das hat zum einen mit einer tief greifenden Identitätskrise der Linken zu tun. Die Vernünftigen von ihnen - Roten wie Grünen - sind längst in der Mitte, also im "System" angekommen, der Rest gefällt sich in Klassenkampfrhetorik von gestern, wenn nicht gar einer Art Ostblock-Nostalgie wie die "Linke" in Deutschland. Daran glauben Jugendliche offenbar noch weniger als der Schnitt der Bevölkerung. Zum anderen aber gilt, dass - zumal in den "Täterländern" Österreich und Deutschland - der rechte Tabubruch zweifellos ungleich größer ist. Darüber hinaus ist der Holocaust auch global gesehen das vielleicht letzte umfassende Tabu, wie etwa die Proteste gegen die Mohammed-Karikaturen gezeigt haben: Jene zielten nicht auf Mose oder die Tora, sondern auf die Shoah …

"Antifaschistische Haltung"

Dem entkommt man auch durch die nun wieder geforderte intensivierte Aufklärung und Bildung nicht: Gerade wenn die Schüler - zu Recht - von der Singularität des NS-Terrors in seiner Verbindung von Massenmord, Rassenwahn und "totalem Krieg" hören, wissen sie, dass singuläre Aufmerksamkeit bekommt, wer da wider den Stachel löckt.

Dieses und andere Dilemmata gälte es zur Kenntnis zu nehmen, zusätzlich bräuchten wir mehr an unaufgeregten aber klaren Worten wie etwa jene des Grazer Bischofs Egon Kapellari, der darauf hinwies, dass "Europa als sogenanntes, Abendland' sich nicht in Christenhand befindet oder je befinden könnte".

Was uns indes nicht weiterhilft, ist die notorische Gesinnungs- und Erregungsprosa: Wenn die Roten Falken sich nun ob der Tatsache, dass einer der Ebenseer Tatverdächtigen aus ihrer Organisation kommt, entsetzt zeigen und treuherzig auf ihre "antifaschistische Haltung" verweisen, so ahnt man, dass noch viele einschlägige Debatten in Österreich nach dem immer gleichen Muster ablaufen werden.

* rudolf.mitloehner@furche.at

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