Aber die Traurigkeit läßt sich nicht wegzaubern ...

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Neue, weniger neue und gar nicht neue, aber leider nach wie vor aktuelle Erzählungen von Rafik Schami gegen Vorurteil und Unverständnis: "Die Sehnsucht fährt Schwarz".

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Neue, weniger neue und gar nicht neue, aber leider nach wie vor aktuelle Erzählungen von Rafik Schami gegen Vorurteil und Unverständnis: "Die Sehnsucht fährt Schwarz".

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In einer Zeit, in der Fremde in den reichen Ländern der Erde nicht mehr als Menschen, sondern nur noch als Quote zählen, sind Bücher wie jene von Rafik Schami so etwas wie ein Vitaminpräparat in einer Grippeepidemie, ein kleiner Lehrgang, an dessen Ende die Opfer der Vorurteile ein Gesicht bekommen. Über allem geht jedoch auch ein Lächeln nicht unter und Verständnis greift um sich wie ein Maiglöckchengeruch, auch wenn bei den Taten mancher Gedemütigter ein anderer Geruch zurückbleibt.

So zum Beispiel in der Geschichte vom Türken Mehmet, der mit seiner deutschen Freundin bei deren Eltern zufällig in einen Diavortrag für befreundete Ehepaare über die Türkei hineinplatzt und feststellen muß, daß er überhaupt nicht erwünscht ist und geschnitten wird: "Mehmet geht hinaus, pinkelt durch den Briefschlitz von Heinz' Haustür, atmet erleichtert auf und beschließt für sein Leben, nie eine Frau zur Freundin zu nehmen, die sich seiner schämt und mit ihm am ersten Abend Dias anschauen will."

Wir essen gerne fremde Gerichte, wir fahren gerne in die Fremde und nicht wenige von uns lieben das Flair des Basars, aber vor der Haustüre soll das Fremde nicht auftauchen. Rafik Schami wandert in seinen Erzählungen nicht in fremde Länder, die Reisen beginnen vor der deutschen Haustüre und die Reisenden sind Türken, Italiener, Jugoslawen und Araber. Mitreisende, sprich auch Mitbürger sind die Besitzer der Mehrheitssprache, und die sind nicht immer gut zu sprechen auf diese Nachbarn. Eine Botschaft ist vielen Geschichten gemeinsam: die vom mangelnden Wissen um die fremden Nachbarn. In der Erzählung "Andalusien liegt vor der Tür" wissen die Bewohner nichts über Juan, der eines Tages tot aus dem Haus getragen wird, obwohl er zehn Jahre dort gelebt hat. Juan hat versucht, die Entfernung von der Heimat auf seine Art und Weise zu bewältigen, er baute eine Maschine, die, von seinen Gedanken und Sehnsüchten gelenkt, ihn in seine Heimat nach Granada bringen sollte. Die Wahrheiten über die Daheimgebliebenen waren jedoch bitter und ein Streit mit seinem Freund vernichtet die Maschine und kostet auch ihren Erfinder das Leben.

Die Reisen enden selten mit einer Ankunft, wie im Fall des Gammlers, der sich selbst Mschiha nennt, beim Einreiseschalter den Namen seines Vaters mit Gott/Yusef angibt und die ihn verhörenden Beamten mit seiner Antwort zur Verzweiflung bringt, daß er keine Arbeitsstelle suche: "Ich habe als Sohn Gottes alle Hände voll zu tun." Zur Verhinderung dieser Niederkunft mit anschließendem längerfristigem Aufenthalt bildet sich eine ungewöhnliche Koalition, an der auch Geistliche beteiligt sind, die um ihren Arbeitsplatz fürchten. Und so endet Mschiha als Ali in Recklinghausen, wo er als Bergwerkskumpel sein Brot verdient und niemand weiß, "wo bei diesem Verrückten die Lüge anfängt und die Wahrheit aufhört."

Wenn eine Ankunft der Fremden möglich wurde, bedeutet das nachfolgende Leben ein Leben in der Fremde. Die Traurigkeit, die sich dann einstellt, läßt sich nicht wegzaubern: "Jahre sind vergangen, seitdem ich mein Dorf verlassen habe. Fünf Jahre wollte ich hierbleiben und nichts wie zurück. Erst habe ich die Monate, dann die Tage gezählt, aber seit Jahren zähle ich nicht mehr. Die Zeit hat mich besiegt." Wer sich nicht besiegen lassen will, dem bleibt nur ein Leben mit einer gepanzerten Haut und Lachen über schlechte Witze auf Kosten anderer.

Der klare Blick des Autors blendet die Konflikte unter den fremden Fremden nicht aus und beugt so einer Idealisierung vor. Damit erweist Rafik Schami allen, die sich um Verständnis bemühen, einen Dienst, der damals wie heute notwendig ist, denn etliche der Geschichten in diesem Band sind bereits einige Jahre alt, einige stammen aus aus dem Jahr 1980. Schami erläutert dies im Nachwort bescheiden, aber überzeugend: "Doch dann fiel mir siedendheiß ein, daß gute Bücher nicht nur dann nicht altern, wenn sie eine gute Qualität haben, sondern auch, wenn der Zustand von Dauer bleibt, den sie beschreiben. Und darauf kann kein vernünftiger Mensch stolz sein, daß nicht nur in Deutschland, sondern auf unserer Erde an der Beziehung zwischen Einheimischen und Fremden nichts besser wurde." Also ein weiterhin aktuelles "Reisebuch" zu Nachbarn - und zu den Fremden an der Ecke.

DIE SEHNSUCHT FÄHRT SCHWARZ Erzählungen von Rafik Schami Illustriert von Root Leeb Hanser Verlag, München 1997 222 Seiten, geb., öS 248,

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