Abhängigkeit, die im Körper tickt

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Oksana Sabuschko hat literarische "Feldstudien über ukrainischen Sex" betrieben und damit einen Roman ´voller scharfer Erkenntnisse und mit suggestiver Sprache geschrieben.

Nein, das soll mir mal einer erklären: warum zum Teufel wird man als Frau geboren (und noch dazu in der Ukraine!) mit dieser verdammten Abhängigkeit, die dir in den Körper gelegt ist wie eine tickende Bombe ..." Die langen und in einem Zitat kaum wiederzugebenden Sätze von Oksana Sabuschko fördern in vielen Mäandern die Entstehung dieser Abhängigkeit und des Gefühls "eines lebenslangen töchterlichen Gehorsams" zutage. Der dichte Sprachstrom wird von einer Frau in Gang gesetzt, die einiges an biographischen Details mit der Autorin gemeinsam hat: einer ukrainischen Schriftstellerin mit einem Amerika-Stipendium.

Aber schon der Wechsel zwischen Selbstgespräch und Erzählung, der unmittelbare Übergang zwischen dem Du des inneren Monologs und der distanzierten Außensicht unterbricht die autobiographische Lesart. Dazwischen mutiert der Roman in die Vorlesung an einer amerikanischen Universität. Der geniale Titel sagt nicht nur, dass hier viel und in deftiger Direktheit von Sex die Rede ist; "Feldforschung" verweist auf die Ethnologie - aus amerikanischer Perspektive sind die Ukrainer ein wildes, unbekanntes Volk.

Keine Masochistin

Die private Geschichte, deren Umrisse aus den Erinnerungspartikeln langsam Konturen annehmen, kreist um die Liebe der Erzählerin zu ihrem Mann Mykola, einem ukrainischen Bildhauer und Maler. "Dieser Mann wird dir weh tun" - das war ihr klar, als diese Liebe anfing, und es hat sich bewahrheitet: physisch wie psychisch, beim Sex und bei den vergeblichen Gesprächsversuchen. Er reagiert oft "wie einer dieser pseudomännlichen Hollywood-Spermatosaurier". Natürlich stellt sich die Frage, warum sie das alles mitgemacht hat, und je tiefer die Erinnerungen kreisen, umso erschreckender wird ihr Verhalten verständlich: der Vater, in der kommunistischen Diktatur drangsaliert und verhaftet, ließ sie als Kind den Rock hochheben, um zu sehen, "wie du dich entwickelst"; die Mutter, ebenfalls vom Regime gebrochen, war apathisch und ungreifbar.

"Sklaven sollen keine Kinder zeugen", lautet ein gegen Schluss refrainartig wiederkehrender Satz, und Sklaverei bedeutet die Infizierung mit der Angst. Die große Stärke des Romans liegt aber darin, wie nahe liegende Erklärungsmuster zurückgewiesen und unterlaufen werden. Schon sehr bald formuliert die Erzählerin: "Nein, ich war keine Masochistin, ich war, verdammt noch mal, eine normale Frau, deren Körper sich freute, wenn er einem anderen Freude bereitete, was soll man sagen - ich war einfach ein Klasseweib: eine ,süße djewotschka, ein süßes Mädl', eine ,fantastische Frau', eine ,stud woman' ..." Sie wehrt sich gegen einen "konzeptuellen Zugang" - sowohl den des Feminismus als auch den der Psychoanalyse - und beharrt auf ihrer Vision der Liebe, ohne die für sie das Leben tot und die Kunst unmöglich ist. Da kommt an einigen Stellen durchaus Pathos ins Spiel, doch die großen Worte stehen in einer so kontrastreichen Spannung zum schnoddrigen Ton, mit dem hier erzählt wird, dass sie nie peinlich werden oder zur Proklamation verkommen. Nicht einmal dort, wo gegen Ende eine mystisch grundierte Religiosität durchscheint.

Emigrantenfossil

Die Ukrainerin in Amerika erweist sich als gute Position für genaue Beobachtungen in beide Richtungen: Sie nimmt die amerikanische Lebensart, bei der sich alles auf handliche "problems" verkleinert, für die es natürlich immer Lösungen geben muss, ebenso aufs Korn wie den russischen Fatalismus, der auch die ukrainische Mentalität okkupiert. Mit wenigen Strichen zeichnet sie ein Emigrantenfossil: Alex, den "serbischen Dichter", der sich weigert, den Zerfall Jugoslawiens zur Kenntnis zu nehmen. Aus der Distanz spricht sie von der Ukraine als "einem Land von Beamten in hängenden Hosen und schuppenbedeckten Sakkos, einem Land von verfetteten Schriftstellern, die nur in einer Sprache lesen können und nicht einmal das besonders häufig tun, einem Land von käferartigen Geschäftsleuten mit Adleraugen und den Gewohnheiten ehemaliger Komsomolzen-Sekretäre". Und verulkt gleichzeitig die Ahnungslosigkeit amerikanischer und "westlicher" Intellektueller im Allgemeinen. Sie will sich nicht lossagen von ihrer Sprache und ihrem Land - der Toten wegen, die dafür gestorben sind. Und die "tödliche Schwermut", die Tragik und die Passion machen auch ihre Lebenswelt aus.

Scharfe Erkenntnisse

So ist ein Roman voller Bilder, Beobachtungen und scharfer Erkenntnisse entstanden, dessen genau kalkulierte Assoziationen und atemlose Langsätze eine dichte Intensität schaffen. Liest man ihn als Mann aus dem Ex-Westen, ist einem die identifikatorische Lektüre naturgemäß versperrt. Umso deutlicher wird die suggestive Kraft dieser Prosa (von den eingestreuten Gedichten der Autorin lässt sich das leider nicht sagen!), die vom deftigen Slang bis zu den großen Worten über alle Register verfügt. Das ist auch das Verdienst der Übersetzung, die ihren eigenen Jargon kreieren musste. DAJA ist ein Kollektiv von vier Übersetzerinnen, und die hat es wohl gebraucht, waren doch auch zahlreiche eingestreute Zitate aus der ukrainischen Poesie zu bewältigen.

Weil dieser Roman aus der Ukraine kommt, haben wir zehn Jahre gebraucht, ihn zu entdecken. Höchste Zeit also, ihn endlich zu lesen - nicht um pflichtschuldig etwas nachzuholen, sondern um einzutauchen in die Weltwahrnehmung einer großen Prosa.

FELDSTUDIEN ÜBER UKRAINISCHEN SEX

Roman von Oksana Sabuschko

Aus dem Ukrainischen von DAJA

Literaturverlag Droschl, Graz 2006

173 Seiten, geb., e 19,60

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