Abhängigkeit von Macht, Geld, Medien

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In einer stringenten Inszenierung des ehemaligen Theaterleiters Helmut Wiesner zeigen die Festspiele Reichenau „Ein Volksfeind“ nach Henrik Ibsen, in der Hauptrolle Miguel Herz-Kestranek. Der auf Österreichs Bühnen kaum zu sehende Schauspieler hat auch selbst eine verknappte, aktualisierte Fassung erstellt.

Mit Ferienbeginn starten auch die Reichenauer Festspiele, heuer erstmals mit Henrik Ibsen.

Ibsen war u. a. Vorbild für den Reichenauer „Säulenheiligen“ Arthur Schnitzler und ist damit auch als Nichtösterreicher ein legitimer Dramatiker für das Reichenauer Programm, das mit seinem „Volksfeind“ die heurigen Festspiele eröffnet. Angesiedelt in einem Kurort liegen die Assoziationen zu Reichenau selbst nahe. Der auf Österreichs Bühnen kaum zu sehende Schauspieler Miguel Herz-Kestranek ist hier nicht nur in der Titelrolle zu sehen, sondern hat auch selbst eine aktualisierte Fassung erstellt.

Schablone für politische Hetze

Pragmatisch reduziert er das personenstarke Stück auf die wesentlichen Figuren und lässt die – üblicherweise auftretende Masse – allein als akustisches Stimmengewirr einspielen. Selbst politisch aktiv setzt Herz-Kestranek den Schwerpunkt auf die Frage nach der Vermittlung von Wahrheit. Damit ist der 1882 in Südtirol verfasste „Volksfeind“ in die Gegenwart geholt und dient als Schablone für politische Hetze und die Etablierung von Sündenböcken.

Ibsen/Herz-Kestranek zeigen anhand der vereitelten Aufdeckung rund um das mit Mikroben verschmutzte Wasser, welches als wundersame Heilquelle verkauft werden soll, die Abhängigkeiten von Macht, Geld und Medien. Ökologie geht auf Kosten von Ökonomie.

In der stringenten Inszenierung des ehemaligen Theaterleiters Helmut Wiesner (der bis 2005 die „Gruppe 80“ leitete) ist Herz-Kestraneks Badearzt als Freigeist und Reformer zu sehen. Im langen Leinenmantel, mit einer schwarzen Pullmann-Kappe (Kostüme: Erika Navas) sieht er wie ein bildender Künstler um die Jahrhundertwende aus; seine Tochter, die Lehrerin Petra (Elisa Seydel) ist sein weibliches Pendant. (Inmitten des österreichischen Ensembles wirkt Seydels starkes Binnendeutsch allerdings daneben.) Am Ende wird Petra gekündigt, nicht nur weil sie die Tochter des „Volksfeindes“ ist, sondern weil auch sie selbst gar zu reformerisches Gedankengut verbreitet.

Herz-Kestraneks Antagonist ist sein dogmatischer, machtversessener Bruder Peter Stockmann, Bürgermeister des Kurorts. Peter Matic, der alljährliche Star in Reichenau, ansonsten in Rollen der moralisch Integeren besetzt, spielt hier einmal den macht- und habgierigen Populisten. Trotz übelster Charakterzüge möchte man Matics Bürgermeister immer noch gute Absichten zuschreiben, so gradlinig spielt er den Peter Stockmann. Im strengen, schwarzen Anzug und mit Melone sieht er vielmehr wie ein evangelischer Pfarrer aus. Auch seinem asketischen Lebensstil billigt man eher positive als geizige Züge zu. Diese unscharfe Grenzziehung von Gut und Böse zeigt die Ambivalenzen innerhalb der Figuren: Damit ist Herz-Kestraneks Arzt auch als elitärer, vereinzelter Fanatiker zu interpretieren.

In diese Fassung spielt auch die Frage der Geschlechterverhältnisse (wenn auch etwas aufgesetzt) hinein: die zu Beginn der traditionellen Rolle der Ehefrau verhaftete Katrine Stockmann (Elisabeth Augustin) – sie in klarem Gegensatz zu Mann und Tochter in brav-braunem Rock und Strickjacke – trägt ihrem Mann übersäuert wirkend Zigarren und Likör nach, am Ende aber distanziert sie sich von der Rolle der dienenden Hausfrau und schlägt sich kämpferisch an die Seite ihres Mannes.

Die Bühne von Intendanten Peter Loidolt fügt sich in die Landschaft der Umgebung. Am Fuß des Gebirges, nahe der Schwarza, im Kurort Reichenau steht auch das Theater. Die in grellen Farben gestaltete Bühne spiegelt also den wirklichen Rahmen. Im Hintergrund sind einfach und flächig zwei massive Berge gemalt, zu Beginn in Scharlachrot, dann wechseln die Farben und die Linien, einmal in Kloakenbraun, dann in Hoffnungsgrün oder manchmal zu kaltem Bürokratenblau. Die schnellen Wechsel der Farben und Stimmungen symbolisieren die Wetterwendigkeit und den Opportunismus der Bürger in Ibsens Kurort.

Sensible musikalische Unterstützung

Peter Kaizar hat sensibel und klug die Bühne musikalisch unterstützt: Am Anfang sind zarte Klaviertöne zu hören, Reformen und neues Denken sollen die Gesellschaft im Kurort verändern, als sich das Blatt gegen Stockmann und die Aufklärung wendet, lässt Kaizar bedrohliches Brummen anklingen und schafft eine unheimliche Stimmung der Feindseligkeit und Aggression. Kaizars atmosphärisch starke und subtile musikalische Unterstützung hätte durchaus ausgeprägter eingesetzt sein können, vor allem auch, um dem bisweilen pathetischen Spielstil Miguel Herz-Kestraneks entgegenzuwirken.

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