Abkehr von der Tradition

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Für einige Momente ist es still auf dem weiten Petersplatz in Rom. In atemloser Spannung lauscht die Menge, wenn der oberste Kardinaldiakon seinem "Habemus papam!" (Wir haben einen Papst) den Namen des neuen Bischofs der Ewigen Stadt und obersten Hirten der Universalkirche hinzufügt.

Vielleicht sind solche Tage, wie es sie zuletzt 1978 gegeben hat, schon wieder nahe, vielleicht sind sie noch fern. Spätestens seit Johannes Paul II. im Februar 1996 eine neue Ordnung der Papstwahl erlassen hat, wird jedenfalls offen über seine Nachfolge spekuliert. Die Frage nach der Person des nächsten Papstes kann natürlich niemand mit Sicherheit beantworten. Leichter lässt sich eine andere Frage beantworten: Wie kam und kommt jemand in dieses Amt, das zweifellos mit ungeheurer Belastung und Verantwortung verbunden ist?

Es ist durchaus denkbar, dass die ersten Bischöfe von Rom ihre Nachfolger selbst bestimmten. Vielleicht war es bis zu einem gewissen Grad eine Überlebensfrage für die junge Kirche, in Zeiten der Verfolgung immer gleich einen Ersatzmann für den Bischof parat zu haben. Bald war aber auch in Rom wie damals in allen Diözesen die demokratische Wahl des Bischofs durch Klerus und Volk üblich. Sie funktionierte gut, solange die Gemeinde relativ klein und geschlossen war. Später freilich bildeten sich Parteien, und je mehr die Kirche an Macht zunahm, umso heftiger wurde um das Petrusamt gerungen. Neben unterschiedlich gesinnten Gruppen innerhalb der Kirche versuchten auch politische Machthaber mehr oder minder kräftig mitzumischen.

Im 6. Jahrhundert wurde aus aktuellem Anlass klargestellt, dass sich kein Bischof, auch nicht der von Rom, seinen Nachfolger aussuchen dürfe. Die Laien verloren immer mehr an Einfluss, zeitweise wurde das Papsttum zum Spielball zwischen römischen Adelsfamilien. Auch deutsche Könige und Kaiser griffen ein, bis man im Jahr 1059 das Recht zur Papstwahl auf den kleinen Kreis der Kardinalbischöfe - der Bischöfe der Rom umgebenden "suburbikaren" Diözesen - beschränkte. Damit war aber noch immer nicht Ruhe, weil die kaiserliche Partei und der übrige höhere Klerus, der die Kardinalpriester und Kardinaldiakone stellte, ihren Einfluss nicht verlieren wollten. Gegenpäpste waren an der Tagesordnung. Einen Schlusspunkt setzte 1179 Alexander III. auf dem dritten Laterankonzil: Alle Mitglieder der drei Ordnungen der Kardinäle erhalten offiziell das gleiche Stimmrecht, die gültige Wahl eines Kandidaten bedarf einer Zwei-Drittel-Mehrheit.

Ein Mittel, um die Wahlvorgänge zu beschleunigen, wurde vielleicht erstmals schon 1198, spätestens jedoch im 13. Jahrhundert angewendet und 1274 als offizielles Verfahren von Papst Gregor X. rechtlich fixiert: das Konklave. "Cum clave", also "mit dem Schlüssel" von der Außenwelt abgesperrt, sollten die Kardinäle rasch zu einer Entscheidung finden, notfalls auch unter Reduzierung der Nahrung auf Wasser und Brot. Ganz streng wurden diese Bestimmungen aber nur kurze Zeit umgesetzt.

Die wesentlichen Regeln einer Papstwahl blieben in den folgenden Jahrhunderten gleich, obwohl natürlich trotzdem nicht immer alles mit rechten Dingen zuging: Manche Päpste verdankten ihr Amt der Bestechung von Wählern, andere weltlichen Mächten, die ihr Veto gegen gefährliche Gegenkandidaten eingelegt hatten. Durch Jahrhunderte maßten sich nämlich europäische Großmächte das "Ius exclusivae" an und erklärten damit ihnen nicht genehme Papstanwärter für unwählbar. Noch 1903 machte Österreich davon Gebrauch, worauf der neue Papst, Pius X., solche Eingriffe strengstens untersagte.

Stets galt, dass theoretisch jeder Katholik zum Papst gewählt werden kann, aufgrund der kirchenrechtlichen Bedingungen für das Bischofsamt freilich nur ein unverheirateter Mann. In der Praxis wurden seit dem 1378 gewählten Urban VI., der das Große Abendländische Schisma auslöste, nur mehr Angehörige des Kardinalskollegiums gewählt. Nie Kardinal war auch Cölestin V., jener einfache Eremit, der 1294 als Papst zurücktrat. Auch heute könnte ein Papst theoretisch zurücktreten. Pius XII. soll seinen Rücktritt für den Fall einer Verhaftung durch die Nazis vorbereitet haben. Gerüchte, Johannes Paul II. habe für den Fall längerer Amtsbehinderung seinen Rücktritt vorbereitet, gelten als eher unglaubwürdig.

Die Absetzung eines amtsbehinderten Papstes ist nach heutigem Kirchenrecht nicht möglich. Zu einer Papstwahl kann es nur durch Tod oder Amtsverzicht des Bischofs von Rom kommen, dann steht der Stuhl Petri offiziell leer - eine Sedisvakanz ist eingetreten. Alle Kardinäle, die zu diesem Termin noch nicht das 80. Lebensjahr vollendet haben, sind zur Wahl zugelassen, die zwischen dem 15. und 20. darauf folgenden Tag beginnen muss. Die Altersklausel hat 1970 Papst Paul VI. zum Unmut vieler älterer Würdenträger eingeführt. Er hat auch die Zahl der wahlberechtigten Kardinäle auf 120 beschränkt, eine nur noch theoretisch gültige Grenze, denn Johannes Paul II. hat sie durch die Zahl seiner Ernennungen deutlich überschritten.

Vor allem in zwei Punkten hat der heutige Papst in seiner Wahlordnung von 1996 neue Weichen gestellt. Die Wähler schreiten nicht mehr aus kleinen Zellen im Apostolischen Palast zur Wahl in die Sixtinische Kapelle, sondern aus dem modern ausgestatteten Hospiz Santa Marta jenseits des Petersdoms, was die erwünschte Abschottung gegenüber der Außenwelt erschwert. Und nach 33 erfolglosen Wahlgängen (vier pro Tag sind möglich) könnte eine einfache Mehrheit bestimmen, dass ab sofort nicht mehr zwei Drittel, sondern nur mehr eine absolute Mehrheit der Stimmen zur gültigen Papstwahl erforderlich ist.

Diese Abkehr von der Tradition stößt auch in hohen Kirchenkreisen auf Kritik. Zwar dürfte sie garantieren, dass eine Papstwahl nicht endlos lang dauert - seit 1846 war vier Tage das Maximum -, anderseits birgt sie die Gefahr, dass nicht mehr um Kompromisse gerungen wird. Wer auch immer Papst wird, hat es vermutlich leichter, wenn er eine möglichst große Mehrheit hinter sich weiß.

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