Abrechnung mit der Kunst

19451960198020002020

Das Schauspielhaus Graz bringt Thomas Bernhards Roman "Holzfällen. Eine Erregung" in der Bearbeitung von Krystian Lupa auf die Bühne: virtuos, melancholisch, eindrucksvoll.

19451960198020002020

Das Schauspielhaus Graz bringt Thomas Bernhards Roman "Holzfällen. Eine Erregung" in der Bearbeitung von Krystian Lupa auf die Bühne: virtuos, melancholisch, eindrucksvoll.

Werbung
Werbung
Werbung

Der Thomas-Bernhard-Spuk ist auch 25 Jahre nach seinem Tod nicht vorbei: Immer noch geistert der Autor in Österreich als Wiedergänger und Kultfigur umher. Auch wem sein Werk nur wenig bekannt ist, kennt dessen Kernsatz: "Ich hasse die Menschen, aber sie sind gleichzeitig mein einziger Lebenszweck", kennt ihn als Skandalautor, monologisierenden Außenseiter, kränklichen Egozentriker, als Frauen- und Menschenfeind und als glücklosen Beschimpfungsvirtuosen. Dieser Bernhard hat im Schatten seiner literarischen Figuren überlebt, die wie er mit Gelächter gegen Krankheit und Tod, mit Sprachperfektion gegen Verfall und Verwesung auffahren. Sein vielstimmiger Heldenchor von Querulanten, Weltverbesserern und Wahnwitzigen erhebt sich immer wieder aufs neue, zeternd, lauschend gegen ein endgültiges Schweigen. Immer aber, hört man genau hin - und das ist Bernhards Achillesferse -, verwandeln seine Texte Verwünschungen und Anklagen in eine grandios tröstende, manchmal auch rettende Sprachmusik.

Liebe, Hellsicht, vielleicht auch Wahn

Am stärksten ertönt Bernhards Wortorgel in seinem Roman "Holzfällen. Eine Erregung", vor allem auf den letzten dreieinhalb Seiten. Ein einziger Satz, 95 Zeilen lang, steht dort für eine der kühnsten Wendungen in Bernhards Werk. Der Erzähler, soeben einem katastrophalen Abendessen bei ehemaligen Freunden entkommen, rennt panisch durch die Straßen Wiens. Und die Wörter jagen dahin, straucheln, stürzen und fallen in sich zusammen: "und daß diese Menschen die ich immer gehaßt habe und die ich hasse und die ich immer hassen werde, doch die besten Menschen sind, daß ich sie hasse, aber daß sie rührend sind, daß ich Wien hasse und daß es doch rührend ist, daß ich diese Menschen verfluche und doch lieben muß ..." So rennt der Dichter durch Wien, beinahe wie Lenz durchs Gebirge, und spürt plötzlich die Liebe, vielleicht ist es Hellsicht, vielleicht aber auch Wahn.

Von dieser Hellsicht, von diesem Wahn ist auch Krystian Lupas Romandramatisierung, die vier Stunden lang über die Bühne des Grazer Schauspielhaus (beinahe schon tänzelnd) geistert. "Holzfällen" ist eine großräumige Abrechnung mit der Kunst und dem Künstlertum in Wien, in dessen Zentrum, an der Lichtung kein Hochsitz, sondern der berühmte Ohrensessel steht, in dem der Dichter Thomas (grandios wehmütig Johannes Silberschneider) hockt. Er späht auf ein "künstlerisches Abendessen", ein "durch und durch künstlerisches" sogar, zu dem das Ehepaar Auersperg lud, er, der Komponist (versoffen depressiv Franz Xaver Zach) und sie, die Sängerin (scheinheilig verlebt Steffi Krautz), die es zu nichts brachten.

Außergewöhnlicher Theaterabend

Weitere "in Wien sitzen gebliebene" Künstler gesellen sich dazu. Anlass ist das Begräbnis der gemeinsamen Freundin Joana (reizend filigran Verena Lercher), die sich das Leben genommen hatte. Sie alle warten auf den Ehrengast des Abends, "den Burgschauspieler"(hohl und eitel Stefan Suske), der aber lässt auf sich warten. Zeit genug also für den Dichter Thomas, einen Wortschuss nach dem anderen abzugeben. Leise murmelnd nimmt er seine Sprach-Jagd auf, auch die anderen sprechen gedämpft (die Schauspieler tragen Microports). Alles leere Hülsen, die einprasseln auf eine sehr schöne Bühnenlichtung: Beinahe malerisch hat Krystian Lupa den Raum gestaltet. Verschlierte Glaswände, rot glühende Portale, einsames Wohnungsinventar und nach der Pause eine Abendmahltafel, die mit "dem Burgschauspieler" in der Mitte und Thomas rechts außen zum bitter melancholischen Gedächtnisfest wird.

Um das Dramatisieren über die Stunden dann doch ein wenig abwechslungsreicher werden zu lassen, hat Krystian Lupa Joanas Begräbnis, das anschließende Totenmahl und andere Episoden im Hintergrund als Projektion eingespielt. Was nicht unbedingt den Abend auflockert -das gelingt vor allem der Toten Joana, wenn sie im zarten Sommerkleid durch Bernhards Seelenhochwald als Wiedergängerin streift. Der polnische Regisseur hat seinen Bernhard da wirklich am wunden Punkt erwischt und so einen außergewöhnlichen Theaterabend geschaffen.

Holzfällen

Schauspielhaus Graz 29. Jänner, 6., 28. Februar, 1., 11., 29. März

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung