Abrechnung mit Salzburg

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Furche Nr. 38/20. September 1975

Ein ungezeichneter Bericht zu Thomas Bernhards Buch "Die Ursache":

Thomas Bernhard war für Salzburgs Festspiele längst mehr als nur der große Renommiername: Hier wurden seine Stücke "Der Ignorant und der Wahnsinnige" und "Die Macht der Gewohnheit" uraufgeführt; und er hatte damit für dieses Festival in seiner Auseinandersetzung mit dem modernen Theater weit mehr geleistet, als man dort heute anzunehmen bereit ist. Nun hatte er sein drittes "Salzburger" Stück, "Die Berühmten", fertig in der Lade. [...]

Daß darin manche Salzburger vorkommen, und zwar vor allem im Negativen, das beunruhigte freilich Salzburgs Festspielpräsident Josef Kaut [...] Kaut wollte diese Abrechnung mit Salzburg erst einmal sehen, ehe er das Stück zur Uraufführung annahm; Bernhard aber sah darin einen Vertrauensbruch, schrieb dem Präsidenten einen Brief, in dem er ankündigte: "Ich brauche die Festspiele nicht [...] Eine Zusammenarbeit mit mir auf dem Theater ist nur als eine hundertprozentige und auf einer ganz klaren Vertrauensbasis möglich; das ist in Salzburg nicht mehr gegeben. Sie haben einer Zusammenarbeit durch ihre Schwäche und tatsächliche Unkorrektheit, wie ich jetzt weiß, die Grundlage entzogen und in Salzburg wird von mir nichts mehr aufgeführt [...]"

Also schrieb Bernhard, überließ den Wortlaut dieses Briefs, dessen Veröffentlichung in einer österreichischen Zeitung von Kaut mit Verfolgung durch Zeitungsbeschlagnahme bedroht wurde, der Wochenzeitung "Die Zeit" und reichte sein Stück "Die Berühmten weiter nach Stuttgart, wo Theaterchef Claus Peymann dieser Tage mit Bernhard über eine Uraufführung verhandelt.

Doch schon fühlen sich die Salz-burg er erneut verunsichert. Denn [...] im Salzburger Residenz-Verlag erscheint in den nächsten Tagen Bernhards neues Buch "Die Ursache"[...]

"Der Bericht Die Ursache' macht klar, daß Bernhard dort, wo er verwundet worden ist, wo er Narben hat und die Splitter eigener Erfahrung [...] in ihm brennen, am zupackendsten schreibt", analysiert Ernst Wendt. ,,Der Haß, der Schmerz, die offene Wunde machen ihn nicht blind, sondern sehend: Was als Schrei oder Wutanfall oder verbale Verhöhnung oder Schimpfkanonade anzufangen scheint, beruhigt' sich in den ihm eigentümlichen Satzverklammerungen und Sprachtänzen und Worterfindungen zur allmählichen Genauigkeit eines großen realistischen Schriftstellers. Bernhard kreist mit Wörtern ein, was er beschreiben will, er umtanzt es mit seinen Satzschlangen wie ein Medizinmann, und aus dem Rhythmus schälen sich Wortfelder heraus und ein musikalisches Klima, die zusammen im Leser ein Gefühl für den beschriebenen Gegenstand evozieren, ein Gefühl gleicher Verletzlichkeit, Erinnerungserregung, Gemütsverstörung." - Unter diesem Aspekt muß man dieses neue Buch Bernhards sehen und verstehen, nicht als Salzburg-Pamphlet, nicht als Orgie der Empörung, nicht als Abrechnung und Racheakt.

Nächste Woche: György Sebestyén, Drama von Entebbe 1976.

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