Abrüsten für die Ratingagenturen

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Der Ökonom und Kulturwissenschafter Walter Ötsch hat die Ursachen der Finanz- und Wirtschaftskrise analysiert. Seine Schlussfolgerung: Die Ratingagenturen sollten gesetzlich entflochten werden, Bewertungen seien öffentliche Aufgabe.

Anhaltender Applaus als Zeichen der Zustimmung: Den erhielt Walter Ötsch (Bild), Ökonom und Kulturwissenschafter an der Johannes Keppler Universität Linz vorige Woche für seinen Vortrag vor dem 10. Finance & Ethics Kongress in den Räumen der Kontrollbank in Wien. Er fordert, die Macht der Ratingagenturen zu begrenzen und Bewertungen als öffentliche Aufgabe wahrzunehmen.

Die Furche: Wieso sind die Ratingagenturen in unserem Wirtschaftssystem so rasch so bedeutsam geworden?

Walter Ötsch: In der öffentlichen Diskussion ist die Bedeutsamkeit der Ratingagenturen erst mit der Staatsschuldenkrise im Euro-Raum bekannt und klar geworden. Diese ist langsam gewachsen, beginnend in den USA im 19. Jahrhundert. In den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts kam es zu zwei wesentlichen Entwicklungen: In den USA wurden offizielle Agenturen geschaffen, und die großen Ratingagenturen haben auf die Finanzierung durch Emittenten, die sie bewerten, umgestellt.

Die Furche: Das ist deren Geschäftsmodell.

Ötsch: Personen und Unternehmen, die Wertpapiere ausgeben, holen sich die Ratingagenturen. Diese bewerten die Papiere und werden von den Emittenten dafür bezahlt. Weil diese Funktion gesetzlich festgeschrieben ist, haben die Ratingagenturen eine Gouvernance-, eine Regulierungsfunktion. Das ist ihre zentrale Macht. Sie vergeben, mit Lehrern vergleichbar, permanent Noten. Diese Noten sind dann entscheidend für Kapitalströme, für Zugänge zu Krediten, für die Bewertung von Banken. Zugleich sind diese Ratingagenturen private Firmen und sie sind im Besitz der größten und mächtigsten Finanzinstitutionen der Welt.

Die Furche: Aber der Umstand, dass die US-Wirtschaft stark über Aktienmärkte finanziert wird, hat dies beschleunigt.

Ötsch: Das Wachstum der Ratingagenturen seit den Siebzigerjahren ist verbunden mit einer Transformation des Wirtschaftssystems hin zum Finanzkapitalismus. Die Finanzmärkte haben eine Bedeutung bekommen, die sie zuvor nicht hatten. Sie waren bis in die Siebziger stark reguliert, aber dann kam der Umschwung im politischen und gesellschaftlichen Denken. Man hat gesagt, Deregulierung sei gut und werde den Wohlstand stärken. Tatsächlich ist die Deregulierung die Ideologie für das Wachstum der Finanzmärkte. Man überließ Bewertungen und Regulierungen einigen privaten Firmen. Diese institutionelle Macht, Kapitalströme zu lenken, wurde in Gesetzen festgeschrieben, etwa im Abkommen Basel II. Die USA drängten auf dieses Abkommen, sind ihm aber nicht beigetreten. Auch die Europäische Zentralbank muss permanent auf die Angaben und Daten von Ratingagenturen zurückgreifen.

Die Furche: Und heute gilt die Finanzbranche als bedeutsamster Wirtschaftssektor?

Ötsch: Ganz richtig. Finanzkapitalismus bedeutet, dass die stärkste Dynamik und die größten Gewinne von diesem Sektor ausgehen. In diesem hat, wie eine internationale Studie anhand der Daten Tausender Firmen zeigt, die Konzentration enorm zugenommen. Es sind kleine Netzwerke, allerdings sehr großer Unternehmen mit Beteiligungen im Finanzbereich.

Die Furche: Daraus resultiert die Kritik an Ratings oder an Ratingagenturen?

Ötsch: Ratings sind für die Orientierung der Investoren notwendig. Die Frage ist nur, wer macht die Ratings und nach welchen Kriterien? Mein Standpunkt ist, dass Ratings letztlich eine öffentliche Aufgabe sind. Die Ratingagenturen haben beim Crash der Finanzmärkte eine wichtige Rolle gespielt, denn sie haben aus Profitinteresse Wertpapiere bewertet, die längerfristig wertlos werden mussten. Die Bankenrettungen hatten dann die Steuerzahzler zu übernehmen.

Die Furche: Daher fordern Sie die Entflechtung der Ratingagenturen?

Ötsch: Genau. Es ist jetzt nicht entscheidend, eine europäische Agentur zu gründen. Diese würde sich nur schwer durchsetzen. Die drei Großen haben eine ungeheure Macht, sie haben Einsicht in Bücher und nutzen personelle Verflechtungen. Entscheidend ist vielmehr die politische Klarheit darüber, die Finanzmärkte wieder zu entflechten, wie nach der Weltwirtschaftskrise 1929. Das ist in Europa zwar nicht absehbar, aber ich hoffe dennoch darauf.

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