Abschied von den Lichtspieltheatern

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Das Kinosterben geht weiter, obwohl in Österreich derzeit so viele Menschen ins Kino gehen, wie zuletzt vor 20 Jahren. Schuld ist das "Overscreening".

Ende Jänner war das Schicksal einiger traditionsreicher Wiener Innenstadtkinos endgültig besiegelt. Die schwer defizitären City Cinemas, zu denen Gartenbau, Metro, Flotten, Cine und Kolosseum gehören, erhielten von der Stadt Wien nicht die erhoffte Finanzspritze. Die Kinos der Gruppe stehen somit vor der Schließung, und die Wiener Innenstadt wird wieder um einige Leinwände ärmer. Das Kinosterben in Wien geht unvermindert weiter.

"Von Kinosterben kann nicht die Rede sein", kontert Kurt Kaufmann, Geschäftsführer des Fachverbandes der Lichtspieltheater. "Noch nie gab es so viele Sitzplätze, so viele Leinwände und derart expansionsintensive Anstrengungen der Kinobetreiber". Kaufmanns Einschätzung der Kinosituation in Österreich basiert auf knallharten Fakten: Die 198 österreichischen Kinos konnten im abgelaufenen Jahr eine Rekordbesucherzahl verzeichnen. "Wir rechnen mit einem Anstieg um 14 Prozent im Jahr 2001 auf rund 18 Millionen Besucher", sagt Kaufmann. Im Jahr 2000 waren es noch 16,2 Millionen. "Das ist das beste Ergebnis seit 20 Jahren".

Dieser Rekord hat seine Gründe: Filmhits wie "Harry Potter" (bis dato 814.000 Besucher) und "Der Herr der Ringe" (567.000) bescherten hohe Gewinne. Quotenkaiser war der deutsche Klamauk-Film "Der Schuh des Manitu" mit bis dato rund zwei Millionen Besuchern. Auf den ersten Blick also alles leinwand in der heimischen Kinoszene?

Mitnichten. "Optisch sieht das Ergebnis gut aus, aber in Wahrheit gibt es durch die vielen Multiplex-Kinos, die in den letzten Jahren aus dem Boden geschossen sind, ein massives Overscreening' in Wien", räumt Kaufmann ein. Die Sitzplatzanzahl hat sich auf 33.000 verdoppelt. Experten schätzen, dass eine wirtschaftliche Führung vieler Multiplexe nur dann möglich ist, wenn pro Jahr mindestens 20 Millionen Besucher die Kinos stürmen. Davon ist man aber noch weit entfernt. "Die Auslastung ist - trotz des Rekordjahres 2001 - nicht wie erwartet gestiegen", weiß Kaufmann.

Vor allem die Kleinen, die weder Riesenleinwände noch den gewohnten Multiplex-Sitzkomfort bieten können, bleiben auf der Strecke. Die City Cinemas wandten sich deshalb mit einem Konzept an den Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny, doch dieser blockte ab. Saskia Schwaiger, Pressesprecherin des Stadtrats: "Die Betreiber suchten um mehr als 3,6 Millionen Euro Unterstützung an. Für uns ist es aber fragwürdig, zur Schuldenabdeckung Kulturfördermittel zu verwenden". Die Gesellschafter der City Cinemas, darunter der Verleih Filmladen, die Dor-Film und die Allegro-Film, hätten es nach der Übernahme der ehemaligen KIBA-Kette (die der Stadt Wien gehörte) nicht geschafft, sich wirtschaftlich zu tragen. "Im neu vorgelegten Konzept war der Eigenmittelanteil der Gruppe zu gering. Man wollte nicht mehr investieren", sagt Schwaiger.

"Das ist falsch", sagen die City Cinemas-Betreiber. Michael Stejskal vom Filmladen: "Wir waren nie Bittsteller. Wir waren bereit, nochmals zu investieren und suchten die Stadt Wien als Partner". Schon im vergangenen August schossen die Gläubiger drei Millionen Schilling zu, um die Gesellschaft am Leben zu erhalten und "der Stadt Wien doch noch die Möglichkeit zu geben, rechtzeitig zu handeln", wie es in einer Aussendung der maroden Kinogruppe heißt. "Es wäre wettbewerbsverzerrend und somit EU-widrig gewesen, wenn wir jetzt Geld zugeschossen hätten", verteidigt Schwaiger die Linie der Stadtregierung. Dass die City Cinemas vor zwei Jahren von der Stadt Wien in desolatem Zustand übernommen wurden, erklärt die mangelnde Attraktivität der Standorte. "Dieser Zustand war den heutigen Betreibern allerdings schon damals bewusst", meint Schwaiger.

Zumindest für die Traditionshäuser Metro und Gartenbau sollen nun neue Betreiber gefunden werden. Haben die bisherigen Betreiber an diesen Kinos nach wie vor Interesse? "Kein Kommentar", kommt sowohl von Michael Stejskal als auch von Kurt Stocker (Dor-Film). Die Stadt Wien will jedenfalls aus Mitteln der eben beschlossenen Kinoförderung (2,18 Millionen Euro für die nächsten drei Jahre) "spezielle Programmschwerpunkte in diesen Kinos fördern", sagt Schwaiger. Auf die Kinoförderung haben all jene Kinos Anspruch, die weniger als 1.500 Sitzplätze aufweisen. Gefördert werden Umbauten, Festivals, sowie österreichische oder europäische Film-Schwerpunkte. "Wir können damit Kulturförderung betreiben, aber keine versteckte Wirtschaftsförderung".

Wenig berührt vom Konkurs der City Cinemas zeigt sich der Marktführer in Österreich: Die Constantin-Gruppe (36 Prozent Marktanteil nach eigenen Schätzungen) bespielt insgesamt rund 200 der 580 Leinwände in Österreich. Rund 120 Kinosäle gehören der Constantin-Gruppe selbst, weitere 70 werden von ihr programmiert. Der Vorteil: Die Gruppe ist Verleiher und Kinobesitzer gleichzeitig. In der Branche hält sich daher der Vorwurf hart, Constantin würde vorrangig die eigenen Kinos mit Kopien ihrer Filme bestücken, die anderen Betreiber müssten sich mit zweitklassiger Ware zufrieden geben.

"Stimmt nicht", sagt Harald Grabner, Marketingleiter bei Constantin. "Es gibt ein Ranking, aus dem hervorgeht, welche Filme in welchen Kinos am meisten einspielen. Nach diesem Ranking vergeben wir unsere Kopien, darunter befinden sich natürlich viele Kinos, die nicht uns gehören". Die Schuld an der City Cinemas-Pleite ortet Grabner in einem schlechten Businesskonzept. "Man kann auch Programmkinos wirtschaftlich führen, das zeigt sich bei unseren Kinos. Sogar das Beethoven-Kino in Baden schreibt schwarze Zahlen". Eine rechtzeitige Umpositionierung der City Cinemas im Stadtzentrum aufgrund der Multiplex-Invasion habe es nicht gegeben. "Wir haben zum Beispiel das Artis, einst ein Top-Haus in Wien, auf ein rein englischsprachiges Kino umgestellt", sagt Grabner. "Und es funktioniert".

Herbert Dörfler, Betreiber des English Cinema Haydn, nimmt die englischsprachige Konkurrenz aus dem Hause Constantin locker: "Wir haben seit der Umstellung auf englischsprachige Filme im Haydn 1994 steigende Besucherzahlen" (derzeit 68.000/Jahr). Trotz der Multiplexe hätten sich die meisten Klein- und Mittelbetriebe halten können. "Dank der Kinoförderung", räumt Dörfler ein.

Ein zusätzliches Problem ortet Kurt Kaufmann bei gestiegenen Hausmieten für die Kinos der City Cinemas-Gruppe. Und auch bei den Leihmieten der Kinokopien, die derzeit rund 50 Prozent ausmachen. Das heißt: Der Kinobetreiber muss von jeder verkauften Kinokarte die Hälfte an den Verleih abführen. Der seit einiger Zeit entbrannte Preiskampf mit Dumpingpreisen an der Kinokasse (Tickets um fünf Euro) tut sein Übriges: Die Gewinnspannen der Kinobetreiber werden geringer, weil sich die Verleiher häufig schon fixe Beträge zusichern lassen, um nicht unter dem Preiskampf mitzuleiden. "Es wird daher in absehbarer Zeit auch ein Multiplex-Sterben beginnen", ist Harald Grabner von Constantin überzeugt.

Die hohen Besucherzahlen von 2001 lassen Kurt Kaufmann jedenfalls hoffen. "Wäre City Cinemas-Pleite nicht, würde ich fast vom Beginn eines neuen goldenen Zeitalters des Kinos sprechen", sagt er. "Denn das Kino hat seinen einstigen Status als gesellschaftlicher Treffpunkt längst wieder erreicht". Die großen Lichtspieltheater von einst zählen allerdings nicht zu diesen Treffpunkten. Sie bereiten sich auf ihren Abschied vor.

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