Abschied von der Kindheit

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"Da wie dort lautete der Auftrag, nur ja nicht nach den anderen zu geraten, obwohl man da wie dort stets anders blieb." Anna Baar erzählt in ihrem Roman "Die Farbe des Granatapfels" vom Aufwachsen eines gleichermaßen behüteten wie heimatlosen Mädchens zwischen zwei Welten. Für das Kind stellt es eine schier unmögliche Situation dar, beiden Welten anzugehören, der Welt der Mutter und vor allem der der Großmutter in den Sommermonaten auf der Insel Brac und dem Vaterland der Nebelwinter in Wien und Kärnten.

Nada, die Großmutter, dominiert das archaische Leben im dalmatinischen Fischerdorf und in der Zagreber Villa. Sie ist eine kettenrauchende Tito-Partisanin und Antifaschistin, für die Österreich das Land der "Ibermenschen" und Deutsch die "Mördersprache" des Feindes bleibt, auch wenn die Deutschen nun als Touristen auf die Insel kommen. Sie fordert von Anuschka Liebe ein und erdrückt es zugleich mit ihrer Fürsorge und Liebe, gesprochen wird nur Kroatisch miteinander. Das Mädchen ist irritiert, denn die Vatersprache macht es zur Fremden, wiewohl sie doch von "Nadas Schlag" ist. Sie schweigt und sehnt sich nach festem Land. Als Anuschka älter wird, wehrt sie sich gegen Nada, schreibt in der Vatersprache ihre Träume und Gefühle nieder, um sie vor der Großmutter geheim zu halten. Doch am Ende scheint Versöhnung möglich zwischen Anuschka und Nada, die der Enkelin die Geschichte der erlebten Kriegsgräuel erzählt.

Der österreichische Alltag nimmt sich gegenüber dem sinnlichen Süden prosaisch aus, der Vater ein selbstbezogener Pianist, die Mutter eine meist abwesende Ärztin, der jüngere Bruder kein Gefährte. Das Kind bekommt Manieren beigebracht, soll Klavier spielen und lernen. Spaß bereitet allein das Ärgern der diversen Kindermädchen, die es nie lang in der Familie aushalten. Die Hochsprache war in Wirklichkeit eine Sprachlosigkeit, gespickt mit "NichtvordenKindern","Dassagtmannicht" und "Dastutmannicht" und wird vom Kind argwöhnisch belauert. Die Muttersprache hingegen wird im Vaterland bisweilen als "Banditensprache" denunziert.

Anna Baar wechselt in ihrem autobiografisch grundierten Roman über den Abschied von der Kindheit zwischen Ich-Perspektive und dritter Person, zwischen Kinderperspektive und Erinnerung. Und es gelingt ihr das Kunststück, in ihrer bilderreichen Sprache zu zeigen, dass "der Wechsel zwischen den Sprachen" eben "mehr als ein Wechsel des Zungenschlags" ist. Denn die Gesetze des Denkens und Fühlens sind andere und haben die jeweiligen Geschichtserfahrungen gespeichert, die in die nächste Generation fortwirken, "das Fremdsein blieb unvermeidlich, hier wie dort".

Die Farbe des Granatapfels

Roman von Anna Baar

Wallstein 2015, 320 S., geb., € 20,50

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