Abstrakte Architektur eines Kritikers

Werbung
Werbung
Werbung

Der chinesische Regimegegner Ai Weiwei zeigt in Bregenz seine architekturbezogenen Arbeiten - soziale und politische Kritik inbegriffen. Trotz ungeahnten Medienechos und weltweiter Proteste bleibt sein Schicksal unklar, sein Heimatland darf er nicht verlassen.

In riesigen roten Buchstaben leuchtet die Forderung "Free Ai Weiwei“ vom Dach des Kunsthaus Bregenz und Billboards als Zeichen der Solidarität für den Künstler führen den Besucher durch die Stadt. Olafur Eliasson, Jenny Holzer, Barbara Kruger, Rirkrit Tiravanija, Luc Tuymans und Franz West nehmen in ihren Beiträgen Stellung zu ihrem chinesischen Künstlerkollegen, dessen architekturbezogene Arbeiten im KUB zu sehen sind.

Als vor eineinhalb Jahren, gleich nach seiner Bestellung zum Direktor des KUB, Yilmaz Dziewior Ai Weiwei kontaktierte, um über eine Ausstellung zu verhandeln, war die Welt quasi noch in Ordnung. 2007 sorgte Ai Weiwei bei der documenta für Furore, 2009 im Haus der Kunst in München und 2010 in der Tate Modern in London. Man beschloss, sich in Bregenz auf die Architekturprojekte zu konzentrieren, denn seit Ai Weiwei im Jahr 1999 sein eigenes Atelier selbst baute, begann sich seine Karriere auch im Architekturbereich zu verdichten und sein inzwischen sehr intensives Netzwerk mit Architekten in aller Welt schlug sich immer wieder in Projekten nieder.

80 Tage an einem unbekannten Ort gefangen

Anfang April dann der Schock, als der Künstler am Flughafen in Peking festgenommen und 80 Tage an einem unbekannten Ort festgehalten wurde. Das Programm war zwar fixiert, aber die Exponate zu diesem Zeitpunkt noch in China, die Ausstellung drohte zu kippen.

Ai Weiwei, der in den letzten Wochen für ein ungeahntes Medienecho sorgte - die Bandbreite ging von "Demo-Kitsch“ (Süddeutsche Zeitung) bis "Märtyrer-Künstler, der der Idee der Menschenrechte ein Gesicht gibt“ (Die Zeit) -, war international omnipräsent weil Kulturschaffende, einflussreiche Politiker, Nobelpreisträger und führende Intellektuelle gegen sein Verschwinden protestierten, aber keiner wusste, wo er sich wirklich befand, niemand hatte Kontakt zu ihm. Am 22. Juni wurde er gegen Kaution freigelassen, darf sich aber nicht äußern, Peking nicht verlassen und muss Steuern und Bußgelder in Höhe von 1,3 Millionen Euro zahlen.

Es gab also für das KUB noch kein wirkliches Aufatmen und in den vergangenen drei Wochen keinen persönlichen Kontakt mit dem Künstler, sondern nur regen Mailverkehr und Reaktionen auf die fotografische Dokumentationen der Ausstellungsaufstellung. Der direkte Kontakt wurde über Phil Dunn, einen Mitarbeiter des Ateliers Ai Weiweis gehalten und wie zum Beispiel die riesigen Holzmodelle der geplanten Wohnsiedlung "ORDOS 100“ in der Inneren Mongolei - insgesamt 25 Tonnen, die vier Schiffscontainer füllten - wirklich nach Bregenz gelangten, bleibt unausgesprochen.

Vom Planungsbüro in die Schublade

Die Architekturkooperation, für die der Künstler hundert junge Architekturbüros aus der ganzen Welt in die Mongolei geladen hatte, wo man nach einem von Ai Weiwei konzipierten Masterplan hundert Einfamilienhäuser für die mongolische Steppe skizzierte und später konkret plante, wird wohl ein Schubladenprojekt bleiben, denn der Auftraggeber hat sich zurückgezogen. Immerhin hat das riesige Holzmodell (15 Tonnen schwer und fast 500 Quadratmeter groß), das eine ganze Etage des KUB mit seinem Holzgeruch erfüllt, zusammen mit den Plänen und Skizzen der Architekten den Weg nach Bregenz gefunden. Puristisch, minimalistisch und dem Material verpflichtet. Ein Architekturmodell, das zugleich Skulptur ist.

Ähnlich wie die Serie "Moon Chest“ (2008), die den gesamten obersten Stock des KUB einnimmt; dort, wo bei den traditionellen chinesischen Schränken das mondförmige Metallschloss ist, gibt es bei den doppelstöckigen Exemplaren von Ai Weiwei riesige Löcher in den fantastisch gearbeiteten Exponaten aus einem ganz speziellen und kostbaren Holz - und beim Durchschauen sieht man, bedingt durch die exakte Aufstellung, die unterschiedlichen Mondphasen. Den Anstoß für dieses Sujet gaben Fotografien, die Ai Weiwei schon seit Langem immer wieder vom Mond macht.

Entwürfe für Künstlerateliers, die in den USA auch bereits umgesetzt wurden, sowie das Olympiastadion in Peking in all seinen Facetten und Entwicklungsstadien runden das Gesamtbild ab. "Ai Weiwei Art/Architecture“ beleuchtet einen bislang eher unbekannten Aspekt des Werkes, aber, wie der Architekturhistoriker Andreas Lepik in einem Essay für das KUB meint, "Architektur ist für den Künstler eine Disziplin seines Schaffens geworden, mit der er über die bildende Kunst hinaus konkrete und dauerhafte Wirkungen in der Gesellschaft entfalten kann.“ Auch die Architektur spielt also in den politischen Aktivitäten des Künstlers eine maßgebliche Rolle.

Vergangene Woche wurde Ai Weiwei in die Akademie der Bildenden Künste Berlin aufgenommen und er hat eine Gastprofessur an der Berliner Universität der Künste angenommen - seine Freiheit ist damit aber noch nicht gewährleistet.

Ai Weiwei, Art/Architecture

Kunsthaus Bregenz, Bis 16. Oktober, Di.-So. 10-18; Do bis 21 Uhr

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung