Ach ja, der „neue Mensch“ …

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„Götterdämmerung“ an der Wiener Staatsoper: Sven-Eric Bechtolfs Regie landet nicht im Heute, dafür dirigiert Franz Welser-Möst phänomenal.

Jede Zeit brauche ihren eigenen „Ring“, meint Staatsoperndirektor Ioan Holender. Da hat er zweifelsohne Recht. Richard Wagners monumentaler Opernzyklus kann zum Sinnbild einer Epoche werden, zu einem Brennglas, das die wesentlichen Fragen eines Zeitalters fokussiert. Wohlgemerkt: kann. Denn die aktuelle Neuproduktion von „Der Ring des Nibelungen“ an der Wiener Staatsoper schafft es nicht, den Geist unserer Zeit auf den Punkt zu bringen. Bei der Premiere der „Götterdämmerung“ an Mariä Empfängnis wurde dieses Manko besonders deutlich: Die Aufführung ist über weite Strecken eine naive Widergabe des Wagner’schen Weltendramas ohne Bezug zur Gegenwart. Und wenn Regisseur Sven-Eric Bechtolf am Schluss doch noch eine Art Deutung versucht, so landet er damit jedenfalls nicht im Heute.

Stilistische Konfusion

Man nehme nur die Sequenz, mit der die Wiener „Götterdämmerung“ zu Ende geht: Das Bühnenbild (Rolf Glittenberg), das die Ästhetik der klassischen Moderne zitiert – strenge geometrische Formen, grauer Beton, eine riesige Front aus grünen Glasziegeln – weicht plötzlich virtuellen, postmodernen Projektionen, die durch den leeren Raum schwirren. Eine Feuersbrunst verschlingt die alten Götter, eine Flut spült die alte Gesellschaftsordnung hinweg. Dann werden inmitten von Rauch und Nebel zwei nackte, gesichtslose, ineinander verschlungene Gestalten sichtbar: der neue Mensch. Das soll eine heutige Interpretation des „Rings“ sein? Zeichnet sich unsere Zeit nicht gerade dadurch aus, dass die untergegangen geglaubten Götter in Scharen wiederkehren und dass überwunden geglaubte, archaische Kulturformen wieder in unserer Gesellschaft Fuß fassen? Wie im Wirbel der Postmoderne die letzten Gewissheiten der Moderne verschwinden, ist zwar ansprechend inszeniert, aber diese Erkenntnis ist mittlerweile ein alter Hut. Und vom „neuen Menschen“ in all seinen totalitären Spielarten hat man zum Glück auch schon seit längerem nichts mehr gehört.

Bis kurz vor Ende geht des Regisseurs Konzept der „vorsätzlichen Naivität“ (Bechtolf) diesmal sogar auf. Die großartige Musik und die ihren Lauf nehmende packende Tragödie können lange Zeit für sich allein bestehen: wie der sinistre Hagen (ausgezeichnet: Eric Halfvarson) eine teuflische Intrige in Gang setzt, um den Ring, das Objekt der Begierde, an sich zu bringen. Dazu entzweit er unter Einsatz eines Vergessenstrunks Siegfried (Stephen Gould) und Brünnhilde (Eva Johansson). Der ungestüme, etwas einfältige Held und die zur leidenschaftlichen Frau gereifte Walküre nämlich befinden sich im Besitz des Schatzes, ohne jedoch seine Bedeutung zu kennen. Hagen verkuppelt die beiden mit den königlichen Geschwistern Gunther (Boaz Daniel) und Gutrune (Caroline Wenborne), um einen Vorwand zu konstruieren, unter dem er Siegfried töten und so den Ring an sich bringen kann. Doch als sich Bechtolf nach dem Tod Siegfrieds in echter Regiearbeit versucht, scheitert er. Dass Brünnhilde Siegfrieds Scheiterhaufen entzündet und sich schließlich selbst ins Feuer stürzt, ist zwar zu hören, zu sehen ist aber lediglich eine jämmerliche, komplett statische Szene mit ein bisschen rotem Licht.

Musikalisch ist die neue Wiener „Götterdämmerung“ vom Allerfeinsten. Für den Dirigenten Franz Welser-Möst und das Staatsopernorchester wurde die insgesamt fünfeinhalb Stunden dauernde Aufführung zum Triumph. Vor allem die Klänge der Streicher sind noch im größten Fortissimo wunderbar samtig. Manchmal schwingt sich das Orchester zu einer Lautstärke auf, die um die Ohren der Musiker im Orchestergraben fürchten lässt, und doch bleiben die Klänge voll Gefühl und Ausdruckskraft. Siegfrieds Trauermarsch wird so zum Höhepunkt der Aufführung – bei geschlossenem Vorhang!

Akustische Überraschungen

Dabei weicht Welser-Möst bei seinem Dirigat durchaus von alten Gewohnheiten ab: Bei Siegfrieds Tod singen die umherstehenden Krieger ihr „Hagen! Was tust du?“ bzw. „Was tatest Du?“ nicht wie üblich weihevoll und in getragenem Tempo, sondern expressiv und schnell. Für Außenstehende mag eine solche kleine Änderung unerheblich scheinen, aber eingefleischte Wagnerianer können ob solcher Eingriffe die Contenance verlieren.

Neben Welser-Möst wurden bei der Premiere auch die Sänger Stephen Gould, Eric Halfvarson, Boaz Daniel sowie Mihoko Fujimura in der vergleichsweise kleinen Partie der Waltraute verdient bejubelt. Nur unter den lautstarken Jubel für Eva Johansson mischten sich einzelne Buhrufe. Obwohl „Götterdämmerung“ den Schlusspunkt des „Rings des Nibelungen“ bildet, wird Wagners Tetralogie erst im Mai nächsten Jahres abgeschlossen. Neuproduktionen des „Rings“ enden an der Wiener Staatsoper traditionell nicht mit „Götterdämmerung“, sondern mit dem „Rheingold“.

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