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Wenn Literaturkritiker ratlos sind, ist die hohle Phrase nicht weit. Vorabdruck aus dem neuen Buch von Brigitte Schwens-Harrant.

Die Literaturkritiken anderer zu kritisieren, ist nicht weiter schwierig. Wenn man über jeden Satz stolpert und am Ende verärgert feststellt, dass man, wenn überhaupt, nur etwas über den Literaturgeschmack der Rezensentin erfahren hat, fällt die Kritik nicht schwer. Sobald man selbst Literaturkritik zu schreiben beginnt, merkt man aber, wie beschränkt der Wortschatz ist, der einem zur Verfügung steht, um über Literatur zu schreiben.

Da gibt es Fach- und Fremdwörter aus der Literaturwissenschaft, die man kaum bis gar nicht in der Literaturkritik verwenden kann. Es gilt, Literatur argumentierend zu "erzählen" - aber es fehlen die Worte. Die geeignetste Sprache bietet möglicherweise das literarische Werk selbst. Aber man kann sich doch nicht ausschließlich daraus bedienen.

Anfänger flüchten sich in Floskeln, Fortgeschrittene verhaspeln sich in allzu vielen Bildern und gefallen sich (aber nicht dem Leser) in Sprachschrauben. Die schönsten Sprachbilder haben die Tendenz sich zu verselbstständigen und einen Tanz aufzuführen, der mit dem Text und mit den benachbarten Bildern dann oft nicht mehr viel zu tun hat. Sie werden schneller zur hohlen Phrase, als man merkt.

Der "ungeheure Sog"

Besonders beliebt sind Floskeln bei Anfängern und man findet sie auch in zahlreichen Rezensionen im Internet, denen oft die Kunst zu erzählen im selben Maße fehlt, in dem dafür die persönliche Betroffenheit zunimmt. Da entwickelt dann jede Story "einen ungeheuren Sog", sie ist "spannend zu lesen" und "besticht" womöglich noch "durch Anschaulichkeit und Eleganz". Dann wieder "verleiht" doch tatsächlich ein Autor "jeder Situation Dramatik und Leben" und "die vielen Seiten werden an keiner Stelle langweilig". Auch wenn ein Text einmal "bedrückend" ist, so ist er doch ab und zu "von Lichtblicken durchzogen". Möglicherweise hat ein Roman aber auch nur einen "interessanten Ansatz", ist "aber als Ganzes nicht überzeugend", warum auch immer. Das Fazit hält fest: Das war ein "großartiges", "beglückendes", "erstaunliches" (oder im anderen Fall: ein "ärgerliches") Buch, ein "Muss" für alle Leser, die es "in den Bann ziehen" oder bei denen es "lange nachwirken wird".

Kriterien fehlen

Was in solchen Rezensionen, die nicht nur auf diversen Webseiten zu finden sind, sichtbar wird, ist mehr als nur ein Sprachproblem. Es fehlen die Worte, die Begriffe und Bilder, um zu erzählen, was erkundet wurde, es fehlen aber auch die Kriterien für eine Analyse, die Fähigkeit, über den Plot hinaus die Literatur zu untersuchen, zu unterscheiden, um dann entscheiden zu können. Es fehlt die Fähigkeit zur Kritik. Das Manko wird übertüncht mit naiven "Inhaltsangaben" und Leerformeln. Die Rezensenten sind sich weder der Erfindung der Literatur noch der eigenen Erfindung beim Schreiben bewusst. Wenn es dann sogar noch unter der "bruchstückhaften Oberfläche einer überwältigenden, dramatischen Dichte gewaltig brodeln" kann, dann zeigt sich darin eine fast schon fantastisch zu nennende Unbedarftheit im Umgang mit dem vorliegenden Text und der eigenen Sprache.

Vor der Versuchung, sich im allzeit gefüllten Floskeltopf zu bedienen, ist aber niemand gefeit. Selbst die Sätze von renommierten Literaturkritikern darf man diesbezüglich nicht genauer unter die Lupe nehmen. Es ist alles andere als einfach, nicht ständig in denselben Wortetopf zu greifen, wenn man zum hundertsten Mal über einen Roman schreibt.

Das Unbändige bändigen

Die hohle Phrase droht vor allem dort, wenn man nicht recht weiß, was man mit einem Text anfangen soll. Denn das kann passieren. Da liegt ein Text, und man weiß nicht recht, wohin damit. Der Ratlosigkeit angesichts eines Werkes, das man nicht recht einzuordnen weiß, kann begegnet werden, indem man sich in den Urteilsspruch rettet, der auf Argumentationen und die Angabe von Zweifeln verzichtet. Man kann sich auch in den Konformismus flüchten: Was alle gutheißen, muss gut sein, also ist es gut. Oder man behilft sich mit abgegriffenen Phrasen, abstrakten Substantiven und verbrauchten Adjektiven. Sie schreiben am Werk vorbei bzw. sie schreiben es fest oder, um es mit den Worten Sigrid Löfflers zu sagen: "So oder so muß das Unbändige gebändigt werden. Wenn der Feuilletonkritiker das entsprechende Werk trotzdem noch nicht recht einkassieren kann, dann wird er es wenigstens durch Adjektive ruhigzustellen suchen."

Einkassieren und bändigen sind aber nicht die Lösung, sondern die Probleme der Literaturkritik. Um Literatur dingfest zu machen, sind Floskeln bestens geeignet. Doch dingfest gemachte Literatur ist tot. Zudem verwischen Floskeln die Eigenheiten eines Werkes, sie kochen Literatur ein zu einem großen faden Einheitsbrei. Dienlich sind solche Schreibweisen weder der Literatur noch der Literaturkritik selbst. Denn wenn alle literaturkritischen Texte ähnlich klingen, weshalb sollte man sie dann überhaupt noch lesen?

Ohne Splitter im Auge

Literaturkritik, die sich nicht selbst überflüssig machen will, ist besser beraten, dem Einerlei, das sich nun ohnehin im Internet ausbreitet, Texte gegenüberzustellen, die dem Leser signalisieren: Hier hat sich ein geübter, kritischer Leser intensiv mit Literatur auseinandergesetzt und erzählt von seiner "Reise", hier schreibt nicht einfach nur einer vom anderen ab. Literaturkritiken werden dann Lust aufs Lesen machen, wenn der Literaturkritiker nicht nur die Informationsvermittlung (zum Beispiel die "Inhaltsangabe") oder die gängige Wertung (der Kollegen) als Splitter im Auge hat.

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