Ähnlich und doch so schaurig

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maschinen werden immer menschenartiger, aber auch die menschen nähern sich den maschinen an: Die Zukunft wird ganz schön unheimlich.

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maschinen werden immer menschenartiger, aber auch die menschen nähern sich den maschinen an: Die Zukunft wird ganz schön unheimlich.

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Beim sommerlichen Wandern in der Südsteiermark kam ich an Wäldern, Wiesen und immer wieder an Häusern vorbei. Als ich einen Blick in einen der Gärten warf, streifte mich ein leichtes Gefühl des Unbehagens. Eine Gestalt im Garten entzog sich jeder Zuordnung; doch es dauerte nicht lange, bis ich sie als lebensgroße Schaufensterpuppe identifizierte, welche die Hausbesitzer -aus welchem Grund auch immer -im Freien aufgestellt hatten. Solche Momente der verstörenden Ungewissheit kennt wohl jeder bereits aus seiner Kindheit, und sie zählen zu den altbekannten Mechanismen, wie man in Film oder Literatur eine unheimliche Wirkung entfalten kann. So hat der deutsche Psychiater Ernst Jentsch bereits 1906 den "Zweifel an der Beseelung eines anscheinend lebendigen Wesens und umgekehrt darüber, ob ein lebloser Gegenstand nicht etwa beseelt sei" als wichtiges Merkmal des Unheimlichen herausgearbeitet.

Puppen und Wachsfiguren

In seiner Schrift "Zur Psychologie des Unheimlichen" dachte Jentsch noch an Wachsfiguren, kunstvolle Puppen und Automaten, die vor allem im Dunklen oder im Zwielicht leicht schaurig werden können. Andererseits, so der Nervenarzt, können auch Menschen rasch unheimlich wirken, wenn sie etwa einen epileptischen Anfall mit anhaltenden Zuckungen erleiden und beim Betrachter Ahnungen von automatisch ablaufenden Prozessen geweckt werden. Diese treten dann plötzlich wie eine sonst verborgene Mechanik vor das vertraute Bild des Betroffenen. Es waren genau diese Überlegungen, die einem ungleich bekannteren Autor als Ausgangspunkt für seine eigene Theoriebildung dienten: Im Jahr 1919 publizierte ein intellektuell umtriebiger Wiener Arzt eine wegweisende Schrift über "Das Unheimliche", in der er dessen wesentliche Mechanismen zu ergründen suchte.

Doch Sigmund Freud folgte letztlich anderen Spuren, wenngleich er auf denselben literarischen Text zu sprechen kam wie sein Vorgänger Ernst Jentsch. Beide Ärzte erkannten in E.T.A. Hoffmanns Erzählung "Der Sandmann" ein exemplarisches Werk zur wissenschaftlichen Betrachtung des Phänomens. Und auch der Begründer der Psychoanalyse sah in der mechanisch bewegten, scheinbar belebten Puppe Olimpia ein Motiv, welches für die "unvergleichlich unheimliche Wirkung der Erzählung verantwortlich gemacht werden muß" - wiewohl es für Freud nicht das wichtigste war.

Das "unheimliche Tal"

Für den Wiener Traumdeuter resultiert das Erleben des Unheimlichen vielmehr aus der Wiederbelebung verdrängter frühkindlicher Komplexe (dem Motiv des Sandmanns selbst, stellvertretend für die Kastrationsangst der Hauptfigur) oder aus der Wiederbestätigung überwundener primitiver Überzeugungen. Denn Freud beschrieb eine Analogie im Seelenleben der Kinder und der so genannten "primitiven Völker": Das Weltbild von Kleinkindern und von Menschen der Urzeit sei durch animistische Züge geprägt, wobei unbelebte Objekte beseelt erscheinen können. Aber auch wandelnde Leichen und die Wiederkehr der Toten, der Schauer von Zombies und Vampiren sowie der Spuk von Geistern und Gespenstern fallen in diese Kategorie.

Heute sind solche Überlegungen nicht nur für die Medizin, Psychologie und Kulturwissenschaften relevant. Gerade in der Technikforschung haben sie enorme Bedeutung gewonnen, denn in naher Zukunft könnten es viele Menschen tatsächlich mit intelligenten und zunehmend menschenartigen Maschinenwesen zu tun bekommen. Glaubt man den Verheißungen der Elektronikindustrie, werden uns Roboter bald auch mit sozialen Fähigkeiten wie Sprach-und Emotionserkennung zu Diensten stehen. Dass diese technologische Entwicklung auch ein beunruhigendes, ja unheimliches Moment mit sich bringt, wurde in der einschlägigen Forschung bereits seit den 1970er-Jahren zum Thema. Damals beschrieb der japanische Robotiker Masahiro Mori erstmals das Phänomen des "unheimlichen Tals" (engl. "uncanny valley"). Es bringt unsere zutiefst ambivalente Beziehung zu künstlichen Figuren wie Robotern oder Avataren zum Ausdruck.

Demnach fühlen sich Menschen im Umgang mit Maschinenwesen umso wohler, je mehr diese mit ihren Gesten und ihrem Gesichtsausdruck, ihren Körperhaltungen und Augenbewegungen an menschliche Züge erinnern: Ein Roboter mit lebloser Erscheinung ist prinzipiell weniger einladend als einer, der ein vertrautes Aussehen und Verhalten an den Tag legt. Doch all das gilt nur bis zu einem bestimmten Punkt. Wenn die Maschinen fast schon ganz menschlich wirken, entsteht beim Betrachter ein unangenehmes Gefühl, das mit Abneigung und Abscheu verbunden ist. Etwas fühlt sich "nicht ganz richtig" an: Die Maschine wirkt auf einmal befremdlich, die Akzeptanz schwindet und die Beziehung zum Roboter kehrt sich ins Negative. Erst wenn die Menschenähnlichkeit vollkommen wird, verflüchtigt sich dieser Effekt. Wird diese Relation graphisch veranschaulicht, zeigt sich nach einem stetigen Beliebtheitsanstieg eine Kurve nach unten -eben das "unheimliche Tal".

Der optimierte Maschinenmensch

Heute ist das Thema aktueller denn je. Was Masahiro Mori noch als Hypothese formulierte, wurde in den letzten Jahren durch viele Studien empirisch geprüft. Auch wenn diese Untersuchungen widersprüchliche Ergebnisse zeigten, gibt es doch triftige Hinweise, dass dieser Effekt tatsächlich unsere Wahrnehmung prägt. Zu seiner Erklärung werden diverse Theorien strapaziert: Das "unheimliche Tal" könnte durch einen fließenden Kategoriewechsel bedingt sein, in diesem Fall an der Grenze von "menschlich" versus "nicht-menschlich". Es könnte auch aus dem Eindruck erwachsen, ein Maschinenwesen verfüge über einen menschlichen Geist oder erinnere mit seinem Ausdruck an Personen mit psychopathischen Eigenschaften (Jentsch lässt grüßen!). Aus evolutionärer Sicht könnte es ein uraltes Schutzprogramm sein, seltsam anmutenden Mitmenschen aus dem Weg zu gehen. Deren aschfahle Haut, verzerrte Mimik und lebloser Blick könnten schließlich Hinweise auf eine ansteckende Krankheit sein. Dazu passt, dass das Phänomen nicht nur auf den Homo sapiens beschränkt ist. In Tierexperimenten scheinen auch Affen von pseudorealistischen Darstellungen ihrer Artgenossen abgestoßen zu sein.

Robotik-Entwickler und hier wohl auch die Designer der zunehmend beliebten Sex-Roboter bemühen sich heute tunlichst, das Phänomen zu umgehen, um die Akzeptanz bzw. den Erfolg ihrer Produkte nicht zu gefährden. Doch auch von der anderen Seite droht der Absturz ins "unheimliche Tal", wenn Menschen selbst immer künstlicher und maschinenähnlicher werden -was angesichts der Trends zu kosmetischer Chirurgie und biotechnologischer Optimierung durchaus naheliegend erscheint. Es schadet nicht, sich darauf einzustellen: Der Weg in eine technologisch aufgerüstete Zukunft wird durchdrungen sein von Unbehagen.

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