Afrikas neue Ästhetik

Werbung
Werbung
Werbung

In seinem soeben erschienenen Buch "Afrika. Die Magier der Erde“ zeigt der Fotograf, Ethnologe, Sammler und Leiter des "Hauses der Völker“ in Schwaz, Gert Chesi, den schwarzen Kontinent fernab von Idealisierung und, wie sich die Kulturen weiterentwickelt haben.

Afrika aus der Sicht eines Europäers? Das trifft es nicht ganz, wenn Gert Chesi ein Buch über Afrika schreibt, denn der Fotograf, Ethnologe, Sammler und Leiter des "Hauses der Völker“ in Schwaz lebt mindestens ein Drittel des Jahres in Togo, und Afrika ist wohl so etwas wie seine zweite Heimat. Er kennt die Völker und Kulturen Afrikas seit seiner ersten großen Reise 1960 in den Sudan, seit er 1964 acht Monate als Journalist und Fotograf bei Albert Schweizer in Lambaréné verbracht hat. Das soeben erschienene Buch zeigt bloß einmal mehr, dass Afrika die "Heimat seines Herzens“ ist, obwohl er inzwischen auch einen Wohnsitz in Bangkok hat und alle paar Wochen zwischen den Kontinenten pendelt.

Die verklärte Perspektive Afrikas wird man bei Gert Chesi vergeblich suchen, die hat es aber bei ihm nie gegeben, denn "das alte Afrika, das wir vergeblich suchen, ist eine Fiktion“, meint er in seiner Einleitung; und er sieht die kriminelle Energie des Kontinents schon als historisch, denn "schon lange bevor die Europäer kamen, hatten die Afrikaner unter Stammeskriegen, rassistischen Übergriffen und interner Sklaverei gelitten“, so Chesi, der die Meinung vertritt, dass die Quantität der Grausamkeiten nur mit der Größe der Bevölkerung gestiegen sei.

In seinem Buch wird er allen Aspekten des Lebens in Afrika gerecht und zeigt, wie sich die Kulturen weiterentwickelt haben, wie alte Mythen zu neuer Magie wurden. Er zeichnet die Geschichte des Voodoo genauso spannend wie er vom Leben der Töpferinnen in Melonkou erzählt. "Sie sind die Magierinnen der Erde“, sie bändigen die Erde und beherrschen das Feuer und stellen Tongefäße wie vor Tausenden Jahren im Feldbrand her. Perfekte Formen von schöner Ästhetik.

Kult und Religion haben Reiz nicht verloren

Chesi erzählt aber auch vom Maler, Bildhauer und Aktivisten Zinkpé, dessen Œuvre zwar in der afrikanischen Tradition wurzelt, der aber mit seiner Gesellschaftskritik auf internationalem Level arbeitet. Es ist eine ganz andere Ebene als jene der Handwerker, der traditionellen Schnitzer oder der Schmiede von Yohonou, die nicht nur Ackergeräte herstellen, sondern seit jeher berühmt sind für ihre Ritualobjekte, die sie für Priester gestalten. Aber alle zusammen ergeben das Bild des heutigen Afrika.

Weber und Maskenschnitzer kommen ebenso zu Wort wie ein breites Kapitel der rituellen Körpermalerei gewidmet ist. Initiationsriten, Ahnenkulte, Geister, Heiler und Fetische - Gert Chesis Fotografien, die von exquisiter Qualität sind, unterstreichen seine Texte und erzählen von seinen jüngsten Reisen durch Afrika. Wirtschaftskrise und Massentourismus haben zwar auch die entlegensten Winkel des Kontinents erreicht, aber Kult und Religion haben ihren Reiz keineswegs verloren.

Besonders vielfältig sind die Maskenkulte in Afrika, deren Geheimnis in ihrer Kontinuität liegt, "die sich unter immer anderen Voraussetzungen bis heute wie ein roter Faden durch die afrikanische Kulturgeschichte zieht“, wie Chesi schreibt. Unter dem Begriff "Maske“ versteht man dabei nicht nur das sogenannte "zweite Gesicht“, sondern dazu gehören auch Kleidung, in Ledersäcke eingenähte Tierkadaver oder Fruchtkerne. Auch die Egungu-Kostüme der Yoruba gelten in ihrer Gesamtheit als Masken; sie bestehen aus unzähligen Schichten textiler Streifen, die mit den Symbolen des Kultes bestickt sind; einige haben noch einen Aufsatz mit Tier- oder Menschengestalten. Nicht weniger ausufernd ist die Maskengestaltung der Senufo in Elfenbeinküste; die Baga in Guinea wiederum haben Schultermasken, die bis zu 50 Kilo wiegen können. Die Kompositmasken der Igbo in Nigeria gelten aber als Nonplusultra: Es sind haushohe Gebilde aus Leder, Holz, Metall und Pflanzenfasern. Auch Körper- und Gesichtsbemalungen werden in Afrika als Masken definiert - in Voodookreisen verraten sie die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kult. Prinzipiell dienen Masken und Maskenkostüme dazu, böse Kräfte abzuwehren und gute herbeizulocken oder die Ahnen zu verehren; sie sind aber auch für die Festigung der Macht wichtig oder werden als Sühnemaske getragen, wie die Kanaga-Maske der Dogon in Mali, mit der sich der Jäger sozusagen beim zu tötenden Tier entschuldigt.

Afrika. Die Magier der Erde

Von Gert Chesi

Studienverlag, Innsbruck 2010,

198 Seiten, e 29,90

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung