Afrikas wahre Sorgen

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Der Romanautor Meja Mwangi behandelt die Schwierigkeiten hygienischer Aufklärung im Dorf.

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Der Romanautor Meja Mwangi behandelt die Schwierigkeiten hygienischer Aufklärung im Dorf.

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Meja Mwangi gehört zu den jüngeren Autoren Kenias. In seinen Romanen nimmt er, wie in der literarischen Tradition Afrikas üblich, zu Problemen des Landes Stellung. Sein neues Buch "Die achte Plage" behandelt den Umgang mit Aids. Er beschreibt am Beispiel von Crossroads, eines sterbenden Dorfes, die durch den Zusammenprall der afrikanischen und der westlichen Kultur ausgelöste Verwirrung und deren fatale Folgen für sein Land. Einsam kämpft Janet, die "Kondomfrau", gegen "die Seuche", wie die Leute im Dorf sagen. Sie nehmen sie als göttliche Strafe hin, um nicht mit ihren Traditionen brechen zu müssen. Anfangs steht ihr nur Frank, ein junger Veterinärmediziner, mehr schlecht als recht zur Seite. Wie alle, die nach Crossroads zurückkehren, ist auch er infiziert.

Die traditonsgebundenen Dorfbewohner hören weder auf eine Frau noch auf einen jungen Mann. Auch Onkel Mark, den sie Kibogoyo nennen, den weisen alten Narren, der die Geschehnisse von der Veranda des Teehauses aus verfolgt und einen geheimnisvollen Zugriff zu Geld hat, stehen sie skeptisch gegenüber. Er ist ihnen aufgrund seiner langen Reisen zu erfahren und geheimnisumwittert. "Crossroads lag im Sterben. Jeder alte Dummkopf sah das. Gott hatte über der starrsinnigen Stadt das letzte Gefäß seines Zorns ausgeschüttet. Und das Schlimmste sollte noch kommen.

Onkel Mark war alt, aber keineswegs dumm. Er war der erste, der das Ende von Crossroads vorhergesagt hatte. Er hatte es wie ein außer Kontrolle geratenes Fahrzeug kommen gesehen. "Es erschütterte die Erde und ließ die Himmel erzittern. Es versetzte der Gemeinschaft Schläge und zertrümmerte Hoffnungen und Träume, Leben und Seele von Familien und Clans. Es hob die ganze Gesellschaft aus den Angeln, zerstörte ihre Wirtschaftsordnung und drohte ihren wertvollsten Besitz, jahrhundertealte Traditionen und eine geheiligte Kultur, auszulöschen."

Mit seinem trockenen, bilderreichen Stil und der Liebe für seine Protagonisten veranschaulicht Mwangi das Dilemma, das sich aus dem Gegensatz der Kulturen ergibt. Internationale Anerkennung erlangte der Autor erstmals in den siebziger Jahren mit seinem Großstadtroman "Nairobi, River Road". In seinem Roman "Mister Rivers letztes Solo" (Furche 33/1995) setzt er sich mit der Entwicklungshilfe und den aus ihr erwachsenden Problemen Schwarzafrikas auseinander. Zynischer Witz, viel Phantasie und eine blumige, metaphernreiche Sprache kennzeichnen sein Werk: "Doch ob sie ihn liebten, haßten oder ihm mißtrauten, alle brachten Onkel Mark große Achtung entgegen. Da sie aber nicht wußten, was sie sonst mit ihm anfangen sollten, übergingen sie ihn meist und ließen ihn in Ruhe, damit er mit dem Rest seines Lebens anfangen konnte, was immer er wollte. Im Augenblick schien es darin zu bestehen, zuzuschauen, wie Crossroads starb.

Seine elegante Kleidung bestand aus italienischen Anzügen, Schuhen und Hüten; so gekleidet verließ er jeden Morgen um acht sein schäbiges, drei mal drei Meter großes Zimmer im Hinterhof von Musas Teehaus, nahm seinen ihm vertrauten Platz auf der Veranda des Teehauses ein, bestellte Tee und schickte sich an, Crossroads sterben zu sehen."

Die Menschen im Dorf klammern sich an den Glauben, Aids sei eine Strafe Gottes, die nur anderen widerfährt, und Kondome seien etwas für Narren und Feiglinge. Wenn die Leute sie jemals benutzen, werden sie achtlos weggeworfen, so daß sich spielende Kinder anstecken können. Aber nicht nur gegen dieses schier unüberwindbar scheinende Problem muß Janet kämpfen. Kata Kataa, der Heiler und Zauberdoktor und nebenbei ihr Schwager, lehnt jede hygienische Maßnahme bei rituellen Handlungen ab. Alle jungen Männer werden mit demselben Messer beschnitten. Janets Aktivitäten sieht er als eine Gefahr für die Traditionen, an denen er starr festhält. Auch die Schulbehörde und der Gemeindepfarrer verweigern Janet aus ähnlichen Gründen die Unterstützung im Kampf gegen die Unwissenheit.

Einzig als Broker, der lange verschollene Ehemann Janets, wieder auftaucht, auch er ist erkrankt, scheint sich eine Chance für die medizinische Aufklärung zu ergeben. Er ist ein zwielichtiger Lebemann, der genau wie Onkel Mark geheimnisvolle Geldquellen hat. Teils, um sich in einer neuen Rolle zu gefallen, teils in der Hoffnung, sein Ende hinauszuzögern, hilft er Janet und haucht dem Dorf durch neue Aktivitäten etwas Leben ein. Er schafft es sogar, einen bescheidenen Handel mit Vorbeugungsmitteln auf die Beine zu stellen.

Der von Mwangi besonders witzig erzählte Besuch einiger Leute vom Gesundheitsamt und der aus diesem Anlaß großzügig bewilligte Aidstest aller Bewohner bedeutet für Janet, die ihren Kampf gegen die Ignoranz oft als deprimierend empfindet, wieder etwas Hoffnung. Es stellt sich heraus, daß wenigstens fast alle Jugendlichen noch - noch! - gesund sind.

"Die Jungen häuften Erde auf Brokers Grab, und Big Youth staubte den marmornen Grabstein ab. Es war das erste Grab in Janets Anwesen. Mzee Musas Herz krampfte sich zusammmen, als er sich in Erinnerung rief, was Crossroads über Grabhügel zu sagen hatte: Wo heute ein Grabhügel war, würden es morgen zwei sein. Aus zwei würden vier und aus vier acht. In dem Maße, wie sie sich vermehrten, verwandelten sie sich. Sie wurden zu Ungeheuern, die nach Menschenfleisch lechzten. Sie labten sich daran und wurden immer mehr und fraßen, bis sie ganze Familien aufgefressen hatten. Bis der letzte Bewohner eines Anwesens gestorben und von seinen Nachbarn schnell begraben wurde. Erst dann, wenn ihr Soll erfüllt war, fand das Tun der gefräßigen Grabhügel ein Ende. Musa schauderte, als er sich dies alles ins Gedächtnis zurückrief. Onkel Mark war zu lange und zu weit gereist, um an Gespenster und ähnliches zu glauben. Aber auch ihn schauderte." Mwangis einfühlsame, metaphernreiche Sprache macht die Geschichte bis zum Schluß zu einem beklemmenden, doch dank Witz, Zynismus und Herz bereichernden Leseerlebnis.

DIE ACHTE PLAGE Roman von Meja Mwangi Peter Hammer, Wuppertal 1997 368 Seiten, geb., öS 263,

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