Agitieren mit Meinungsumfragen?

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Die Debatte. Machen Umfragen den Kanzler?

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Die Debatte. Machen Umfragen den Kanzler?

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Zum Thema: Politik mit Umfragen. Kaum ein Tag vergeht, an dem das Wahlvolk nicht mit Umfrageergebnissen zu den wahlkämpfenden Parteien konfrontiert wird. Gut verfolgen konnte man in den letzten Wochen, was diese Umfragedaten bei Spitzenpolitikern verursachen. Welche Wirkungen und Nebenwirkungen Umfrageergebnisse aber bei Wählerinnen und Wählern auslösen, ist kaum bekannt und soll Gegenstand dieser Furche-Debatte sein. In Frankreich ist es verboten, eine Woche vor Wahlen noch neue Umfragedaten zu veröffentlichen. Ist dieser Schritt gerechtfertigt? Werden die Wähler durch Polit-Umfragen verunsichert, etwa gar manipuliert? Oder liefern Meinungsforschungsinstitute wertvolle Orientierungshilfen für Bürger und Parteien?

WOLFGANG BACHMAYER: Fehler in der Meinungsforschung können passieren. Die Regel sind sie nicht.

Umfragen sind heute ein fixer Bestandteil von Politik und Medienberichterstattung geworden. Ein Wahlkampf ohne Umfragen ist undenkbar, genauso wie einer ohne Plakate oder TV-Debatten. Auch außerhalb von Wahlkampfzeiten sind Umfragen zum Gradmesser für die Qualität der Politik und Beliebtheit der Politiker geworden. Sie spiegeln die Bedürfnisse der Öffentlichkeit wider und dienen zunehmend als Korrektiv für die Politik.

Umfragen ersetzen die verloren gegangene Nähe der Politiker zu den Bürgern und Funktionären an der Basis. Umfragen informieren die Öffentlichkeit in unabhängiger und objektiver Form und ermöglichen damit eine ausgewogenere Berichterstattung über Politik in den Medien. Erst durch die Umfragen wurde die politische Information unabhängig von den Parteisekretariaten.

Politische Umfragen sind besser als ihr Ruf und viel genauer, als man denkt. Die Trends werden fast ausnahmslos richtig vorhergesagt, die meisten Prognosewerte liegen innerhalb der statistischen Bandbreiten. Nur in vereinzelten Fällen kam es zu Fehlprognosen wie bei den heurigen Europawahlen. In der Öffentlichkeit haben aber die Umfragen ein schlechteres Bild. Das liegt vor allem daran, daß unangenehme Umfrageergebnisse von den Politikern kritisiert und als unseriös abgetan werden. Der Überbringer einer schlechten Botschaft kann eben kein Lob erwarten.

Da hilft es auch nicht, wenn sich am Wahltag die Prognose als richtig herausstellt. Sollte aber einmal eine Fehlprognose passieren, wird dies kräftig aufgeblasen. Ein Musterbeispiel dafür lieferte der Wiener Altbürgermeister Helmut Zilk, als er die Frage nach den Ursachen der SP-Niederlage grollend mit "die Verlierer der heutigen Wahl sind die Meinungsforscher" beantwortete.

Zugegeben, politische Umfragen sind ein schwieriges Metier, Wahlprognosen sind der absolute Härtetest der Meinungsforschung. Das Befragungsthema Politik ist viel heikler als Umfragen über Kaugummi, Babywindeln oder Urlaubszufriedenheit. Die Klippen liegen bei Formulierung und Reihenfolge der Fragestellungen, Bekennerbereitschaft der Befragten und Hochrechnung der Unentschlossenen und Antwortverweigerer. Hier kann mancher Fehler passieren, der sich fatal auswirkt. So kann beispielsweise eine Frage zur Bedrohung Österreichs durch umliegende Atomkraftwerke bei der später gestellten Sonntagsfrage den Grünen zwei bis drei zusätzliche Prozentpunkte bringen, ähnliches kann durch ungeschickte Formulierungen passieren. Um das komplexe Metier der politischen Meinungsumfragen zu beherrschen, gehört viel Fachkompetenz, Erfahrung und Fingerspitzengefühl.

Im derzeit laufenden Wahlkampf für die Nationalratswahlen spielen die Umfragen eine besonders wichtige Rolle, für manche geht das bereits zu weit. Wie in früheren Wahlkämpfen entsteht nun wieder die Diskussion darüber, ob Meinungsumfragen das Klima anheizen und das Wahlverhalten beeinflussen. Wissenschaftliche Studien sagen dazu, daß Umfragen in der Öffentlichkeit sehr wohl meinungsbildend wirken können, daß sich aber mögliche Beeinflussungseffekte durch die verschiedenen Ergebnisse und Prognosen neutralisieren. Trotzdem wird diese Diskussion über den Einfluß der Meinungsforschung bei Wahlen von der Branche ernst genommen. Vom Verband der Marktforscher wurde deshalb schon mehrfach eine Initiative mit dem Ziel gestartet, eine freiwillige Selbstbeschränkung bei Publikation der Umfragen zu erreichen. Trotz guten Willens der Institute kam es aber letztlich nicht dazu. Unter anderem deshalb, weil die umfragelose Zeit von den Parteisekretariaten genutzt wird, eigene, meist gefärbte Umfragen an Öffentlichkeit und Funktionäre durchsickern zu lassen. Da ist es schon günstiger, wenn unabhängige Institute objektive Daten publizieren.

Der Autor leitet das Meinungsforschungsinstitut OGM.

HERBERT KOHLMAIER: Das leichtfertige Spiel mit Sensationen verdrängt ein ernsthaftes Wählervotum.

Gerade vor Wahlen muß es beklagt werden: Was mit Umfrageergebnissen und deren Veröffentlichung aufgeführt wird, entwickelt sich zum Skandal. An ihm sind jene Medien, die aufgeregt mit widersprüchlichen Prognosen herumwerfen, in gleichem Maß schuld, wie Meinungsforschungsinstitute zweifelhafter Reputation, die man heranzieht. Es werden Scheininformationen geboten, die unseriös sind, aber Aussagekraft und Authentizität vorgeben. Damit soll offenbar nicht nur die Neugier des Publikums befriedigt, sondern auch handfeste Politik gemacht werden.

Es ist eine längst erwiesene Tatsache, daß die Wähler durch solche Berichte beeinflußbar sind. Wenn also etwa einer kleinen oder neuen Gruppe keine Chancen gegeben wird, den Sprung ins Parlament zu schaffen, überlegt man es sich zusätzlich, sie zu wählen. Wird hingegen einer Partei ein großartiger Sieg vorausgesagt, kann dies dazu führen, daß sie zwar selbstbewußt auftritt, aber ihre Anhänger nicht mehr motiviert werden.

Wie kann ein Spitzenpolitiker in der Sache überzeugend agieren, wenn ihm Presse und Rundfunk schon die Niederlage prophezeien? Wahlkämpfe verlieren so den Charakter der Entscheidung zwischen politischen Konzepten und zwingen die Parteichefs, nur mehr spekulative Erklärungen über ihre Erfolgschancen und neue Regierungskonstellationen abzugeben. Schlag nach bei Wolfgang Schüssel!

Diese beschriebenen Wirkungen stehen in krassem Mißverhältnis zu dem, was Demoskopie vor Wahlen wirklich leisten kann. Es gibt nämlich sehr beachtliche Unsicherheitsfaktoren, die unbedingt zu beachten wären, aber geflissentlich verschwiegen werden. Auswahl und Größe des Samples der Befragten bedingen unausweichlich mehr oder weniger große Breiten von Fehlern. Geben von 500 Personen - womit man sich häufig begnügt! - zehn Prozent an, eine bestimmte Partei zu wählen, kann das in Wahrheit 7,3 bis 12,7 Prozent bedeuten. Selbst wenn man von 2000 Interviewten erfährt, sie würden zur Hälfte eine Partei wählen, beträgt die Unsicherheit noch immer mehr als zwei Prozent.

Ein gravierendes Problem ist, daß immer mehr Wähler sehr lange, oft bis zum Wahltag, unentschlossen sind. Bei dieser Nationalratswahl machte ihr Anteil Anfang September mehr als 40 Prozent aus. So verringert sich die Zahl der verwertbaren Angaben auf absolut unzureichende Größenordnungen: bei den erwähnten 500 Befragten auf lächerliche 250 bis 300. Um dennoch mit prozentgenauen Ergebnissen aufzuwarten, erfolgt eine Zuteilung der Antwortverweigerer in die eine oder andere Richtung. Die Gefahr, zu irren, ist gewaltig. Die Europäische Gesellschaft für Meinungs- und Marketingforschung verlangt daher in ihrem "Internationalen Kodex", alle Unsicherheitsfaktoren deutlich sichtbar zu machen. Aber das würde die Sensation bestellter Umfragen ja wieder entwerten ...

Vor den letzten Wahlen präsentierte man reihenweise Meinungsforschungsergebnisse, die sich als eindeutig falsch erwiesen. Die Institute, die sich damit blamierten, trumpfen aber heute wieder mit scheinbar exakten Daten auf. So läßt man etwa die Liberalen - offenbar nach Lust und Laune - einmal aus dem Parlament fliegen und dann gleich wieder drin. Betreffend FPÖ hat man schon vor der zuletzt stattgefunden EU-Wahl verkündet, sie würde 32 Prozente erreichen und die Volkspartei überholen. Bekanntlich kam es ganz anders, und der Irrtum machte neun Prozentpunkte aus.

Die Liste der demoskopischen Pleiten wird sich beim bevorstehenden Urnengang fortsetzen. So drohen das leichtfertige Spiel mit Sensationen und die handfeste Agitation, das ernsthafte Votum der Wählerinnen und Wähler immer mehr in den Hintergrund zu drängen. Eine Gefahr, ja eine Schande für unsere Demokratie. Es sei denn, alle bekennen nach dem 3. Oktober offen, was sie vorher an Unfug produziert haben. Aber das ist leider nicht zu erwarten.

Der Autor ist freier Publizist und Präsident der Vereinigung für Medienkultur.

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