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Sie gelten als skurrile "Daniel Düsentriebs", die in ihrer Garage allein an Dingen basteln, die die Welt nicht braucht: So viel zum Klischee vom "verrückten Erfinder". In der Realität stammt die Mehrzahl patentierfähiger Entwicklungen von Menschen, die in Betrieben oder Universitäten gemeinsam (und immer professioneller) an Problem-lösungen und Innovationen feilen. Das vorliegende Dossier ist ihnen - und den spannenden Vorgängen in ihren Köpfen - gewidmet.Redaktionelle Gestaltung: Doris Helmberger Was regt sich im Gehirn, wenn uns ein Licht aufgeht? Zur Psychologie des Geistesblitzes.

Archimedes, ich habe den Verdacht, dass der Goldschmied mir eine Krone gegeben hat, die nicht aus purem Gold besteht. Finde heraus, ob er mich betrogen hat!" Dieser Auftrag des Königs Hiero von Syrakus bereitete Archimedes erhebliches Kopfzerbrechen. Wie konnte er zeigen, dass die Krone aus purem Gold besteht, ohne diese zu zerstören? Tagelang dachte er erfolglos darüber nach. Er prüfte Einfälle, verwarf diese als sinnlos und kam zu der Auffassung, dass dieses Problem gar nicht lösbar sei. Als Archimedes ein Bad nehmen wollte, bemerkte er freilich, dass der Wasserstand beim Hineinsteigen stieg. Plötzlich sprang er aus der Wanne und lief, nackt wie er war und "Heureka!" rufend ("Ich hab's gefunden!"), durch die Straßen von Syrakus. Er hatte die Einsicht gewonnen, dass er über die Verdrängung von Wasser indirekt auf die Dichte von Körpern schließen konnte. Die Lösung des Problems war letztlich ganz einfach: Archimedes nahm die Krone und eine Anzahl reiner Goldmünzen, die das gleiche Gewicht hatten, und stellte fest, dass die Krone mehr Wasser verdrängte als die Münzen. Der Goldschmied war tatsächlich ein Betrüger.

Von der guten Gestalt

Solche oder ähnliche Anekdoten werden über viele große Denker berichtet. Nach langem Grübeln über ein schwieriges Problem kommt es plötzlich und unerwartet zur Lösung.

Psychologen stellen sich schon seit einiger Zeit die Frage, was in unserem Gehirn vor sich geht, wenn es zu solchen Geistesblitzen kommt. Die ersten, die sich systematisch dieser Frage spontaner Erkenntnis widmeten, waren die Gestaltpsychologen Max Wertheimer, Wolfgang Köhler, Kurt Koffka und Karl Duncker. In den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatten sie behauptet, dass einsichtsvolles Problemlösen einen allgemeinen Denkmodus darstellt, der gleichberechtigt neben logischem und assoziativem Denken steht, und nicht nur das Denken von Genies markiert. Das Problem wird als Störung wahrgenommen, die beseitigt werden muss, um in einer guten Gestalt aufzugehen. Eine gute Gestalt zeichnet sich dadurch aus, dass die strukturellen Anforderungen des Problems und die gegebenen Problem-Elemente in einer sinnvollen Art und Weise zueinander passen und sich ergänzen. Der Mechanismus, der diese Passung ermöglicht, liegt in der Umstrukturierung eines Problems begründet. Was ist damit gemeint?

Betrachten wir das Quadrat-und-Parallelogramm-Problem von Max Wertheimer: Über einem Quadrat liegt ein Parallelogramm. Aufgabe ist es nun, die resultierende Gesamtfläche zu berechnen, wobei nur die beiden Strecken a und b gegeben sind - so wie in der folgenden Skizze:

Die Fläche des Quadrats lässt sich leicht bestimmen: a mal a. Kniffliger wird die Sache bei der Berechnung des Parallelogramms. Was man auch versucht - es fehlt immer eine Größe. Die Lösung des Problems ist freilich einfach, wenn man die Linien als zwei ineinander geschobene rechtwinklige Dreiecke wahrnimmt. Dieser Gedankengang markiert den Moment der Umstrukturierung, der oft mit einem "Aha-Erleben" verbunden ist. Die beiden Dreiecke können dann so gegeneinander verschoben werden, dass sich ein Rechteck ergibt: a mal b.

Wie kommt es aber zu dieser Umstrukturierung im Gehirn? Wieso dauert dies oft sehr lange und gelingt uns bei manchen Problemen überhaupt nicht? Der Kognitionspsychologe Stellan Ohlsson von der University of Illinois in Chicago war fasziniert von diesen Fragen und schlug 1984 folgendes Modell vor: Personen begegnen einem Problem nicht als tabula rasa. Sie haben möglicherweise schon Erfahrungen mit ähnlichen Problemen gesammelt. Dieses Vorwissen wird nun erneut aus dem Gedächtnis abgerufen. Dies ist normalerweise sehr sinnvoll, um nicht jedes Mal das Rad neu erfinden zu müssen. Die eigentliche Problemsituation und das Vorwissen generieren zusammen eine Repräsentation (mentales Abbild) des Problems, in dem - je nach bestehendem Vorwissen - bestimmte Aspekte der Problemsituation betont und andere vernachlässigt werden. Bei manchen Problemen kann dies hinderlich sein. Es werden etwa Repräsentationen angelegt, die zu wenig Lösungsmöglichkeiten zulassen oder bestimmte Aspekte nicht berücksichtigen. Nachdem wir alle uns möglich erscheinenden Ansätze erfolglos erprobt haben, geraten wir in Sackgassen. Wir schweifen mit unseren Gedanken ab, sind frustriert, fühlen uns hilflos und sind unmotiviert weiterzumachen.

Zielführendes Scheitern

Ohlsson zufolge ist freilich genau dieses wiederholte Scheitern die treibende Kraft, die letztlich zur Umstrukturierung führt. Er geht davon aus, dass das Innehalten in der Sackgasse unbewussten Prozessen die Möglichkeit gibt, aktiv zu werden. So wird es möglich, dass eine zu enge Repräsentation des Problems erweitert wird. Bei Wertheimers Problem muss man beispielsweise von der Annahme ablassen, dass die Lösung mit den gegebenen Figuren erreicht werden kann.

Nun stellt sich natürlich die Frage, welche unbewussten Prozesse bei der Umstrukturierung beteiligt sind und wie man diese untersuchen kann. Janet Metcalfe von der Columbia University New York konnte 1986 in einer Reihe von Untersuchungen zeigen, dass Versuchspersonen bei Einsichtsproblemen bis kurz vor der Lösung nicht wissen, wie nahe sie dieser Lösung schon gekommen sind. Bei Standardaufgaben, etwa Rechenaufgaben, wussten sie dagegen sehr genau, wie lange es noch dauern würde, bis sie die Aufgabe lösen könnten. Offenbar haben wir bei Einsichtsproblemen also keinen bewussten Zugang zu den kritischen Lösungsprozessen. Dies könnte daran liegen, dass Einsicht bei den meisten Menschen mit der rechten Hirn-Hemisphäre in Verbindung gebracht wird. Die linke Hemisphäre ist für rationales und logisches Denken zuständig und stark an Sprache gebunden. Die rechte Hemisphäre ist dagegen kreativ und "stumm". Eine Reihe von Ergebnissen stützen diese funktionale Unterteilung: So führen sehr kurz dargebotene Lösungshinweise nur dann zu einsichtsvollen Lösungen, wenn sie von der rechten Hirnhemisphäre verarbeitet werden. Erste Studien mit bildgebenden Verfahren, die versuchen, die neuronalen Korrelate von Einsicht zu entschlüsseln, zeigen ebenfalls eine stärkere Aktivierung in der rechten Hirnhälfte, wenn die Lösung eines Problems mit einem "Aha-Erlebnis" verbunden war.

"Rechter" Erfindergeist

Darüber hinaus weisen klinische Studien darauf hin, dass Schädigungen in der linken Hemisphäre dazu führen, dass Patienten nicht mehr bei einer Strategie bleiben können, sondern ständig neue Lösungen generieren. Schädigungen der rechten Hemisphäre haben die gegenteilige Wirkung. Hier haften Patienten an einer einmal gewählten Strategie und werden unfähig, alternative Lösungen zu finden. Daraus lässt sich schließen, dass normalerweise die linke Hemisphäre das Kommando hat und so die Ideenflut der rechten Hemisphäre im Zaum hält.

Steckt man nun in einer Sackgasse und lässt die Gedanken schweifen, denkt an andere Dinge, legt das Problem zur Seite oder geht schlafen, so bekommt die rechte Hemisphäre die Gelegenheit sich durchzusetzen, was zu Umstrukturierung des Problems und zu neuen Ideen führen kann. Lassen Sie also ruhig die Seele baumeln, wenn Sie mit einem Problem nicht weiterkommen, vielleicht ergibt sich dann die Lösung - oder das "Aha" - wie im Schlaf.

Die Autoren erforschen

als Kognitionspsychologen seit Jahren komplexes menschliches Denken: Günther Knoblich an der Rutgers University in Newark, New Jersey, und Michael Öllinger an der neu gegründeten Parmenides Foundation in München.

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